Hat China schon gewonnen?. Kishore Mahbubani

Hat China schon gewonnen? - Kishore Mahbubani


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Chance besitzt, 2024 wieder ins Weiße Haus einzuziehen. Im Juli 2021 schrieb Edward Luce: „Solange Donald Trump atmet, ist es wahrscheinlich, dass er 2024 erneut kandidieren wird … Die [Republikanische] Partei als Ganzes folgt inzwischen einer einzigen Wahrheit: Was immer Trump sagt, ist richtig. Auch wenn sich seine Meinung seit dem Frühstück schon wieder geändert hat.“ Wird Trump erneut Präsident, wird er das Land vermutlich wiederum aus multilateralen Abkommen und Organen (wie dem Pariser Abkommen und der WHO) herausführen, Verbündete (wie Frankreich und Deutschland) verächtlich machen, sie auffordern, mehr zu zahlen (wie Südkorea und Japan), oder die Zahl der Fachkräfte aus befreundeten Ländern wie Indien drastisch zusammenstreichen. Kann Amerika sich hinstellen und mit Gewissheit erklären, dass etwas Derartiges nie wieder geschehen wird? Wenn die Antwort darauf „Nein“ lautet, ist es dann für die meisten Länder nicht vernünftig, ihre Möglichkeiten, was die Auseinandersetzung zwischen Amerika und China anbelangt, sorgfältig abzuwägen?

      Der wahre Wettstreit zwischen Amerika und China wird nicht auf irgendwelchen ausländischen Schlachtfeldern ausgetragen werden, er findet vielmehr mitten im Herzen Amerikas statt. Bidens Hauptpriorität sollte darin bestehen, die drei Jahrzehnte wirtschaftlicher Stagnation vergessen zu machen, die die weiße Arbeiterklasse in ein „Meer der Verzweiflung“ gestürzt hat. Nur auf diese Weise kann er die Rückkehr eines Trump oder einer Trump-ähnlichen Figur verhindern. Und nur auf diese Weise kann langfristiges Vertrauen in Bidens Behauptung, Amerika sei wieder da, heranwachsen. All das bringt uns zu einem finalen Paradoxon: Amerikas Wirtschaft haucht man am besten neues Leben ein, indem man eng mit den anderen starken und dynamischen Volkswirtschaften des Planeten zusammenarbeitet, allen voran mit dem Land, das über die größte Mittelklasse der Welt verfügt – China. China kann Teil der Lösung für Amerikas innere Spaltungen sein.

      Doch auch wenn es logisch sein und dem gesunden Menschenverstand entsprechen mag, in Zusammenarbeit mit China die amerikanische Wirtschaft zu stärken und die Lebensumstände der Amerikaner zu verbessern, ist im heute in Amerika herrschenden politischen Klima ein derartiges Vorgehen absolut undenkbar. Allein schon der Vorschlag käme für die Regierung Biden politischem Selbstmord gleich. Und wenig überraschend tut sich die Regierung Biden schwer damit, auch nur die Schritte Trumps gegen China zurückzunehmen, die den amerikanischen Interessen schaden.

      Im April 2021 nahm ich an einer Podiumsdiskussion der Harvard Asia Conference zu den kommerziellen Beziehungen zwischen den USA und China teil. Mit mir auf dem Podium saßen Steve Orlins, Präsident des National Committee on United States-China Relations, sowie die beiden Harvard-Professoren Graham Allison und William Kirby. Erstaunlicherweise stimmten wir alle darin überein, dass Trumps Handelskrieg gegen China Amerikas Arbeitnehmern wie auch Amerikas Verbrauchern nicht geholfen habe. Das Handelsdefizit hatte er auch nicht reduziert. Oder der US-Wirtschaft geholfen. Kurzum: Der Handelskrieg war ein völliger Fehlschlag.

      Aber wenn es ein Fehlschlag war, warum hat die Regierung Biden die Maßnahmen dann nicht umgehend zurückgenommen? Ein ranghoher Regierungsvertreter sagte dazu, die USA würden die Handelssanktionen und die Strafzölle in Kraft lassen, um über Verhandlungsmasse zu verfügen. Einer der Diskussionsteilnehmer erklärte, das sei so, als erkläre man China: „Entweder geht ihr auf meine Forderungen ein oder ich schieße mir noch einmal in den Fuß.“

      Ganz offensichtlich sollte es in Amerikas Interesse liegen, sich nicht länger in den Fuß zu schießen. Aber will die Regierung Biden versuchen, Trumps China-Politik rückgängig zu machen, muss sie sehr klug und gewieft vorgehen. Die Republikanische Partei und andere China-Falken warten nur darauf, sich auf Biden zu stürzen und ihm eine schwache China-Politik vorzuwerfen. Die Regierung Biden benötigt politische Rückendeckung, um den Kurs gegenüber China zu ändern. Diese Rückendeckung ließe sich an drei Stellen finden:

