Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im 2. Zyklus (E-Book). Marco Adamina

Jahrgangsübergreifendes Lehren und Lernen im 2. Zyklus (E-Book) - Marco Adamina


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in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen festgehalten, dass sich das Unterrichten in Mehrjahrgangsklassen als schwierig gestaltet und die Lehrpersonen den grossen Vorbereitungsaufwand beklagen. Singh und Elmiger (2017) weisen darauf hin, dass es wünschbar wäre, organisatorische Verbesserungen in solchen Klassen anzubringen, wie beispielsweise eine Erhöhung der Lektionenzahl oder die Aufteilung der Klassen für den Fremdsprachenunterricht (ebd., S. 64).

      Die Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern (BKD) hat ein Merkblatt mit Empfehlungen zur Organisation des Fremdsprachenunterrichts herausgegeben (BKD, 2019). Nebst der Empfehlung, parallele Mehrjahrgangsklassen in den Fremdsprachen in Jahrgangsklassen zu unterrichten, wird im Merkblatt festgehalten, dass grundsätzlich nicht mehr als zwei Niveaus gleichzeitig unterrichtet werden sollen. Für unser Projekt bedeutete dies, dass die Suche nach Schulklassen, in denen jahrgangsübergreifend Englisch oder Französisch unterrichtet wird, sich schwierig gestaltete.

      Empfehlungen zum Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen wurden auch von den beiden Lehrmittelverlagen (Schulverlag plus für Französisch sowie Klett und Balmer für Englisch) herausgegeben. Auf die Empfehlungen der beiden Verlage wird in den entsprechenden Kapiteln näher eingegangen.

      Seit der Einführung von zwei Fremdsprachen im Zyklus 2 haben sich in der Praxis verschiedene Varianten für den Unterricht in Mehrjahrgangsklassen herauskristallisiert. So werden beispielsweise Zusatzlektionen für Halbklassenunterricht gesprochen. Häufig wird der Fremdsprachenunterricht auch jahrgangsspezifisch eingeteilt, sodass beispielsweise alle Schülerinnen und Schüler des 3. Schuljahres über die einzelnen Mehrjahrgangsklassen hinweg zusammengenommen werden. Dann findet allerdings kein jahrgangsübergreifendes Lernen statt.

      Abschliessend kann zu den Rahmenbedingungen im Fremdsprachenunterricht festgehalten werden: Lehrpersonen im Zyklus 2 wurden und werden neben der allgemeinen Knappheit an Ressourcen (vgl. Breidenstein, 2014) mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Dazu gibt es im Fremdsprachenunterricht in Mehrjahrgangsklassen zusätzliche Differenzierungsmassnahmen zu bewältigen und zu meistern.

      1.4 Der Fokus der Unterrichtsanalysen: Vermittlung, Lernbegleitung, Aneignung

      Im Projekt geht, es wie einleitend ausgeführt, um die Frage, wie der Unterricht in der Mehrjahrgangsklasse organisiert ist, wie das jahrgangsübergreifende Lernen am gleichen Gegenstand arrangiert wird. Zudem rekonstruieren wir, wie der Lerngegenstand, d.h. die fachlichen und fachdidaktischen Aspekte, aufbereitet, eingeführt und vermittelt werden. Für die Beschreibung der Unterrichtsbeispiele wählen wir die Aspekte der Vermittlung sowie Lernbegleitung und Lernunterstützung durch die Lehrperson und der Aneignung durch die Lernenden.

      Lernbegleitung und -unterstützung bezeichnet Reusser (2019) als die «wichtigsten Professionalisierungs- und Entwicklungsaufgabe[n] von Lehrpersonen» (S. 157). Denn bei der Lernbegleitung stehen die «Tiefenstrukturen», die fachlichen und fachdidaktischen Aspekte, im Vordergrund. Die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und das unterschiedliche Vorwissen der Lernenden fordern die Lehrperson heraus. Insbesondere im Setting der Mehrjahrgangsklasse muss sie sich von einem «eng geführten Klassenunterricht […] verabschieden» (ebd.). Gefragt sind schliesslich «Kompetenzen der individuellen und gruppenbezogenen Lernunterstützung» (ebd.). «Dies heisst, flexibel auf wechselnde Bearbeitungsstände, Verständnisschwierigkeiten und Lernfortschritte einzugehen, Unterstützungsbedarfe zu erkennen und fachlich angemessene Hilfestellungen zu geben» (ebd.). Fachliche und fachdidaktische Grundlagen sind Voraussetzungen für eine zielführende Lernunterstützung. Die Lehrperson soll in der Lage sein, die Schülerinnen und Schüler individuell zu begleiten, dies vor dem Hintergrund einer grösseren Bandbreite an Lernvoraussetzungen in der Mehrjahrgangsklasse. Diese Problematik wird von Breidenstein (2014) aufgegriffen und unter institutionellen Bedingungen des Schulalltags diskutiert. Der Autor interessiert sich dafür, wie Lehrpersonen der Anforderung an individuelle Begleitung in einem Setting nachkommen, das sich vom «eng geführten Klassenunterricht» (Reusser, 2019, S. 159) verabschiedet hat. Breidenstein und sein Forschungsteam «fragen anhand der Beobachtung des praktischen Vollzugs individualisierten Unterrichts nach den zugrunde liegenden Handlungs- und Strukturproblemen» (Breidenstein, 2014, S. 36). Die Forschenden diskutieren die beobachteten Praktiken von Lehrpersonen unter dem Stichwort der «Knappheit der Ressource Lehrkraft» (ebd., S. 48). Nicht alle Lernenden können gleichzeitig hinsichtlich ihrer individuellen Fragen betreut und in ihrem Lernprozess begleitet werden. Gemäss Breidenstein wird «die Diskrepanz zwischen der Kapazität der Lehrperson und der Vielzahl der Schüleranfragen im individualisierten Unterricht nur […] durch eine gewisse Standardisierung der Schülertätigkeiten und damit der Problemstellungen» (ebd., S. 48) lösbar. Die Dezentrierung des Unterrichtsgeschehens, also die Tatsache, dass der Unterricht nicht mehr um die Erklärungen und Handlungen der Lehrperson, sondern auf das selbstständige und individualisierte Lernen und Arbeiten der Schülerinnen und Schüler hin organisiert ist, hat (neue) Praktiken der (Selbst-)Steuerung und (Selbst-)Kontrolle zur Folge. Das selbstständige Arbeiten der Lernenden geschieht durchwegs auf der Basis bereitgestellter Materialien wie Arbeits- resp. Aufgabenblätter und Lehrmittel. Breidenstein problematisiert diese Form des Lehr-Lernarrangements wie folgt: «Das konkrete Hantieren mit dem Material scheint gegenüber Lerninhalten bzw. -prozessen dominant zu werden» (ebd., S. 45). Ähnliche Beobachtungen machten bereits Liebers et al. (2008) in ihrer Untersuchung zur flexiblen Schuleingangsphase.

