Das gefallene Imperium 10: Um jeden Preis. Stefan Burban
von der Front warten. Das ist nicht meine Art, Mason. So denke ich nicht. So kann ich einfach nicht denken.«
Mason dachte über die Worte seines Freundes ausgiebig nach, schüttelte dann aber energisch den Kopf. »Tut mir leid, Carlo, aber ich kann dich unmöglich als Teil der kämpfenden Truppe in den Dienst zurücknehmen. Das funktioniert einfach nicht. Du hast das Alter für den Ruhestand weit überschritten.«
Carlo neigte den Kopf leicht zur Seite. Seine Mundwinkel hoben sich um eine Andeutung. »Dann zieh mich in beratender Funktion wieder ein.«
Mason stutzte. Seine Miene verfinsterte sich. »Du hast dir also schon vor Beginn unseres Gesprächs ausgemalt, wie ich argumentieren würde.«
Carlo zuckte die Achseln. »Das war nicht schwer.« Er deutete zum Fenster hinaus. »Wie ich hörte, schickst du mehrere Garderegimenter an die Front, um die Offensive zu unterstützen.«
Mason nickte. »Garner und Yoshida brauchen alles an Personal und Material, was wir aufbieten können. Die Eliteeinheiten der Republik hier herumsitzen und Däumchen drehen zu lassen, ergibt keinen Sinn. Schon ein einzelner Soldat kann in diesem Kampf einen Unterschied machen. Es bleiben nur einige wenige Einheiten hier zu meinem Schutz und dem der Bevölkerung zurück. Der Generalstab verlangt es. Würde es nach mir gehen, hätte ich sie alle an die Front geschickt.«
»Geht die Achtzehnte auch mit?«
Mason zögerte. »Du fragst wie jemand, der die Antwort schon kennt.«
Carlo schnaubte. »Ein Vögelchen hat mir da etwas zugezwitschert. Demnach stimmt es?«
Mason nickte. »Ja, es stimmt.«
»Teile mich ihr zu. Wenn dies unser letzter Kampf ist – ein Kampf um das Überleben von Menschen und Drizil –, dann ist mein Platz an der Seite der 18. Legion.«
Mason machte eine verkniffene Miene. »Und es gibt keine Möglichkeit, dich davon abzubringen?«
»Keine«, bestätigte Carlo. »Wenn du den Antrag nicht genehmigst, werde ich schlichtweg ein paar Gefallen einfordern und notfalls als blinder Passagier auf einem der Nachschubschiffe an die Front reisen. Aber an die Front komme ich ganz sicher.« Er bedachte den Präsidenten mit sanfter Miene. Ihm war bewusst, dass er den Mann gehörig unter Druck setzte, und tatsächlich verspürte er ein schlechtes Gewissen deswegen. Aber genauso empfand Carlo die unumstößliche Überzeugung, dass sein Platz in diesem Kampf dort draußen war. Der ehemalige General konnte sich das selbst nicht erklären. Vielleicht war es das Schicksal, das ihn mit sicherer Hand leitete. Aber Carlo wusste, er durfte diesem Kampf unter keinen Umständen fernbleiben.
Vielleicht hatte er den Präsidenten durch seine Wortwahl wirklich erreicht. Unter Umständen spürte der Mann aber auch nur dieselbe lenkende Hand, die Carlo auf seinen Schultern wahrnahm. Wie dem auch sei, Präsident Mason Ackland drückte seinen rechten Daumen auf die dafür vorgesehene Fläche und genehmigte den Antrag, bevor er ihn durch einen weiteren Tastendruck an die entsprechende Behörde abschickte.
Mason betrachtete den Mann, der vor ihm stand, einen unendlich scheinenden Augenblick lang. Seine Mundwinkel zogen sich ganz leicht nach oben. »Lieutenant General Carlo Rix, willkommen zurück bei den republikanischen Streitkräften!«
Tian senkte die Kelle in die Schüssel und kratzte den letzten Rest Suppe daraus hervor. Er goss die schmutzig graue Substanz in einen Blechteller und gab ihn der Mutter weiter, die ihn dankend annahm. Anschließend bekam sie noch ein bisschen Obst sowie Brot und Käse. Es war nicht viel, aber die verwahrlosten Überlebenden von Sultanet wirkten, als hätten sie nie etwas Besseres gegessen.
Die Frau gab das Obst gleich an ihre drei Kinder weiter, damit diese etwas Vitamine bekamen. Gemeinsam schlenderten sie davon, um ihre neu erworbenen Schätze zu vertilgen.
Selten zuvor hatte Tian etwas vergleichbar Erfüllendes erlebt. Es war eine Sache, zu töten. Das gehörte zu seinem Job. Niemand zog es in Zweifel. Aber verängstigten, hilflosen Menschen etwas zu essen zu geben, das war etwas gänzlich anderes. Er hoffte, sobald der Krieg vorüber war, würde er mehr Gelegenheit erhalten, Menschen zu helfen.