      Zunächst einmal könnte die Regierung den Empfehlungen strategischer Denker wie Kissinger folgen. Kissinger zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er sehr vorsichtig agiert und zögert, einen amtierenden Präsidenten zu kritisieren, selbst wenn dessen politischer Kurs so offenkundig falsch ist, wie es 2003 beim Einmarsch im Irak der Fall war. Insofern ist es schon bedeutsam, wenn Kissinger sich leicht aus dem Fenster lehnt und warnt, man dürfe nicht zulassen, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und China weiter verschlechtern. Im April 2021 sagte er: „Wenn wir nicht zu einer Verständigung mit China gelangen … werden wir in eine Situation geraten, wie sie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg herrschte, in der dann also mehrjährige Konflikte auf unmittelbarer Basis gelöst werden, bis einer von ihnen ab einem gewissen Punkt außer Kontrolle gerät … Ein Konflikt zwischen Ländern, die über Hochtechnologie verfügen und über Waffen, die sich ihre Ziele selbst suchen und die den Konflikt von allein beginnen können, ohne dass eine Vereinbarung über Einschränkungen in irgendeiner Form existiert, kann nicht gut gehen.“

      Der amerikanische Journalist Peter Beinart schrieb in der New York Times über die Gefahr, wegen der Taiwan-Frage einen Konflikt anzuzetteln, und sagte, die Falken sollten sich fragen: „Wie viele amerikanische Leben sind Sie bereit aufs Spiel zu setzen, damit die USA offizielle diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen können?“ Kurzum: Als allerersten Schritt könnte die Regierung Biden Schärfe aus dem Wettstreit zwischen USA und China nehmen. Dabei helfen können ihr die Argumente im letzten Kapitel dieses Buchs.

      Zweitens: Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika propagiert, Amerika solle „Anstand und Achtung für die Ansichten der Menschheit“ zeigen. Insofern sollte die Regierung Biden die Ansichten der sechs Milliarden Menschen bedenken, die weder in Amerika noch in China leben. Kapitel 8 dieses Buchs geht auf die durchdachten und nuancierten Ansichten ein, die diese sechs Milliarden Menschen zu diesem Wettstreit haben. Während des Kalten Kriegs unterstützten – insbesondere in Westeuropa – die Nachbarn der Sowjetunion begeistert die Bemühungen Amerikas, den Einfluss der Sowjetunion zurückzudrängen. Bei China wären das heutige Äquivalent die 650 Millionen Einwohner der zehn ASEAN-Staaten in Südostasien. In dieser Region genießt Amerika weiterhin einen gewaltigen Vertrauensvorschuss, denn ASEAN, die nach der Europäischen Union zweiterfolgreichste Organisation der Welt, ist eine proamerikanische Kreation.

      Doch Amerika ignorierte diesen Vertrauensvorschuss und Chinas Einfluss nahm zu. Noch im Jahr 2000 war der Einfluss der USA deutlich größer. Woran lag das? Die amerikanische Volkswirtschaft war in absoluten Zahlen achtmal größer als Chinas. Die USA betrieben im Jahr 2000 mehr Handel mit den ASEAN-Staaten als China (134 Milliarden Dollar gegenüber 41 Milliarden Dollar). 2020 war Chinas Einfluss in den ASEAN-Ländern gewachsen. Woran lag das? Zum einen war die US-Wirtschaft nur noch 1,6-mal so groß wie Chinas, zum anderen war Chinas Handel mit ASEAN gewachsen (508 Milliarden Dollar gegenüber den 295 Milliarden Dollar der USA). All das geschah, weil die USA 6.000 Milliarden Dollar dafür ausgaben, unnötige Kriege im Nahen Osten zu führen, und China in der Zwischenzeit 2001 ein Freihandelsabkommen mit ASEAN vereinbarte. Kurzum: Der zentrale strategische Fehler, den die USA begangen haben, bestand darin, sich auf die militärische Dimension zu konzentrieren, während China unbeirrbar die wirtschaftliche Dimension im Blick behielt.

      Mit ASEAN als Fallstudie im Hinterkopf könnte die Regierung Biden argumentieren, dass es in Ostasien in Wirklichkeit um die Wirtschaft geht. Das würde bedeuten, dass Amerika nicht seine militärischen Anstrengungen, sondern seine wirtschaftlichen Bemühungen dort intensivieren sollte.

      Das alles führt uns zu dem dritten Argument, das die Regierung Biden anführen sollte: Der wahre Wettstreit zwischen Amerika und China wird in Ostasien auf dem Feld der Wirtschaft ausgetragen. Insofern muss Amerikas Wirtschaft mit Ostasien verbunden bleiben. Doch um dies zu erreichen, muss Amerika seine wirtschaftlichen Verbindungen zu China verstärken.

      Warum? Sollten sich die USA und China wirtschaftlich voneinander abkoppeln, würde dies dazu führen, dass sich die USA auch von Ostasien abkoppeln (da Chinas Wirtschaft extrem eng in die ostasiatische integriert ist). Umgekehrt könnte eine engere wirtschaftliche Verzahnung von USA und China zu einer stärkeren Verzahnung von USA und Ostasien führen. Eine derartige wirtschaftliche Verzahnung wäre die beste langfristige Garantie für eine starke und dauerhafte US-Präsenz in Ostasien, was der Sicherheit von Japan und Australien zugutekäme. Es ist paradox, aber der beste Weg, eine langfristige Präsenz der USA in Ostasien zu zementieren, besteht darin, den Handel mit allen großen Volkswirtschaften


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