Maßmenschen. Ernst Schwenk

Maßmenschen - Ernst Schwenk


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mit Uransalz und legte sie, weil der Himmel bewölkt war, in eine Schublade, um auf besseres Wetter zu warten. Sicherheitshalber prüfte er nach ein paar Tagen, ob die Platten noch in Ordnung waren. Dabei bemerkte er zu seiner Überraschung, daß auf einer Platte wieder das Kreuz zu sehen war, sogar viel deutlicher, und das, obwohl diese Platte überhaupt nicht in der Sonne gelegen hatte. Woher konnte die Schwärzung stammen, etwa von dem Uransalz selbst? Mit größter Sorgfalt durchgeführte weitere Untersuchungen lieferten den Beweis: Alle Uransalze, auch das reine Uranmetall, senden eine Strahlung aus, welche die Fotoplatten sogar in absoluter Dunkelheit schwärzen. Becquerel hatte durch Zufall, Scharfsinn und Wachsamkeit die natürliche Radioaktivität entdeckt.

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      Die Schwärzung dieser Fotoplatte läutete das Atomzeitalter ein. In der unteren Hälfte die vagen Umrisse des Kupferkreuzes, oben eine handschriftliche Notiz des Entdeckers

      Daß diese Zufallsentdeckung eine neue Epoche der Menschheit einleiten würde, nämlich das Atomzeitalter, das konnte Becquerel nicht ahnen. Ihm war noch nicht einmal der Begriff »Radioaktivität« bekannt. Das von ihm beobachtete Phänomen betrachtete er als eine Art »langlebige Fluoreszenz«, eine Strahlung, die kurioserweise von einem Metallsalz ausging. Die Wissenschaft kannte ja schon mehrere Strahlenarten, die Radiowellen beispielsweise und das Sonnenlicht, das Leuchten der Glühwürmchen und das Phosphoreszieren verfaulenden Holzes. Warum sollte es nicht auch eine Art »Salzlicht« geben? Am 2. März 1896 berichtete Becquerel vor der Académie des Sciences über die Entdeckung einer natürlichen Strahlung des Elements Uran, welche ebenso wie die X-Strahlen des Herrn Kollegen Röntgen feste Körper durchdringen konnte. In mehreren Aufsätzen legte er weitere Beobachtungen über die »Becquerelstrahlen« vor. Als ein Echo ausblieb, verlor er das Interesse und wandte sich wieder seiner Fluoreszenzforschung zu.

      Woher kommt die Energie?

      Vielleicht wäre seine Entdeckung in Vergessenheit geraten, hätten sich die aus Polen stammende Marya Sklodowska (1867–1934) und der französische Physiker Pierre Curie (1859–1906), ihr Kollege und späterer Ehemann, nicht gefragt, woher denn die zwar geringen, aber deutlich meßbaren Energiemengen stammen, die vom Uran und seinen Verbindungen unablässig ausgestrahlt werden. Sie arbeiteten ungeheure Mengen uranhaltiger Pechblende auf in der Hoffnung, die unbekannte Energiequelle zu finden. Nach zwei Jahren konnten die beiden Forscher in den Comptes Rendus verkünden, daß sie aus 8000 kg Pechblende ein knappes Gramm eines neues Elementes isoliert hatten, von dem eine extrem starke Strahlung ausging. Das Element solle den Namen »Radium« – das Strahlende – erhalten.

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      Der Brief an die französische Akademie, in dem Becquerel seine Entdeckung beschreibt

      Die Entdeckung des Radiums brachte das hergebrachte Weltbild der Wissenschaft ins Wanken. Der Beweis war erbracht, daß die Atome eben nicht »atomos«, d. h. unteilbar, sind. Sie mußten aus noch kleineren Partikeln aufgebaut sein. Nun war Becquerels Interesse an den Uransalzen wieder geweckt. Er fand heraus, daß die radioaktiven Strahlen imstande waren, Gase zu ionisieren und elektrisch leitend zu machen. Das war insofern eine wichtige Entdeckung, als man nun diese Strahlen auch messen konnte, nämlich mit einem ganz einfachen Goldplättchen-Elektroskop.

      Das vergessene Glasröhrchen

      Für die Entdeckung der Radioaktivität erhielt Henri Becquerel im Jahr 1903 den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit dem Ehepaar Curie. Eigentlich hätten diese drei Forscher auch den Nobelpreis für Medizin verdient gehabt: Unabhängig voneinander entdeckten sie die physiologischen Wirkungen der radioaktiven Strahlen auf das lebende Gewebe, und zwar am eigenen Körper. Von Marie Curie persönlich hatte Becquerel anläßlich eines Besuches einige Milligramm Radium erhalten. Das achtlos in die Westentasche gesteckte Glasröhrchen hatte er bereits vergessen, als sich nach einigen Tagen an seinem Körper schwere Verbrennungen zeigten. Marie Curie, der er von seiner Vergeßlichkeit und ihren schmerzhaften Folgen erzählte, gestand, daß auch sie Verbrennungen an den Händen erlitten habe, als sie ungeschützt mit Radiumpräparaten gearbeitet hatte. Ihr Ehemann Pierre Curie griff dieses bis dahin unbekannte Phänomen auf und bestätigte durch einen Selbstversuch die zerstörende Wirkung der radioaktiven Strahlen auf biologisches Gewebe. Die gemeinsame Veröffentlichung der drei Forscher hatte zur Folge, daß sich drei Jahrzehnte später die Strahlentherapie des Krebses allgemein durchsetzen konnte.