Sobald der Krieg vorbei war. Die Formulierung ging ihm immer und immer wieder durch den Kopf. Nach all den vergangenen Jahren hatte diese Vorstellung etwas seltsam Surreales. Als würde man sagen, der Himmel bestehe neuerdings aus rosaroten Marshmallows. Das war zwar eine schöne Idee, aber niemand glaubte wirklich daran.
Nico und Antonio kamen herüber und setzten sich neben ihn auf die Reste einer Mauer. Jeder kaute auf etwas herum, vermutlich die Reste des Essens, das sie gerade an die Zivilisten ausgegeben hatten. Sobald sie damit fertig waren, durften auch sie sich bedienen.
»Das war die Letzte?«, wollte Tian wissen und spähte umher.
Nico und Antonio nickten unisono. »Das waren alle«, antwortete Nico. »Und Mann, bin ich vielleicht erledigt.«
Tian fühlte tatsächlich Enttäuschung in sich aufsteigen. Von ihm aus hätten es ruhig noch mehr sein können. Er sah in den Topf, in dem gerade noch ein paar verkrustete Reste der Suppe den Boden bedeckten. Er entschied, dass er keinen rechten Appetit hatte, und setzte sich zu seinen Kameraden auf die Mauer.
Antonio deutete mit dem Kinn auf die Frau und ihre Kinder. Sie verzehrten das Essen in Windeseile. »Armes Ding«, kommentierte er.
Tian sah auf. »Inwiefern?«
»Sie hatte fünf Kinder. Zwei von ihnen haben die Jackury sich geschnappt. Ihren Mann auch.« Antonio spie aus. »Verdammte Schaben! Wenn Cests Virus etwas Gutes gebracht hat, dann dass diese widerlichen Kreaturen auf etlichen Welten ausgerottet wurden.«
»Dem kann ich nur zustimmen«, gab Tian zurück, während er die Frau beobachtete.
Antonio bemerkte seinen Blick. »Die wird ihres Lebens auch nicht mehr froh. Zwei Kinder und den Mann zu verlieren. Und dann auch noch auf eine solch schreckliche Weise. Das ist übel.«
Tian dachte angestrengt über die Worte des anderen Legionärs nach. »Sie hat immer noch drei, um die sie sich kümmern muss. Das wird sie aufrecht halten. Aber du hast recht. Sie wird nie mehr dieselbe sein nach diesem Verlust.«
Die drei Männer saßen eine Weile schweigend beisammen, während zwei von ihnen aßen. Tian begnügte sich, seinen Freunden beim Verzehr des kargen Mahls zuzusehen. Er genoss die stille Kameradschaft, die zwischen ihnen herrschte.
Nico und Antonio waren fast gleichzeitig fertig und stellten das Blechgeschirr neben sich ab. Nico verkündete jedem in Hörweite, dass er die Nahrungsaufnahme beendet hatte, durch einen beherzten Rülpser, der vermutlich sogar einen Hinrady in Angst und Schrecken versetzt hätte.
Transporter zogen über ihnen hinweg. Im ersten Moment war Tian der Meinung, sie brachten weitere Truppen oder schwere Waffen. Doch dann setzten sie auf dem nahe gelegenen Flugfeld zur Landung an, das lediglich zu einem Zweck angelegt worden war.
Seine angespannte Miene lockerte leicht auf. »Sie bringen die Zivilisten weg.«
Nico nickte. »Wird auch Zeit. Hier kann man sich kaum adäquat um sie kümmern.« Er hob eine Hand und deutete auf die Ruinen ringsum. »Es wird eine halbe Ewigkeit dauern, bis hier wieder Menschen leben können.«
»Vielleicht nicht so lange, wie du denkst«, hielt Antonio dagegen. »Menschen sind hart im Nehmen. Bald schon wird das alles hier wieder aufgebaut sein. In nur wenigen Jahren«, prognostizierte er. »Das Leben wird erneut Einzug halten.«
»Das klingt ja fast schon philosophisch«, spottete Nico.
Antonio bedachte den Mann mit nachsichtigem Blick. »Du wirst schon sehen.«
Tian hätte sich gern an der Diskussion beteiligt, doch er bemerkte Rinaldi, wie er mit weit ausgreifenden Schritten auf sie zukam. Er wechselte einen vielsagenden Blick mit seinen Leuten. Alle drei erhoben sich wie ein Mann. Das Interesse des Majors konnte nur eines bedeuten: Die Ruhepause war vorüber.
Rinaldi kam vor Feuertrupp Blutiger Dolch zum Stehen. Er nickte jedem Einzelnen grüßend zu und reichte im Anschluss Tian ein