Die Schamanin. Hans-Peter Vogt

Die Schamanin - Hans-Peter Vogt


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die Kirche der weißen Mittel-und Oberschicht.

      Der Berg geht oben in eine Art Hochland über, das wellig ist und aus dem sich einzelne Bergkuppen bis über 4000 Meter erheben. Dort liegt der Golfplatz. Es gibt einen Gelände-Reitparcours und Anlagen zum Spring-und Dressurreiten. Es gibt hier oben auch riesige Flächen von Solarmodulen, die den nötigen Strombedarf der Stadt ergänzen, und dort oben auf der Hochebene liegt auch der kleine Flugplatz der Stadt. Die Straßen sind steil und man kommt dort nur mit geeigneten Fahrzeugen hinauf. Im Winter geht hier ohne einen Geländewagen gar nichts.

      Oberhalb des höchsten Berges, auf dem die antike Stadt einmal gebaut worden war, senkt sich die Landschaft etwas ab und geht auch dort in eine Art Hochland über. Auf dieser Hochfläche liegt etwa 120 Km weiter aber auch jener Vulkan, der sich noch einmal 1.000 Meter über die Hochebene erhebt, und der einmal diese Königsstadt unter den Auswürfen von Vulkangestein und Asche begraben hatte.

      Dort oben gibt es eine Pferdezucht und noch ein Hotel, das von interessierten Besuchern aus Basislager für Bergtouren im Hochland genutzt wird. Dort ist Naturschutzgebiet. Es gibt Ranger, die über das Gebiet wachen. Es gibt Führungen. Jenseits der großzügigen Koppeln für Pferde aus der Zucht von Solveigs Onkel Nakoma findet man seltene Tiere, wie Bären, Riesengürteltiere oder den Berglöwen, wilde Hunde, Condore und wilde Lamas. Diese Hochebene erstreckt sich bis zu den Bergketten, die man übersteigen muss, wenn man zum Titicacasee oder nach La Paz hinüber wandern will. Es gibt da einige Pässe, wo das möglich ist, und viel weiter im Westen gibt es auch Straßen, welche die Regionalhauptstadt Cusco mit dem berühmten Titicacasee verbinden, also jener riesige Hochsee, dessen Ränder schon bei den Inkas dicht besiedelt waren.

      Nakoma, der ein Onkel von Solveig ist, der ist der Besitzer dieses Gestüts 20 Km südwestlich von Ciudad del Sol, und er hatte von der Regierung die Aufgabe erhalten, über dieses Naturschutzgebiet zu wachen. Er hatte dieses Gebiet einmal gekauft, mit der Auflage, hier für Ordnung und Einhaltung von Naturschutz und für den Erhalt der Arten zu sorgen. Der riesige Privatbesitz von über 25 tausend Quadratkilometern läuft bis hinüber nach Cusco und umfasst auch mehrere Seitentäler. Es gibt hier oben mehr als zwei Dutzend Ranger und es gibt Fremdenführer, welche die Besucher auf Pferden oder zu Fuß durch dieses Hochland führen. Bis auf einen kleinen Teil, der für die Zucht von Pferden genutzt wird, und wo die Farm und das hauseigene Hotel stehen, ist das komplette Gelände unbebautes Naturschutzgebiet. Allerdings gibt es hier oben einige Schutzhütten, die Solveigs Familie einmal angelegt hatte.

      Solveigs Familie ist hier so etwas, was man anderswo die Familie des Patrons nennt. Obwohl es andere Reiche Familien in der Stadt gibt, ist Solveigs Familie der Schutzpatron der Stadt, ohne deren Wissen und Genehmigung nichts möglich ist. Anders als bei anderen Patrons achtet die Familie von Solveig allerdings auf ein großes Gleichgewicht unter den Kräften, unter ihrer Führung. Anders wäre das nicht denkbar gewesen, denn schließlich wohnen hier auch bedeutende Politiker und Wirtschaftsgrößen, zumindest mit Zweitwohnsitz, die sich einmal in Ciudad del Sol eingekauft hatten, bevor dieser ganze Hipe rund um die alte Königsstadt entstanden war. So ist denn auch das “Weiße Ciudad del Sol” ein Stadtteil der Reichen, mit einer eigenen Schule, nur für die Kinder der weißen Oberschicht. Nun ja. Inzwischen ist dieses Credo aufgeweicht, durch den Einfluss von Leon und seiner Tochter Chénoa, die bei der Geburt von Solveig die geschäftsführende Direktorin aller süd-und mittelamerikanischen Aktivitäten der Company ist, die der Stiftung gehören, und deren Sitz in Berlin liegt. Das ist weit weg, aber bei multinationalen Firmen ist das so.

