Transkulturelle Kommunikation. Michèle Kaiser-Cooke
anderes Beispiel: Sie lesen in einer deutschsprachigen Zeitung eine Reportage über steigende Mieten und Immobilieninvestments in Berlin. Dabei möchten Sie sich darauf verlassen können, dass sich der*die Journalist*in wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt hat, vor Ort war, mit Mieter*innen, Vermieter*innen und Investor*innen gesprochen und zudem Hintergrundrecherchen angestellt hat. Und Sie möchten einen Text lesen, der interessant geschrieben ist und als Reportage erkennbar ist, damit Sie seinen Informationsgehalt einschätzen können. Sie erwarten dabei also seriösen, professionellen Journalismus, auf allen Ebenen.
Ein drittes Beispiel: Sie sind als Kommunikationsberater*in für ein internationales Unternehmen tätig, das seinen Hauptsitz auf Grund der Entwicklungen rund um den Brexit von London nach Hamburg verlegt. Sie erhalten den Auftrag, diesen Schritt zu begleiten und zu unterstützen und die Mitarbeiter*innen zu briefen: Was müssen sie bei einer Verlegung nach Deutschland beachten? Welche Behördengänge sind nötig, wie kann sich das Unternehmen gut in der Stadt positionieren? Wie lässt sich diese Verlegung für Marketingzwecke nützen, wie das Image des Unternehmens positiv beeinflussen? Welche Maßnahmen sind nötig, um diese Ziele zu erreichen? Bei einer solchen komplexen Aufgabe müssen Sie unterschiedliche Kommunikationssituationen mit verschiedenen Kommunikationspartner*innen einschätzen können und eine Reihe unterschiedlicher Ziele erreichen. Ihre Auftraggeber*innen erwarten von Ihnen, dass Sie Ihre Expertise dafür effektiv einsetzen.
Mit unserer fachlichen Expertise als Kommunikationsexpert*innen müssen wir also sicherstellen, dass unsere Arbeit den Qualitätskriterien entspricht, die von Auftraggeber*innen und anderen Zielgruppen (zum Beispiel den Rezipient*innen unserer Texte) an sie angelegt werden. Diese fachliche Expertise ist aber nur eine – wenn auch wichtige – Ebene unserer professionellen Kommunikation.
Die zweite Ebene betrifft das Vertrauen, das Auftraggeber*innen uns entgegenbringen müssen. Sie werden sich nur dann auf uns verlassen wollen, wenn wir durch den eigenen Kommunikationsstil den Eindruck vermitteln, professionell kommunizieren zu können.
Im Journalismus zum Beispiel ist es wichtig, dass wir uns präzise und elegant ausdrücken können, dass unsere Texte angenehm zu lesen sind. Wenn wir uns im Kontakt mit Auftraggeber*innen mündlich unklar und unprofessionell ausdrücken, dann ist es wahrscheinlich, dass sie uns nicht zutrauen, schriftlich klar und professionell texten zu können.
Beim Übersetzen und Dolmetschen zum Beispiel kommunizieren wir im Namen unserer Auftraggeber*innen. Wir sprechen oder schreiben für sie. Meistens können sie nicht kontrollieren, was wir sprechen oder schreiben, weil ihnen die Sprache nicht bekannt ist. Und auch wenn sie die Sprache können, werden sie nicht gelernt haben, die anderen wichtigen Dimensionen eines Kommunikationsaktes zu analysieren oder zu bewerten, wie diese wirken.
Auch wenn wir zum Beispiel eine Kommunikationsberatung anbieten, übernehmen wir die Kommunikation für andere in dem Sinne, dass wir Empfehlungen unterbreiten, wie sie sich verhalten sollen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Auch hier geht es um Vertrauen. Wir sagen: Tu dies, sag jenes, verhalte dich so und du wirst die kommunikative Wirkung erreichen, die du anstrebst.
Dabei ist es notwendig, nicht nur über ein tiefes und nuanciertes Wissen zu verfügen: Wir müssen auch selbst, in unserem eigenen, individuellen Verhalten zeigen, dass unser Wissen „stimmt“.
Das gilt für persönliche Begegnungen ebenso wie für die digitale Welt. Wenn wir uns in Online-Meetings zudem in unserem eigenen Zuhause zeigen – müssen wir sehr genau überlegen, was davon wir Fremde sehen lassen möchten und was nicht, wie wir uns an unserem Arbeitsplatz präsentieren und was wir dadurch für einen Eindruck hinterlassen.
Die Personen, für die wir arbeiten, haben uns ihre Kommunikation anvertraut oder vertrauen uns, dass wir sie zielführend beraten. Wir wollen also zeigen, dass wir diesem Vertrauen gewachsen sind. Das tun wir, indem wir unsere eigene Kommunikation professionell gestalten – nach dem Motto: What you see is what you get.