      Wie wir oben ausgeführt haben, bezieht sich die Diskussion über das (jahrgangsübergreifende) Lehren und Lernen wesentlich auf die Fähigkeiten der Lehrpersonen und die Qualität des Fachunterrichts. Welchen Sinn die Lernenden mit dem Lerngegenstand verbinden, welche Bedeutung der Lerngegenstand für sie und für ihr Lernen hat, wird weniger in den Blick genommen. Aus diesem Grund plädiert Pollmanns (2010) dafür, die Aneignungsseite des Unterrichts, d.h. die Lern- und Bildungsprozesse der Schülerinnen und Schüler, stärker zu beachten. Mit dem Begriff der Aneignung bezeichnet Pollmanns sowohl «die Art und Weise, in der [Schülerinnen und Schüler] Unterricht und ihre SchülerInnen-Rolle deuten» als auch die gleichzeitige Rekonstruktion der Bedeutungen, «die sie in der Auseinandersetzung mit dem unterrichtlichen Gegenstand entwickeln» (ebd., S. 108). Im Rahmen unseres Projektes erschliessen wir die Aneignungsseite des Unterrichts anhand von Interviews mit einzelnen Schülerinnen und Schülern, anhand von Gesprächen unter Schülerinnen und Schülern sowie anhand von Produkten und Lernspuren, die im Rahmen der Unterrichtseinheiten geschaffen wurden.

      1.5 Zu den einzelnen Beiträgen

      Im Projekt interessiert uns, wie der Lerngegenstand im jahrgangsübergreifenden Fachunterricht von den Lehrpersonen aufbereitet und arrangiert wird. Dies umschreiben wir in den einzelnen Kapiteln zu den fünf untersuchten Schulfächern als Vermittlung. Wir untersuchen auch, welchen Aktivitäten die Lernenden im Unterricht nachgehen, wie sie den Lerngegenstand verhandeln und welche Produkte sie im Rahmen der Unterrichtseinheiten erstellen. Damit diskutieren wir den Aspekt der Aneignung. Auf dieser Basis wird für die Leserin und den Leser deutlich, wie der Lerngegenstand in den konkreten Beispielen nachvollzogen werden kann und welche Herausforderungen sich daraus für den Unterricht ergeben. Im Fokus stehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die sich anhand der beobachteten Lektionen in den verschiedenen Schulfächern zeigen, und die fachspezifischen Besonderheiten und Kontextbedingungen, die sich daraus rekonstruieren lassen. Ziel ist es, einen Beitrag zur Auseinandersetzung um fachliche und fachdidaktische Aspekte des jahrgangsübergreifenden Unterrichts zu leisten, Lehrpersonen sowie Studierende der Grundaus- und Weiterbildung zu inspirieren und zu ermutigen, jahrgangsübergreifendes Lernen auf der Basis fachdidaktischer Grundlagen zu erproben, zu entwickeln und zu reflektieren. Die Analysen zeigen, dass die Gestaltung des Lernangebots stark nach Schulfach und didaktischen Vorgaben wie Lehrplan, Lehrmittel sowie Anweisungen und Empfehlungen der Bildungsverwaltung variiert.

      Die Fallbeispiele in den jeweiligen Kapiteln sind kontrastierend angelegt. Das bedeutet, dass sie unterschiedliche Aspekte der Aneignung, Vermittlung respektive des Lerngegenstandes fokussieren. Aufgebaut sind die einzelnen Kapitel entlang der Dimensionen Vermittlung, Aneignung und Lerngegenstand (Differenzierung, Beurteilung, kooperative Elemente im Unterricht usw.). Insofern sind die Ausführungen auch an die in der Fachdidaktik vermittelten zentralen Konzepte anschlussfähig. Die einzelnen Beiträge können als eigenständige


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