Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Heinz Pürer

Publizistik- und Kommunikationswissenschaft - Heinz Pürer


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in einem ersten Schritt die folgenden wichtigen (voneinander nicht immer exakt abgrenzbaren – vgl. w. u.) Forschungsfelder ausfindig machen:

Kommunikator-Forschung:hat die Medienschaffenden, die Journalisten, die Programmgestalter etc. in der Massenkommunikation und der computervermittelten Kommunikation, aber auch Kommunikatoren in der Werbe- und Organisationskommunikation etc. in ihrem (engeren oder weiteren) Berufsumfeld zum Untersuchungsgegenstand;
Aussagen-Forschung:befasst sich mit den in Massenmedien sowie in Formen computervermittelter Kommunikation (z. B. in Foren, Chats, Blogs, in sozialen Netzwerken, Tweets, mobilen Diensten, Applikationen etc.) sowie in der Werbe- und Organisationskommunikation vorfindbaren Inhalten (Kommunikaten);
Medien-Forschung:untersucht die klassischen Massenmedien sowie an Öffentlichkeiten gerichtete Onlinemedien in ihren vielgestaltigen Ausprägungen, in ihren Strukturen und Organisationsformen, in ihren formalen Angebotsweisen, technisch bedingten Eigengesetzlichkeiten und Funktionsweisen;
Rezipienten-Forschung:legt den Fokus auf die Nutzer der Massenmedien, die Leser, Hörer, Zuschauer und User, ihre Nutzungsgewohnheiten, Nutzungsmotive und Nutzungserwartungen;
Wirkungs-Forschung:versucht, den Folgen von Kommunikation, Massenkommunikation sowie computervermittelter Kommunikation auf den Grund zu gehen, den individuellen wie sozialen Wirkungen – den Wirkungen im Bereich der Kenntnisse und des Wissens, der Einstellungen und Meinungen, des Handelns und der Verhaltensweisen sowie der Emotionen bzw. Gefühle.

      Keines der hier aufgezählten Lehr- und Forschungsfelder kann jedoch ausschließlich für sich betrachtet werden (s. o.). Da zahlreiche Fragestellungen eines Forschungsfeldes oftmals andere tangieren, ist es sinnvoll, je nach Forschungsfrage andere Feldbereiche mit zu berücksichtigen. Dies lässt sich exemplarisch etwa an der Kommunikatorforschung (am Beispiel der Journalismusforschung) aufzeigen (vgl. Kap. 4.1). Die Zeitungs-, Hörfunk- und Fernsehjournalisten sowie ihre Kollegen in professionell arbeitenden Onlineredaktionen agieren nicht im ›luftleeren Raum‹. Sie sind – je nach Medienbetrieb – eingebunden in eine Redaktion mit in aller Regel hierarchischen Strukturen; sie arbeiten unter spezifischen Bedingungen der Redaktionsausstattung, unter Zeit- und Konkurrenzdruck sowie unter ökonomischen Zwängen und Marktanforderungen; sie gehören Medienunternehmen mit unterschiedlichen Organisationsstrukturen an; sie verfügen über ein mehr oder weniger konkretes Publikumsbild; nicht zuletzt haben sie je unterschiedliche Erziehungsstile und Prozesse der gesellschaftlichen und beruflichen Integration (Sozialisation) erfahren. Kommunikatorforschung wird also im Kern speziellen Berufsfragen (z. B. des Journalismus) auf den Grund gehen; zugleich wird sie (daneben) aber auch andere Aspekte mitergründen – Aspekte, die Bereiche wie z. B. die Aussagen-, Medien- oder Rezipientenforschung tangieren, um sich so ein zuverlässiges und differenziertes Bild über eine untersuchte Kommunikatorengruppe zu machen. Gleiches gilt vice versa für die Erforschung der anderen Bereiche.

      Kommunikationswissenschaft wird gegenwärtig primär aus einem sozialwissenschaftlichen Verständnis heraus und oftmals auch transdisziplinär betrieben. Je nach konkreter Fragestellung werden Phänomene individueller und/oder gesellschaftlicher Kommunikation (»Materialobjekt«) unter je unterschiedlichem Erkenntnisinteresse (»Formalobjekt«) ergründet. Im Folgenden seien exemplarisch und damit ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit einige Fachperspektiven genannt, anhand deren der transdisziplinäre Charakter der Kommunikationswissenschaft, insbesondere der sozialwissenschaftliche, gut deutlich gemacht werden kann (ohne andere Fächer bzw. Perspektiven gering schätzen, vernachlässigen oder ausgrenzen zu wollen):

