Systemisches Case Management. Matthias Müller
Teil 1: Soziale Arbeit mit Multiproblemfamilien – theoretische Perspektiven
Vorwort zur ersten Auflage
Wir freuen uns sehr, dass unser Buch in einer korrigierten Neuauflage im Carl-Auer Verlag erscheint. Die erste Auflage, die im Jahre 2003 beim Kersting-Verlag Aachen publiziert wurde, fand in der Fachöffentlichkeit eine so große Resonanz, dass wir, seitdem das Buch vergriffen war, immer wieder angefragt wurden, wann die nächste Auflage auf den Markt komme. Aufgrund einer Neustrukturierung des Kersting-Verlags im Rahmen des Instituts für Beratung und Supervision Aachen (IBS), die mit dem Tod des Verlagsgründers Prof. Dr. Heinz J. Kersting (1937–2005) zu tun hat, hätte eine zweite Auflage nicht sogleich produziert werden können. Daher bedanken wir uns herzlich bei den Betreibern des Kersting-Verlags, insbesondere bei der Erbin Frau Waltraud Hornmann, der Witwe Heinz Kerstings, und beim Geschäftsführer des IBS Aachen, Herrn Georg Nebel, dass Sie uns »grünes Licht« gegeben haben, um das Buch in einem anderen Verlag zu publizieren. Und dass dies so unproblematisch und schnell möglich war, ist insbesondere das Verdienst von Frau Beate Ch. Ulrich, der stellvertretenden Geschäftsführerin des Carl-Auer Verlags, und des dortigen Lektors Herrn Dr. Ralf Holtzmann – auch ihnen gebührt unser Dank.
Wir legen unser Buch zwar in einer korrigierten und neu ausgestatteten, jedoch inhaltlich unveränderten Neuauflage vor, weil wir der Meinung sind, dass das Innovative unserer Ausführungen – die Verknüpfung der systemischen Perspektive mit dem Verfahren des Case Management – nichts von seiner Aktualität verloren hat. Im Gegenteil: Möglicherweise wird die Frage, wie Case-Management-Prozesse ressourcen- und lösungsorientiert sowie zielwirksam methodisch strukturiert werden können, noch viel relevanter, wenn dieses Verfahren in immer weiteren Arbeitsfeldern Einzug hält. Aus unserer Sicht gibt es nur wenige methodische Perspektiven, die so passend sind für eine zukunftsträchtige Soziale Arbeit in postmodernen Zeiten wie die systemische. Daher hoffen wir, dass das Buch durch die Neuauflage viele weitere Leserinnen und Leser gewinnen wird, denen es Anregungen gibt, wie die eigene Praxis im Sinne der Klientinnen und Klienten effektiver und effizienter gestaltet werden kann.
Heiko Kleve, Britta Haye, Andreas Hampe, Matthias Müller
Berlin, im Sommer 2006
Vorwort zur dritten Auflage
Dass unser Buch nun in dritter Auflage im Carl-Auer Verlag erscheint, zeigt, dass Case Management nach wie vor als Verfahren gilt, das in der Praxis sehr gefragt ist, das klassische sozialarbeiterische Konzepte der Einzelfallhilfe und der Organisation von Hilfeprozessen in einer kompakten und sehr gut anwendbaren Form integriert. Vor allem die systemische Ausgestaltung komplexer Fallarbeit steht in diesem Buch im Mittelpunkt. Case Management wird als ein Verfahren der klar strukturierten und auf die Ressourcen der Klientinnen und Klienten sowie ihrer Lebenswelten sich beziehenden Praxis der Falleinschätzung und Hilfeplanung präsentiert. Praktikerinnen und Praktiker können auf der Grundlage des Buches ihre konkrete fallbezogene Arbeit neu ausrichten, stärker als vielleicht bisher auf die Selbsthilfekräfte ihrer Adressatinnen und Adressaten fokussieren sowie Selbstreflexionsprozesse bei sich und den anderen Beteiligten der Hilfen initiieren.
