Hat China schon gewonnen?. Kishore Mahbubani

Hat China schon gewonnen? - Kishore Mahbubani


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(wie etwa Trumps Handelskrieg) in sämtlichen Schlüsselbereichen ein Fehlschlag waren: Sie haben China nicht geschwächt, sie haben Amerika nicht gestärkt und sie haben Amerikas Freunde und Verbündete nicht mit an Bord geholt. Und sie sind gescheitert, weil Amerika nicht im ersten Schritt eine umfassende und durchdachte langfristige Strategie für den Umgang mit der größten geopolitischen Herausforderung in der gesamten Geschichte des Landes entwickelte.

      Es ist wichtig anzuerkennen, dass die China-Politik der Regierung Biden von einer Gruppe ehrenhafter Staatsdiener gelenkt wird, die sich bemühen, Amerikas nationale Interessen nach besten Kräften zu vertreten, und dabei nicht vergessen, welchen innenpolitischen Zwängen ein Kurswechsel in der China-Politik unterliegen würde. Die China-Politik der Regierung Biden mag sich nicht groß von der Politik der Regierung Trump unterscheiden, aber Amerikas Freunde und Verbündete erkennen, dass, während sich die zentralen Persönlichkeiten in der Amtszeit Trumps (Pence, Pompeo, Navarro) China gegenüber geradezu aggressiv verhielten (regelmäßig wurden schwere und gelegentlich auch grobe Beleidigungen vom Stapel gelassen), die zentralen Mitglieder der Regierung Biden (Blinken, Yellen, Sullivan und Campbell) konstruktiver und durchdachter begannen. Yellen legte beträchtlichen Mut an den Tag, als sie erklärte, die Zölle, die Trump gegen China erließ, würden „den amerikanischen Verbrauchern schaden“. Biden wiederum zeigte Mut, als er „pensionierte“ amerikanische Staatsdiener nach Taiwan schickte, um zu demonstrieren, dass Amerika wieder eine zentrale Übereinkunft zwischen Peking und Washington ehrt – dass Amerika nämlich mit Peking offizielle Verbindungen pflegt und inoffizielle mit Taipeh. Kurzum: Der stark antichinesische Konsens, der die amerikanische Politik erfasst hat, engt den Spielraum der Regierung Biden enorm ein, aber dennoch bemüht sie sich, einen stärker von der Vernunft getriebenen Kurs in der China-Politik einzuschlagen.

      Die sechs Milliarden Menschen außerhalb von Amerika und China würden einen derartigen Kurs freudig begrüßen. Der Großteil der Menschheit plagt sich mit großen gemeinsamen Herausforderungen herum, von der Corona-Pandemie bis hin zum Klimawandel. Keine zentrale globale Herausforderung lässt sich lösen, ohne dass China und Amerika mit an Bord sind. Und wenn die beiden Supermächte kooperieren, können Wunder wahr werden. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen: Würden Amerika und China gemeinsam verkünden, jeweils 50 Milliarden Dollar in die Hand zu nehmen und für dieses Geld alle 7,8 Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde impfen zu lassen, würde die Weltwirtschaft um 9.000 Milliarden Dollar wachsen – das entspricht 180 Dollar Ertrag für jeden Dollar, den Amerika und China ausgeben.

      Viele Leser mögen sich gegen einen derartigen Vorschlag sträuben, 50 Milliarden Dollar klingt schließlich nach einer Menge Geld. Aber als im April 2009 die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder in London zusammenkamen, um die Weltwirtschaft nach der globalen Finanzkrise (ausgelöst durch den Kollaps der New Yorker Bank Lehman Brothers) wieder anzuschieben, stellte China 50 Milliarden Dollar für die Rettung des globalen Bankensystems bereit. Insgesamt sagten die G20-Staaten über 1.000 Milliarden Dollar zu. 50 Milliarden Dollar, um die ganze Welt 2022 impfen zu lassen, sind eine bescheidene Investition. Könnten wir Amerika und China überzeugen, zumindest minimal wieder zu kooperieren, wäre die ganze Welt – und damit auch Amerikaner und Chinesen – besser dran.

       Kishore Mahbubani, Singapur, August 2021

      imageKapitel 1

       EINFÜHRUNG

      Eines ist gewiss: Der geopolitische Wettbewerb zwischen Amerika und China wird die nächsten ein, zwei Jahrzehnte weitergehen. Präsident Donald Trump läutete 2018 die erste Runde ein, aber dieser Zustand wird seine Amtszeit überdauern. Der Präsident hat mit seiner Politik Amerika in Bezug auf sämtliche Themen gespalten, mit einer einzigen Ausnahme: bei seinem Handels- und Technologiekrieg gegen China. Tatsächlich erhielt er für sein Vorgehen parteiübergreifend viel Zuspruch und in der amerikanischen Politiklandschaft bildete sich ein klarer Konsens heraus, dass China für Amerika eine Bedrohung darstellt.