historischKommunikations- und Mediengeschichte, nach Möglichkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und technischen Gegebenheiten und Bedingungen; oder: Medien als Geschichtsquelle; nicht zuletzt auch kommunikationstheoretische Fragestellungen fachgeschichtlicher Art;
philosophisch-anthropologischKommunikation als Grundvoraussetzung menschlicher Existenz sowie individueller und sozialer Entfaltung; medienvermittelte Kommunikation in ihrer Bedeutung für zwischenmenschliche Kommunikation; Ethik der sozialen Kommunikation;
soziologischMassenmedien und ihre Bedeutung für die Gesellschaft: Sozialisation durch Massenkommunikation, Medien als Vermittler von gesellschaftlichen Werten, Normen, Rollen und Verhaltensweisen; aber auch: Merkmale und Modalitäten von Individual-, Gruppen- und Massenkommunikation sowie Kommunikation in sozialen Netzwerken;
psychologischKommunikations- und Medienwirkungen auf das Individuum, auf sein Wissen, Denken, Fühlen, Handeln bzw. Verhalten; Kommunikations- und Medienpsychologie;
politologischKommunikations- und Medienpolitik, politische Grundlagen und Strukturen von Massenkommunikation; Politikvermittlung und Massenmedien; Medialisierung der Politik; demokratietheoretische Bedeutung der Massenmedien; Medien, Öffentlichkeit und öffentliche Meinung; politische Rhetorik;
ökonomischMedienökonomie und Medienwettbewerb; Konzentration und Monopolbildung im Bereich der klassischen Massenmedien und der Onlinemedien; volkswirtschaftliche Bedeutung der Massenmedien; betriebswirtschaftliche Grundlagen von Presse, Funk, Fernsehen, Film, »neuen Medien«; Medieninhalte und -programme als wirtschaftliche Güter;
pädagogischMassenmedien als Lehr- und Lerngegenstand in Schule und Erwachsenenbildung; Kinder und Medien; Vermittlung aktiver und passiver Medien- und Computerkompetenz; auch Medienanwendung, Medienverwendung und Unterrichtstechnologie;
linguistischKommunikation, Massenkommunikation, computervermittelte Kommunikation und Sprache; Massenmedien, Sprachgebrauch und Sprachverhalten; Verstehen und Verständlichkeit in Kommunikation und Massenkommunikation; Massenmedien und Alltags-sprache; [22]Sprechakttheorie; Sprache in der computervermittelten Kommunikation und in Onlinemedien;
rechtswissenschaftlichKommunikations- und Medienrecht nationaler, internationaler und supranationaler Art (z. B. nationale Presse- und Rundfunkgesetze, Telemedienrecht, Fernmelderecht; EU-Recht etc.); Medien- und Kommunikationskontrolle (Berührungen zu/mit politologischen Aspekten)
medientechnologischTelekommunikations- und Medientechnik; Satellitentechnik; Datenkompression, Digitalisierung und Konvergenz; Informatik, Usability-Forschung etc.

      Zu ergänzen ist dieser Katalog u. a. um kulturwissenschaftliche, kunstwissenschaftliche sowie informationswissenschaftliche Perspektiven; diese gewinnen in der Kommunikationswissenschaft zunehmend Aufmerksamkeit und Bedeutung. Abgrenzungen der hier dargelegten einzelnen Perspektiven sind in aller Regel nicht so einfach möglich, zumal Übergänge in andere Perspektiven und Fächer fließend sein können.

      Die Aufarbeitung eines Forschungsfeldes (z. B. Rezipientenforschung) und einer gewählten Perspektive (z. B. die psychologische) kann je nach konkreter Fragestellung bzw. Hypothese und je nach wissenschaftlichem Standort des Forschers aus unterschiedlichen theoretischen Positionen bzw. Theorien heraus erfolgen. Unter Theorien versteht man Begründungszusammenhänge, die eine (in unserem Fall gesellschaftliche) Wirklichkeit – das Ganze – oder nur einen Ausschnitt davon – die Teile – zu erklären versuchen. Dabei kann man aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht zwischen Makro-, Meso- und Mikrotheorien unterscheiden. Makrotheorien zeichnen sich durch eine ganzheitliche Betrachtung eines Materialobjektes (z. B. das Materialobjekt »Kommunikation« oder »Massenkommunikation« oder »Onlinekommunikation« als Ganzes) sowie durch einen hohen Abstraktionsgrad aus und beanspruchen eine »große Reichweite«. Dazu gehören systemtheoretische, konstruktivistische oder etwa kritisch-theoretische Ansätze sowie z. B. Ansätze in der Tradition der Cultural Studies. Mesotheorien beziehen sich auf einen Teilausschnitt des gesellschaftlichen Phänomens Massenkommunikation (z. B. Journalismustheorien, Medientheorien, PR-Theorien, Werbetheorien, Theorien zur Onlinekommunikation etc.) und stellen somit in aller Regel Theorien »mittlerer Reichweite« dar. Mikrotheorien wie etwa jene der Kommunikations- und Medienpsychologie beschränken sich auf ausgewählte, eher klein dimensionierte, gleichwohl hochkomplexe Teilbereiche der Kommunikation und beanspruchen nur »geringe Reichweite«. Dazu gehören z. B. zahlreiche Theorien über individuelle Wirkungen der Massenmedien, also etwa (sozial-)psychologisch begründete


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