Liebeskrank. Kaspar Wolfensberger
Harmloses. Manchmal geht es um Leben und Tod. Da war zum Beispiel ein jung…
Sessel quietscht.
Moment. Jetzt muss ich Sie bitten, Ihr Gerät für einen Augenblick auszuschalten. Das ist off the record.
Es klickt zweimal.
Ist Ihnen nicht gut? Sie sind ja ganz weiss im Gesicht.
Alles in Ordnung?
Die Geschichte geht unter die Haut, nicht wahr? Mir geht es genauso: Es nimmt mich jedes Mal mit, wenn ich an die Tragödie denke. Erst sieb… (hustet), erst siebzehnjährig!
Räuspert sich.
Der Fall hat Frau Katz den Ruf gekostet.
Seufzt.
Dabei war sie eine hervorragende Person, wissen Sie. Sie nicken, war sie Ihnen ein Begriff?
Ach ja?
Seufzt erneut.
Der Ruf der Klinik wurde leider auch beschädigt. Es gab Schlagzeilen in der Tages- und der Boulevardpresse.
Klaps auf die Tischplatte.
(Aufgeräumt:) Nach Amsterdam stehen wir hoffentlich wieder besser da. Je nachdem, wie das Echo auf den Kongress ausfällt. Sie kommen doch auch, oder?
Ach so, stimmt. Schade.
Während ich fort bin, muss der Klinikbetrieb natürlich weitergehen. Dann ist Hundt allein zuständig.
Was haben Sie?
Doktor Hundt, mein Co-Chefarzt. Nachfolger von Frau Katz, wissen Sie. Ach so, Sie wundern sich bestimmt über die Namen! Ich weiss, ich weiss. Aber wir sind nicht die einzigen mit einem Chefärzte-Zoo. Den gibt’s auch anderswo: Frosch und Stoerk, beispielsweise. Nein, was sage ich: Froesch und Stork. Professor Franz Froesch, Chefarzt der Klinik am Schlossberg. Co-Chefarzt, zusammen mit Doktor Susanne Stork. Stork, die Koryphäe der Psychotraumatologie. Kennen Sie sie?
So? Sie sehen (lachend), gewisse Namen kann ich mir merken: die von Chefärzten. Die sind immer schön kurz, wissen Sie. (Scherzhaft seriös:) Es ist nämlich ein ungeschriebenes Gesetz, dass Psychiatrie-Chefärzte in unserer Region einen einsilbigen Namen tragen. Seit Generationen. Vielleicht sind Sie zu jung, um sich an alle zu erinnern: Gut, Klug, Rath, Scherz und Stolz. Das waren die Säulen unserer Psychiatrie. Damals noch mehrheitlich Schweizer. Heute ist die Schweizer Psychiatrie – fast hätte ich gesagt: Gott sei Dank – ja fest in deutscher Hand. (Räuspern.) Fragen Sie mich nicht, wieso. Hat sich einfach so entwickelt. Darüber müssen sich andere Gedanken machen, nicht unsereiner.
Moment! Damit das klar ist: Ich lebe seit über dreissig Jahren in diesem Land. Ich weiss, das hört man mir nicht an. Ich gehöre eben nicht zu den Grützi-Grützi-Deutschen, die sich einbilden, sie könnten dieses Idiom je lernen. Das masse ich mir nicht an, dass lasse ich hübsch bleiben. Mein Züricherdütsch wäre eine Beleidigung für alle Schweizer Ohren. – Wo waren wir? Ach ja, bei den grossen Namen. Den kurzen. Ja, die merkt man sich natürlich. Rath war eine internationale Grösse, auf den dürfen wir stolz sein. Das Rath-Syndrom, wissen Sie. Ist Ihnen als Wissenschaftsjournalist bestimmt ein Begriff, oder?
Eben. Ja, ja, das waren noch Chefärzte!
Seufzt wieder.
Sie sagen mir, wenn ich zu viel abschweife, ja?
Nun, was ich sagen wollte: Einen echten Chefarzt, so wie früher, finden Sie in der ganzen Region, vielleicht im ganzen Land nicht mehr. Einen echten Professor erst recht nicht. Aus einem einfachen Grund: Es werden nur noch Co-Chefärzte berufen. Auch an den Universitätskliniken: Co-Chefärzte, Co-Direktoren und Co-Professoren. Lauter subalterne Gestalten, aber keine echten Chefs mehr. Jeder immer nur zuständig für ein Teilgebiet, einen Forschungszweig, eine Spitalabteilung oder ein Klinikdepartement. Teile und regiere, das ist die Devise des Regierungs- und des Universitätsrats. Wie im alten Rom. Da mit nur ja keiner zu mächtig werde. Auch wenn sie es natürlich ganz anders begründen. Keine gute Idee, wenn Sie mich fragen. Es gibt keine saubere Linie, keine klare Zuständigkeit mehr. Keine Unité de doctrine. An der Universität werden kaum noch magistrale Vorlesungen gehalten.
Und die Klinikleitungen sind nicht etwa transparenter geworden. Im Gegenteil. Damit den Intrigen und Machtspielen so richtig Tür und Tor geöffnet werden, ist man auf die gloriose Idee gekommen, die Co-Chefärzte im Turnus zu Klinikdirektoren zu ernennen. Da versucht jeder, die Anordnungen seiner Vorgänger aufzuheben und so viele eigene Ideen wie nur möglich durchzuboxen. Nach zwei Jahren fängt dann alles von vorne an. Ich weiss, wovon ich rede. Kollege Hundt ist derzeit unser Direktor. Obwohl er erst seit einem Jahr Co-Chefarzt ist. Seit Frau Katz nicht mehr lebt.
Zieht durch die Nase hoch. Kurze Pause.
Kennen Sie übrigens die Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie? Die Professoren an unserer Universität? Wissen Sie, wie die alle heissen?
Nein? Müssten Sie aber!
Ich sag’s Ihnen: Scheu, Sorg, Trost, Blass und Kalt. Das sind unsere Psychiatrieprofessoren. Spricht Bände, nicht wahr? Früher hiessen die Grössen unseres Fachs noch Freud, Jung, Reich, Stolz und Rath. Heute Scheu, Sorg, Trost, Blass und Kalt. Ja, ja. Sie sollten sie mal sehen: Scheu, Sorg, Trost, Blass und Kalt, da würde Ihnen ein Licht aufgehen. Verzeihen Sie, ich bin ein Lästermaul. Für seinen Namen kann einer schliesslich nichts. Aber dennoch, Nomen est Omen.
Telefon klingelt.
(Unwillig:) Frau Mantel, ich … Ach so, Sie sind’s. – Ich bin besetzt, Herr Hundt. – Nein, ich …
(Hinter vorgehaltener Hand:) Entschuldigen Sie.
(In normaler Lautstärke:) Wenn’s nicht zu lange dauert. – Ja, ja. Worum geht es? – Mhm.
(Gelangweilt:) Was Sie nicht sagen. So, so. – Mhm, mhm. – Kleinen Moment, Herr Hundt. Ich muss nur kurz …
(Flüsternd, hinter vorgehaltener Hand:) Tut mir leid. Wir müssen leider Schluss machen. – Moment noch, warten Sie!
Seitenblättern.
(Flüsternd:) Hier: Geht das? Ja? Gut. Wiedersehen.
(Wieder lauter:) So, Herr Hundt, bin wieder da.
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