      General Joseph Duford, Stabschef der US-Streitkräfte, sagte: „Ab ungefähr 2025 wird China vermutlich die größte Bedrohung für unsere Nation darstellen.“1 In der Zusammenfassung des 2018 erstellten Strategiepapiers der USA zur nationalen Sicherheit heißt es, bei China und Russland handele es sich um „revisionistische Mächte“, die danach streben, „die Welt nach ihrem autoritären Modell zu formen – und ein Vetorecht über die wirtschaftsbezogenen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen anderer Länder zu erlangen.“2 FBI-Direktor Christopher Wray äußerte sich so: „Wir versuchen, die China-Bedrohung nicht bloß als Bedrohung für den gesamten Staat, sondern für die gesamte Gesellschaft zu sehen … und ich glaube, sie wird uns eine Reaktion der gesamten Gesellschaft abverlangen.“3 Selbst George Soros, der Millionen Dollar für den Versuch ausgab, einen Wahlerfolg Trumps zu verhindern, hat Trumps China-Politik gelobt. Er sagte: „Die größte – und möglicherweise einzige – außenpolitische Leistung der Regierung Trump bestand darin, eine in sich schlüssige und wahrhaftig überparteiliche Politik gegen das China von Xi Jinping zu entwickeln.“4 Und er fuhr fort, es sei von der Regierung Trump richtig gewesen, China zum „strategischen Rivalen“ zu erklären.

      Doch obwohl das amerikanische Establishment Trumps China-Politik größtenteils begeistert unterstützte, wies seltsamerweise niemand darauf hin, dass Amerika einen gewaltigen strategischen Fehler begeht. Es hat sich nämlich in diese Auseinandersetzung mit China gestürzt, ohne sich zunächst eine umfassende und globale Strategie für den Umgang mit China zu überlegen.

      Der Mann, der mich darauf aufmerksam machte, zählt zu Amerikas größten strategischen Denkern – Dr. Henry Kissinger. Ich erinnere mich sehr lebhaft an das private Mittagessen, das wir beide Mitte März 2018 in einem Separee seines Klubs in Manhattan einnahmen. Ich hatte Sorge, dass der Termin abgesagt werden würde, weil für diesen Tag ein Schneesturm angekündigt worden war, doch trotz der Wetterwarnung tauchte Kissinger auf. Wir führten ein wunderbares Gespräch, das zwei Stunden dauerte. Um der Wahrheit Genüge zu tun, sagte er nicht wortwörtlich, dass Amerika eine langfristige Strategie für den Umgang mit China fehlt, aber das war die Botschaft, die er mir während unseres Essens vermittelte. Und das ist auch die zentrale Botschaft seines Buchs „On China“ [dt. Titel: „China: Zwischen Tradition und Herausforderung“, C. Bertelsmann, München, 2011].

      Ganz anders war es zu der Zeit, als sich Amerika auf den Kalten Krieg mit der Sowjetunion einließ. Damals ließ man sich die Angelegenheit zunächst gründlich und ausführlich durch den Kopf gehen. George Kennan war der Chefstratege, der Amerikas erfolgreiche Strategie zur Eindämmung der Sowjetunion (Containment-Politik) formulierte. Erstmals öffentlich erläutert wurde sie in dem berühmten Essay, den Kennan unter dem Pseudonym „Mister X“ in der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlichen ließ. Der sogenannte „X-Artikel“ beruhte auf Kennans „langem Telegramm“, das er im Februar 1946 verfasst hatte. Zu diesem Zeitpunkt leitete Kennan im US-Außenministerium den politischen Planungsstab, der langfristige strategische Planungen anstellte.

      Für die politischen Planungen im Außenministerium war von September 2018 bis August 2019 Professorin Kiron Skinner von der Universität Carnegie Mellon zuständig. Bei einer Podiumsdiskussion erklärte sie am 29. April 2019, ihre Abteilung sei, was den erneuten Aufschwung Chinas angehe, noch immer damit beschäftigt, eine Strategie auszuarbeiten, die so umfassend wie die ihres Vorgängers George Kennan ausfalle.

      Als ich für das Außenministerium von Singapur tätig war, gehörte es zu meinen Aufgaben, langfristige Strategien für die Regierung zu verfassen. Von Singapurs drei außergewöhnlichen Meistern der Geopolitik (Lee Kuan Yew, Goh Keng Swee und Sinnathamby Rajaratnam) habe ich dabei vor allem eines gelernt: Der erste Schritt zum Erstellen einer langfristigen Strategie besteht darin, dass man die richtigen Fragen stellt. Sind die Fragen falsch, werden auch die Antworten falsch sein. Und Rajaratnam hat mich gelehrt, dass es am wichtigsten sei, stets „das Undenkbare zu denken“, wenn man derartige Fragen formuliert.

      Im Geiste des „Das-Undenkbare-Denkens“ möchte ich zehn Themenbereiche


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