      Der Nordwesten Perus liegt ja in einer gemäßigten Klimazone, fern des Äquators. Es gibt es hier oben Berge, die auf über 6000 Meter aufsteigen. Früher lag auf den Gipfeln dieser Berge einmal ewiger Schnee, aber die globale Klimaerwärmung hatte diese Gletscher zum Schmelzen gebracht. In der Zeit, als Solveig geboren worden war, gab es dort nur noch vereinzelte Gletscher, welche die Berge auf der sonnenabgewandten Seite weiß leuchten ließen. Später fielen diese Gletscher dem Klimawandel ganz zum Opfer. Im Winter kann es hier oben dennoch sehr kalt werden. Manchmal 20 Grad Minus, und dann fallen immer noch Unmengen an Schnee, so dass die Besucher im Winter richtige Expeditionen mit Winterbiwaks und Schiern unternehmen können. Motorschlitten sind hier oben im Naturschutzgebiet untersagt, und auch die Jagd mit Schusswaffen ist hier verboten, aber die Ranger führen die Besucher immer wieder zu Fotoexkursionen, und solche Bilder von Bären, Riesengürteltieren, Pumas, Adlern, Geiern oder wilden Lamaherden sind äußerst beliebt. Von Frühjahr bis Herbst werden für diese Exkursionen hochgebirgstaugliche Pferde eingesetzt, die Nakoma da oben züchtet. Es gibt da eine robuste Hochland-Rasse aus kleinen ponyhaften Pferden mit dichtem Fell, die klettern können wie die Bergziegen, und es gibt eine äußerst edle Züchtung aus Mustangs und Arabern. Die Pferdezucht von Solveigs Onkel Nakoma hatte schon Weltruhm, als Solveig noch nicht geboren war.

      Solveigs Onkel Nakoma und seine Frau Mercedes, die Tierärztin ist, die züchten auf ihrer Ranch aber auch Hütehunde. Eine wilde Kreuzung aus mehreren Rassen, wie z.B. anatolische Hirtenhunde, irischen Wolfshunden, bulgarischen Karakatschans, australischen Shephards, Border Collies, belgischen Schäferhunden und Bobtails.

      Das sind richtige Arbeitshunde, und auf den Exkursionen im Hochland sind sie den Rangern ständige Begleiter, auch als Schutz vor Bären und dem Puma, der hier auch Berglöwe genannt wird.

      3.

      Ein Großteil der Einwohner arbeitet direkt oder indirekt für die Ausgrabung und für den Fremdenverkehr. Es gibt geschickte Handwerker, die indianische Kleidung herstellen und verkaufen. Es gibt Weber und Gerber. Es gibt Küchenhilfen und Bedienungen. Es gibt Fremdenführer und Seminarleiter. Es gibt auch eine große Wachmannschaft und es gibt die vielen indianischen Helfer der Archäologen, die da immer noch in dem noch unerforschten Gebiet der alten Königsstadt Meter für Meter freilegen. Natürlich gibt es auch die vielen Hotelangestellten, und auch die Wäschereien, die Banken und Versicherungen, Busunternehmen, Taxis und Makler leben vom Tourismus.

      Die gesamte Stadt ist durch diese Ausgrabung geprägt. Mehr noch: eine ganze Region, denn die Wirtschaft der Stadt schafft auch in anderen Regionen Arbeitsplätze, ob im produzierenden Gewerbe, in der Dienstleistung, im Handel, in der bäuerlichen Produktion oder im Tourismus. Auch die Banken profitieren von diesem ewigen Kreislauf des Geldes.

      Solveig ist also genau genommen „ein Kind dieser Ausgrabung“, denn diese bestimmt das gesamte Leben in der Stadt.

      Solveig wohnt unmittelbar neben der Klinik ihrer Eltern in einem dreistöckigen kleinen Haus, das wie alle Häuser der Indios einmal erdbebenfest gebaut worden war und einen kleinen Garten hat. Sie ist zu dreivierteln indianischer Herkunft und zu einem Viertel weiß, aber sie hat in ihrer Kindheit gelernt, sich als eine Indio zu fühlen. Sie trug in ihren Kinderjahren indianische Kleidung und sie spricht die Sprachen der Aymara (Bolivien) und der Quechua (Peru), die sich in einigen Dingen unterscheiden.

      Als sie noch sehr klein war, wurde sie von Mama stets in diesem Tuch herumgetragen, mit dem indianische Mütter ihre Babys am Körper tragen. Sie nahm dann unmittelbar an den Behandlungen teil, die ihre Mutter da mit ihren Patienten hatte. Sie wuchs in diese Klinik hinein. Es gab zwar ein Hausmädchen und ein Kindermädchen, aber auch ihre größeren Geschwister waren oft bei der Mutter in der Klinik. Bei den Indianern ist die Familie Teil des Lebens und des Arbeitens, und so bestand von Anfang an ein sehr enger und natürlicher Kontakt zu den Geschwistern, zu der Arbeit der Eltern und auch zu all den Patienten dieser Klinik.

      Gewiss, es gab Arbeiten, da wurde Solveig nicht mit hingenommen, etwa zu Untraschalluntersuchungen oder zu Rönt-genaufnahmen, und auch nicht zu Operationen, wo es um klinische Sterilität geht, aber es gibt etwas Besonderes, und das kam von Solveigs Mutter Clara.

      Clara hatte ihre geheimen Kräfte von Großvater Leon geerbt. Sie ist eine Heilerin, die in die Körper und die Gehirne fremder Menschen kriechen kann, um sich dort umzuschauen, und um dort heilende Prozesse zu stimulieren, und zu solchen Ausflügen nahm Clara ihre Kinder schon rechtzeitig mit. Die Kinder wuchsen praktisch in diese Kraft hinein, die man als Außenstehender meist als „heilende Hände“ bezeichnet.

      Sie wurden aber auch Zeuge, wenn Mama allerlei Mixturen anwendete, die aus dem Urwald des Amazonas stammen. Manchmal


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