Maßmenschen. Ernst Schwenk
Der Kanal wurde nicht gebaut.
Eine völlig neue Art des Wiegens
1784 untersuchte Coulomb das physikalische Verhalten von Haaren und Seidenfäden. Er bemerkte, daß schon äußerst geringe Kräfte ausreichten, um diese in ihrer Längsrichtung zu verdrillen. Noch wichtiger war die Erkenntnis, daß die Stärke der Drehung genau proportional zur einwirkenden Kraft war. Das brachte ihn auf eine völlig neue Art des Wiegens: An einem senkrecht aufgehängten Seidenfaden befand sich eine Querstange mit zwei Hohlkugeln. Etwas tiefer war ein Spiegel angebracht. Bei der Annäherung elektrisch geladener Gegenstände an die Hohlkugeln verdrehte sich der Faden. Das Maß für die einwirkende Kraft war an einem gespiegelten Lichtstrahl abzulesen. Mit Hilfe dieser »Drehwaage« konnten selbst kleinste Gewichte und Kräfte mit bemerkenswerter Genauigkeit gemessen werden.
Die Coulombsche Drehwaage (1785) Figur 1: Das Instrument Figur 2: Die Aufhängung des Seidenfadens Figur 3: Die am Faden befestigte Querstange, am dem einen Ende eine Hohlkugel, am anderen ein kleiner Spiegel, der einen Lichtstrahl an eine außen angebrachte Skala wirft Figur 4: Vorrichtung zum elektrostatischen Aufladen der Kugel Figur 5: Gegenladung
Mit der »Coulombschen Waage« wurde es nun möglich, exakte quantitative Messungen auf den verschiedensten Gebieten (Elektrizität, Magnetismus, Luftwiderstand) durchzuführen. Besonders für die Untersuchung der elektrischen Gesetzmäßigkeiten war die Drehwaage von allergrößter Bedeutung. Mit ihrer Hilfe stellte Coulomb das später nach ihm benannte Grundgesetz der Elektrostatik auf. Es besagt, daß die zwischen zwei elektrischen Ladungen wirkende Kraft proportional den beiden Ladungen und umgekehrt proportional dem Abstand der Ladungen ist (das »invers-quadratische Abstandsgesetz«). Haben die Ladungen gleiche Vorzeichen, stoßen sie sich ab, bei ungleichen Vorzeichen entsteht eine gleich große Anziehungskraft. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß Coulomb für die Aufstellung dieses eminent wichtigen physikalischen Gesetzes lediglich drei Messungen benötigte. Er war nämlich überzeugt, daß hier eine Analogie zum Gravitationsgesetz vorliegen mußte. Nachdem die drei Messungen seine Vermutung bestätigt hatten, war für ihn der Beweis erbracht.
In den Jahren 1785 bis 1789 veröffentlichte Coulomb sieben weitere grundlegende Arbeiten auf den Gebieten Elektrizität und Magnetismus. Er zeigte, daß die Elektrizität an der Oberfläche eines geladenen isolierten Leiters lokalisiert bleibt und daß sie bei Berührung mit einem anderen Leiter infolge der elektrischen Abstoßungskräfte auf diesen übergeht. Die Funktion des Blitzableiters, der Elektrizitätsverlust an Spitzen und Kanten, die Herstellung künstlicher Magnete, all das waren neue Erkenntnisse, die das wissenschaftliche Gebäude der Elektrizitätslehre ungemein bereicherten.
Alle Ämter verloren
Aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste genoß Charles Augustin de Coulomb in Frankreich hohes Ansehen. Der König ernannte ihn zum Kommissar für die Organisation des Unterrichtswesens, als Generalinspekteur war er für die Gewässer und Quellen im ganzen Land verantwortlich. Kurz nach Ausbruch der Französischen Revolution wurde er in eine wissenschaftliche Kommission berufen, welche die Aufgabe hatte, ein neues Maßsystem auszuarbeiten. Als Standardmaß für die Längenmessung hatte die Kommission den vierzigmillionsten Teil des Meridians festgelegt – das noch heute gültige »Urmeter«. Mitten in die Arbeit platzte die Weisung des Jakobinerführers Maximilien de Robespierre (1758–1794), alle königstreuen Wissenschaftler sofort aus der Kommission und dem Staatsdienst zu entfernen. Coulomb verlor alle seine Ämter und den gesamten Familienbesitz. Er floh aufs Land, in die Gegend von Blois, wo er, wenn auch mit Einschränkungen, seine Forschungen fortsetzen konnte. Hier untersuchte er die elektrischen Eigenschaften von Flüssigkeiten, er stellte Magnete aus Nichteisenmetallen her und entdeckte die bis dahin unbekannte Tatsache, daß ein Magnet beim Erhitzen auf 700 °C seine magnetischen Eigenschaften verliert.
Als Napoleon im Jahr 1799 an die Macht kam, rehabilitierte er den verdienten Wissenschaftler. Coulomb wurde in die Ehrenlegion aufgenommen und in das Institut Français gewählt. Coulombs Traum war es, die elektrischen Kräfte für den Menschen nutzbar zu machen, um die Effektivität der Arbeit zu erhöhen und die körperlichen Anstrengungen zu vermindern. Mit seinen Forschungen hatte Coulomb wichtige Grundlagen für den Bau elektrischer Maschinen gelegt. Die Realisierung seiner Ideen erlebte er jedoch nicht mehr. Kurze Zeit nach der Veröffentlichung seiner abschließenden Denkschrift über den Magnetismus starb er am 23. August 1806 im Alter von siebzig Jahren. Noch heute gilt er in Frankreich als der bedeutendste Ingenieur seiner Zeit.
Französische Briefmarke (1986), herausgegeben zum 250. Geburtstag von Coulomb
Postkarte zum Andenken an Charles A.Coulomb
Das Coulombsche Gesetz und was sich sonst noch alles mit dem Namen Coulomb verbindet:
Das Coulombsche Gesetz besagt, daß die anziehende oder abstoßende Wirkung (Kraft) zweier punktförmiger elektrischer (oder magnetischer) Ladungen proportional ist dem Produkt ihrer Größen und umgekehrt proportional dem Quadrat ihres Abstands.
Coulomb-Anregung: Anregung eines Atomkerns durch ein vorbeifliegendes geladenes Teilchen
Coulomb-Barriere oder Coulomb-Wall: den Atomkern umgebender Potentialwall
Coulomb-Effekt: Ausdruck aus der Atomenergie
Coulomb-Energie: Teil der Bindungsenergie eines Moleküls
Coulombmeter oder Coulometer: (veraltete) Einheit des elektrischen Dipolmoments, auch: elektrostatisches Meßgerät (Voltameter)
Coulomb-Kraft: zwischen zwei Ladungsschwerpunkten herrschende Zentralkraft
Coulomb-Potential: elektrisches Potential einer punktförmigen Ladung
Coulombsches Reibungsgesetz: physikalisches Gesetz der Reibung
Coulomb-Spaltung: eine Art der Kernspaltung
Coulomb-Streuung: auf Wechselwirkung beruhende Streuung geladener Teilchen
Coulomb-Wechselwirkung: Wechselwirkung geladener Teilchen
Coulometrie: elektrochemisches Analysenverfahren
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