In der Entwicklung des Case Management ist in den letzten Jahren sehr viel passiert. Intensiv hat sich der Fachdiskurs mit den Themen der Gestaltung und Organisation der Hilfesysteme auseinandergesetzt, die Implementierung von Case Management reflektiert und die unterschiedlichen Anwendungsfelder des Verfahrens im Sozial- und Gesundheitswesen erforscht. All diese Aspekte kommen in diesem Buch eher am Rande zur Sprache. Wir konzentrieren uns hier auf die Basis des Ansatzes: auf eine fallbezogene, ressourcenorientierte Gestaltung von komplexen Hilfeprozessen in der Sozialen Arbeit, insbesondere in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.
Wer nach der Lektüre unserer Publikation oder parallel dazu Case Management in seinen weiteren, ja äußerst vielfältigen Facetten vertiefen will, der sei auf die immer wieder aktualisierte Zusammenstellung von entsprechender aLiteratur zum Thema, auf die Präsentation aktueller Forschungsergebnisse oder die Zusammenstellung von Tagungsberichten auf den Internetseiten der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (http://www.dgcc.de) verwiesen.
Wir möchten uns schließlich für das anhaltende Interesse an unserem Buch bedanken und hoffen, dass dieses auch weiterhin nachhaltige und konstruktive Praxisentwicklungen anregt.
Heiko Kleve, Britta Haye, Andreas Hampe, Matthias Müller
Berlin/Potsdam im Herbst 2010
Einleitung
Soziale Arbeit in der Postmoderne
Heiko Kleve
Ausgangspunkte
Genauso wie die Gesellschaft ist die Sozialarbeit im Wandel. Die sozialen Phänomene, die mit Differenzierung der Lebenslagen, Pluralisierung, Individualisierung und Globalisierung benannt werden, sind in aller Munde und tangieren auch die Sozialarbeit unmittelbar. Die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse verändern alle sozialen Verhältnisse, sie verändern aber auch besonders das Verhältnis der einzelnen Menschen zur Gesellschaft und zu deren Institutionen.
Der Wohlfahrtsstaat wäre nicht mehr so finanzierbar wie bisher. Die Sozialarbeit gerät mehr und mehr unter Druck, ihre Hilfeangebote zu ökonomisieren, sie nach Effektivität (Zielwirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) zu bemessen. Mehr denn je ist Ressourcenorientierung aktuell. Informelle Hilfepotenziale der Lebenswelten sind wieder verstärkt zu fördern. Die Eigenverantwortung der Bürger für ihre Belange ist von der Sozialarbeit zu stützen. Sozialarbeiterische Organisationen werden zu sozialen Dienstleistungsunternehmen umstrukturiert, die mündige Bürger erfordern – Bürger, die wissen, was sie an Hilfe brauchen und diesbezüglich auswählen können. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden in diesem neuen Arrangement zu Managern des Sozialen, die Angebote machen, an Ressourcen arbeiten, Vernetzungen herstellen sowie das informelle und formelle Angebot von Hilfe koordinieren.
Die Frage ist nur, ob sich die veränderten Lebenswelten und die individualisierten Individuen auf diesen Wandel des Sozialstaates und der Sozialarbeit einstellen können. Denn auch in der Lebenswelt ist alles in Veränderung. So differenzieren sich etwa Familienstrukturen aus. Die klassische Kernfamilie, sozusagen die familiäre Normalform, bestehend aus Vater, Mutter und Kind(ern), ist inzwischen ein Familienmodell unter vielen anderen geworden.
Einelternfamilien, bestehend aus allein erziehenden Müttern oder Vätern und deren Kinder, oder Stieffamilien, bestehend aus einem leiblichen Elternteil und einem Stiefelternteil sowie deren Kinder, galten noch vor einem halben Jahrhundert als besondere, eher seltene Familienformen; sie sind heute normal geworden. Parallel zu diesen Veränderungen befinden sich die individuellen Ansprüche an die Familie, an die Liebe allgemein und an die Selbstverwirklichung im Wandel. Die Geschlechterverhältnisse mischen sich neu, die klassischen familiären Rollenverteilungen verwischen sich. Partnerinnen und Partner stellen häufig hohe Erwartungen an ihre Beziehung, die – wenn überhaupt – nur über Dialogfähigkeit eingelöst werden können.
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