Transkulturelle Kommunikation. Michèle Kaiser-Cooke
also wie und warum wir sprechen sowie die sozio-politische Einbettung des Sprachgebrauchs und vieles mehr.
Wir sehen bereits, dass es bei den oben erwähnten Wissenschaften nicht in erster Linie darum geht, eine bestimmte Handlung oder Praxis zu verbessern; es geht vor allem darum, diese zu erklären.
Genauer gesagt versuchen die Wissenschaften, real vorhandene Phänomene – also alle möglichen Dinge, die es in der Welt gibt – zu erklären. Diese Erklärungsversuche, die wir auch Theorien nennen, entstammen dem bereits erwähnten Bedürfnis, die Welt um uns zu verstehen. In dem Sinne ist auch Wissenschaft eine Form von Kommunikation.
Wissenschaftler*innen teilen der Gesellschaft (und einander) mit, wie sie etwas verstehen. Sie stellen zum Beispiel fest, dass die Entwicklung der Feinmotorik mit der kindlichen Sprachentwicklung zusammenhängt oder dass das Gehirn eine ständige Sauerstoffzufuhr braucht.
Da Wissenschaft einen Verstehensversuch darstellt, kommt es manchmal auch zum Missverstehen, also zu einer falschen Erkenntnis. Man meint, etwas verstanden zu haben und stellt später fest, dass man sich geirrt hat. Oder andere weisen darauf hin, dass etwas nicht stimmt. Wie in jeder anderen Kommunikation kommt es in der Wissenschaft oft zu Meinungsverschiedenheiten. Zum Beispiel darüber, welche Regionen im Gehirn für die Sprachverarbeitung zuständig sind bzw. ob man überhaupt spezifische Regionen dafür identifizieren kann.
Früher war die vorherrschende wissenschaftliche Meinung, dass die Gehirne von „Frauen“ kleiner seien als die von „Männern“ und daher weniger leistungsfähig. Inzwischen hat man festgestellt, dass die Größe des Gehirns von Mensch zu Mensch verschieden ist und bei der Hirnleistung die Qualität ohnehin nicht von der Quantität abhängt.
Auch in der Wissenschaft werden also Phänomene, Dinge, Handlungen wahrgenommen und interpretiert.
Was hat das alles mit uns zu tun?
Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen Kommunikation (wie zum Beispiel in Universitätsstudien, die sich mit Kommunikation, Marketing und/oder Translation beschäftigen) versucht eben, zu verstehen und zu erklären, wie und warum Menschen miteinander kommunizieren. Auch hier gilt die Annahme: Wenn ich etwas verstehe, kenne ich mich einigermaßen aus.
Wir wollen also unser eigenes Kommunikationsprofil und das Verhalten anderer Menschen verstehen, um besser damit umgehen zu können. Wir wollen aus unserem „intuitiven“ Wissen um Kommunikation ein bewusstes, reflektiertes Know-how entwickeln, das auch beruflich eingesetzt werden kann. Diese Expertise kann dann anderen Menschen helfen, Kommunikationsschwierigkeiten zu überwinden, problematische Situationen zu bewältigen oder die eigene Interaktion zu analysieren und zu steuern. In welchen Berufen und Bereichen ein solches Know-how zum Einsatz kommen könnte, werden wir später diskutieren (siehe Kapitel 5).
In der kritischen Auseinandersetzung mit Kommunikation lernen Sie also auf der Basis von wissenschaftlichen Theorien (Erklärungsversuchen), wie die menschliche (Transkulturelle) Kommunikation abläuft. Sie lernen dies nicht nur, um es besser zu können, sondern um zu erkennen, was Sie (und andere) tun, wenn Sie kommunizieren.
Denn erst wenn wir wissen, was wir tun, sind wir in der Lage, darüber zu sprechen und es anderen mitzuteilen.
Unser kommunikationsrelevantes Wissen ist, wie so vieles, das wir wissen, unbewusst, unreflektiert und unausgesprochen. Wir wissen zum Beispiel, „ohne es zu wissen“, was in den folgenden drei Bildern passiert.