Würden Sie ein Make-over akzeptieren von jemandem, der selbst ungepflegt ist? Oder hätten Sie Vertrauen zu einer Zahnärztin, die selbst schlechte Zähne hat? Der eigene Kommunikationsstil ist die erste Garantie dafür, dass wir Kommunikation ernstnehmen.
Kommunikation ist etwas sehr Persönliches, auch für internationale Unternehmen oder „gesichtslose“ Großorganisationen. Letztlich geht es ja um das eigene Image: wie man gesehen wird, wie man verstanden wird.
Professionell kommunizieren zu können setzt demnach voraus, dass wir auch in Bezug auf uns selbst über explizites Wissen verfügen und analysieren, steuern, gestalten, was wir aussagen und wie wir wirken wollen. (Dieser Aspekt der Kommunikation wird in Teil IV näher behandelt.)
In professioneller Kommunikation treten wir einerseits selbst – als professionelle Kommunikator*innen, als Journalist*innen, Kommunikationsberater*innen oder als Translator*innen – in Erscheinung, andererseits vertreten wir jene, die uns ihre kommunikativen Anliegen anvertraut haben. Wenn wir anderen bei der Kommunikation helfen, übernehmen wir Verantwortung dafür, dass die Kommunikation so gestaltet wird, dass sie ihr Kommunikationsziel erreichen können. Das Vertrauen unserer Auftraggeber*innen basiert darauf, dass sie uns professionelle Kommunikation zutrauen: Sie vertrauen also darauf, dass wir verstehen, was in der Kommunikationssituation geschieht, damit wir die Kommunikation bewusst steuern und gestalten können.
Die Analyse der Kommunikationssituation und ihrer Dimensionen dient als Grundlage dafür, das kommunikative Handeln auf diese Situation auszurichten: Dazu gehört auch, die Wirkung von sprachlichen Mitteln in Kommunikationssituationen einschätzen zu können und zu verstehen, wie Sprache in der Kommunikationssituation wirkt und funktioniert. Für professionelle Kommunikation ist es notwendig, Sprach- und Kommunikationskompetenz zu verbinden.
Dafür müssen wir auch wissen, an wen sich ein Text richtet, also welche Adressat*innen angesprochen werden sollen und in welchen Diskursgemeinschaften diese Adressat*innen zu verorten sind. Adressat*innen sind jene Menschen, für die der jeweilige Text gestaltet wird. Sie sind die unmittelbare Zielgruppe, aber auch als Teil größerer Diskursgemeinschaften zu sehen. Diskursgemeinschaften sind Gruppen, in denen ähnlich über ähnliche Themen kommuniziert wird. (Auf Diskurse und ihre gesellschaftliche Einbettung werden wir in Teil II noch genauer eingehen.)
Ein Beispiel für eine solche Diskursgemeinschaft sind Wissenschaftler*innen einer bestimmten Fachrichtung. Wenn etwa ein wissenschaftlicher Fachartikel für eine bestimmte internationale Zeitschrift, etwa Hermes – Journal of Language and Communication in Business oder M&K – Medien und Kommunikationswissenschaft oder das Journal of Advertising Research verfasst wird, dann sind die Leser*innen dieser Zeitschriften die Adressat*innen, die Zielgruppe. Sie können darüber hinaus aber auch als Teil einer größeren „scientific community“ gesehen werden, die sich mit verschiedenen Bereichen der Kommunikationswisssenschaft beschäftigt.
Wenn wir Erfahrungen in diesen Diskursgemeinschaften gesammelt, bewusst reflektiert und dadurch eine Vorstellung entwickelt haben, wie kommuniziert wird, gibt uns dies wichtige Anhaltspunkte für die Gestaltung von Texten. Einerseits geht es dabei um das Vorwissen, mit dem wir in der Diskursgemeinschaft – und damit auch bei unseren Adressat*innen (der Zielgruppe) – rechnen können. Andererseits sehen wir auch, wie andere Texte für diese oder ähnliche Zielgruppen gestaltet sind, und können daraus bestimmte übliche Formen, Merkmale und „Regeln“ (Konventionen) ableiten.
Konventionen spielen eine wichtige Rolle in professioneller Kommunikation.
Wenn in der Kommunikation der Eindruck erweckt wird, dass die Person, die spricht oder schreibt, die Konventionen nicht kennt, dann wirkt das in der Regel unprofessionell. Das bedeutet aber nicht, dass es in professioneller Kommunikation immer darum geht, Konventionen zu erfüllen.
Manchmal wird auch bewusst nach einer unkonventionellen Lösung gesucht, etwa wenn damit besondere Aufmerksamkeit erregt werden soll. Ein Beispiel dafür ist das „Virgin America Safety Video“. Wahrscheinlich kennen Sie die Situation: Vor dem Abflug stehen Flugbegleiter*innen im Mittelgang des Flugzeugs, während viele Fluggäste aus dem Fenster schauen oder gelangweilt