      In seinen letzten Lebensjahren wurde Becquerel mit zahlreichen Preisen und Medaillen geehrt. Ausländische Akademien ernannten ihn zu ihrem Mitglied. Die Académie des Sciences wählte ihn 1908 zum Präsidenten und Sekretär auf Lebenszeit. Doch schon sechs Wochen später, am 25. August 1908, starb Becquerel im Alter von 56 Jahren auf seinem Landsitz Le Croisic in der Bretagne an den Folgen der Strahlenschäden, die er sich bei der Arbeit mit den radioaktiven Uransalzen zugezogen hatte.

       Dunkle Vorahnung

      War sich Henri Becquerel über die Folgen seiner epochalen Entdeckung im klaren? Daß er sie zumindest geahnt hat, geht aus einer Äußerung hervor, die er gegen Ende seines Lebens machte: »Ob die Wissenschaft schließlich so weit fortschreiten wird, daß sie die praktische Verwendung des ungeheuren Energievorrats zu nutzen vermag, dies ist eine Frage, auf die nur die Zukunft antworten kann. Man möge aber daran denken, daß die Elektrizität in den Anfängen der Forschung auch nur als reine Spielerei angesehen wurde, zu nichts nütze, als Kinder zu unterhalten, indem sie mit einer geriebenen Siegellackstange Papierschnitzel anzuziehen versuchen.«

      Siedendheiß und bitterkalt

      Die Temperaturskala des Anders Celsius (1701–1744)

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      Anders Celsius, schwedischer Astronom * 27. November 1701 in Uppsala25. April 1744 in Uppsala

      »Nachts Frost bis minus fünf Grad, Temperaturen tagsüber ansteigend auf Werte zwischen vier und acht Grad.« Täglich hören wir solche Informationen im Wetterbericht, und jeder weiß sofort Bescheid: Es handelt sich um Celsius-Grade.

      In den USA hätte diese Ansage eine ganz andere Bedeutung, denn dort werden die Temperaturen bekanntlich nicht in »Grad Celsius« (°C), sondern in »Grad Fahrenheit« (°F) gemessen.

      Nochmals anders müßte der Wetterbericht im wissenschaftlichen Sprachgebrauch lauten: »Nächtliche Tiefsttemperaturen bis 268,13 Kelvin ...«. Die international festgelegte Maßeinheit der »thermodynamischen« Temperatur ist nämlich das »Kelvin«.

      Man sieht: Die Bezeichnung »Grad« ist ohne Zusatz keineswegs eindeutig. Es gibt ohnehin ja noch zahlreiche andere Gradeinteilungen: Die geographische Länge und Breite, der Winkel, das Mostgewicht, die Härte der Edelsteine – alles wird in Graden gemessen.

      Nach diesem Exkurs in die ähnlich klingenden, aber total verschiedenartigen Fachgebiete Meteorologie (Wetterkunde) und Metrologie (Maß- und Gewichtskunde) kehren wir zurück zum Namen Celsius. So vertraut uns das Temperaturmaß »Grad Celsius« auch ist, so wenig bekannt dürfte für die meisten das Leben des Mannes sein, der dieser häufig benutzten Maßeinheit seinen Namen gab.

      Erbliches Interesse für Mond und Sterne

      Anders Celsius, 1701 in Uppsala geboren, wuchs mit den Gestirnen auf. Schon als Zehnjähriger kannte er die Namen der Sternbilder, mit dem Fernrohr seines Vaters betrachtete er die Mondkrater und wartete in den Augustnächten auf Sternschnuppen. Dieses bei Kindern seines Alters eher ungewöhnliche Interesse hatte er geerbt: Sowohl der Vater, Nils Celsius, als auch die beiden Großväter waren Professoren der Astronomie an der ältesten schwedischen Universität in Uppsala, einer Kleinstadt von (damals) 3000 Einwohnern.

      Als Anders Celsius die Schule verließ, war er schon fast ein perfekter Sternenkundler. Daß er später Astronomie studieren würde, war für ihn selbstverständlich. Der Vater, der keine allzu guten Erfahrungen mit den Universitäten gemacht hatte, wollte jedoch, daß der Junge


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