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Der Mann „sagt“ dem Baby (und auch uns) durch seine Körpersprache, dass er es lieb hat. |
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Die Frau auf der Bank ist verärgert und wendet sich vom Mann ab. Aufgrund ihrer Körperhaltung und Gesichtsausdrücke gehen wir davon aus, dass der Mann und die Frau in einer engeren Beziehung zueinander stehen. |
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Das Mädchen ist traurig. |
Das Wissen, das dabei aktiviert wird, nennen wir implizites Wissen. Es hat noch nicht die Ebene des Bewusstseins erreicht und es würde uns schwerfallen, zu artikulieren, woher wir dieses Wissen haben. „Das weiß man einfach.“
Wenn wir aber beruflich für andere Menschen und mit anderen Menschen kommunizieren wollen, sollten wir bewusst wissen, was wir tun. Schließlich wird uns niemand für eine Arbeit bezahlen wollen, die wir nur „dem Gefühl nach“ verrichten.
Durch ein einschlägiges Studium und/oder gezielte Reflexion lernen Sie, über dieses implizite Wissen, das Sie im Alltag einsetzen, „ohne es zu wissen“, bewusst nachzudenken und es auch zu artikulieren. Es geht also darum, dieses implizite Wissen eben explizit zu machen.
„Explizit“, aus dem lateinischen explicare (erklären), bedeutet „ausdrücklich“ oder „deutlich“. Explizites Wissen ist also ein Wissen, über das wir sprechen können, das wir erklären können und das wir daher auch anderen mitteilen können. Wenn eine Tischlerin erklären kann, welches Holz für ein bestimmtes Möbelstück am besten geeignet ist, drückt sie ein Wissen aus, das sie vermutlich in langjähriger Erfahrung entwickelt hat, ohne unbedingt viel darüber nachgedacht zu haben. Wer ihr aber einen Auftrag erteilt, möchte wissen, warum gerade dieses Holz und nicht jenes. Menschen wollen meistens verstehen, warum eine Arbeit so und nicht anders ausgeführt wird. Durch das Explizitmachen ihres über Jahre entwickelten fachlichen Know-hows ist die Tischlerin imstande, die Gründe ihrer Entscheidungen oder Empfehlungen zu erklären. Anders gesagt: Das Nachdenken über das eigene Tun ermöglicht eine effiziente Kommunikation.
Professionelle Kommunikation ist also eine Kommunikation, die bewusst und zielgerichtet ist. Wir wissen, was wir kommunizieren wollen. Eben das ist der Unterschied zwischen professioneller und nicht professioneller Kommunikation: Die Fähigkeit, Kommunikationssituationen analysieren, steuern und gestalten zu können.
Wenn wir Kommunikation studieren und auch zum Beruf machen wollen, gibt es zwei Ebenen, auf denen wir professionelles Kommunizieren zum Einsatz bringen müssen.
Eine Ebene ist die Arbeit, mit der wir beauftragt werden, zum Beispiel eine (internationale) Marketing-Kampagne, eine Übersetzung, ein journalistischer Text, eine Website-Gestaltung, eine Kommunikationsberatung, eine Simultandolmetschung oder eine Presseaussendung. Es liegt auf der Hand, dass wir eine solche Arbeit nur dann zufriedenstellend erledigen können, wenn wir in der Lage sind, die gesamte Kommunikationssituation zu erfassen und zu analysieren. Wir müssen also die Fähigkeit entwickelt haben, die kommunikativen Bedürfnisse der Auftraggeber*innen und anderer Zielgruppen zu analysieren und zu berücksichtigen. Wir müssen natürlich auch wissen, wie wir diesen Bedürfnissen entsprechen können.
Ein Beispiel: Sie wollen sich für eine Stelle oder ein Studium in Japan bewerben. Sie sollen ein Motivationsschreiben sowie einen Lebenslauf in englischer und japanischer Sprache einsenden und beauftragen eine Übersetzungsagentur mit der Übersetzung ins Japanische. Sie müssen sich darauf verlassen, dass der*die Übersetzer*in nicht nur „Japanisch kann“, sondern wirklich versteht, was er*sie schreibt. Als professionelle*r Kommunikationsexpert*in muss er*sie wissen, dass jedes Wort, jedes Schriftzeichen, das Layout etc. Wirkung auf den Gesamteindruck hat, und auch, wie diese auf die Personen wirken werden, die den Text voraussichtlich lesen werden. Als Auftraggeber*in verlassen Sie sich darauf: Sie vertrauen auf die Expertise eines professionell handelnden Menschen. Sie verlassen sich auch darauf, dass der*die Übersetzer*in versteht, welche Wirkung Sie erzielen wollen. Nur wer Kommunikation