Wissenschaftliches Arbeiten im Wirtschaftsstudium. Beate Gleitsmann
schon einmal angefangen zu lesen. Aber ehrlich – ich finde das alles ziemlich verwirrend, viel Kleinkram. Und das Thema Plagiate macht mir ein bisschen Angst. Ich hoffe, dass das Seminar, das bei uns das Semester über begleitend angeboten wird, ähnlich wie bei David, mir hilft. Das Lesen allein führt irgendwie zu mehr Fragen als Antworten.“
Die vier saßen eine Weile sehr nachdenklich um den Tisch. Dann meinte Kevin: „Wir treffen uns doch sowieso jeden Freitag. Lasst uns doch in den nächsten Wochen einfach mal austauschen, was wir über das wissenschaftliche Arbeiten und die Erstellung einer Abschlussarbeit lernen. Bis zur Themenvergabe Mitte des Semesters sind es noch genug Freitage. Wenn wir jede Woche vielleicht eine oder anderthalb Stunden darauf verwenden, die einzelnen Themen aus den Kursen zu besprechen, müssten wir eigentlich ganz gut vorbereitet sein. Und dann, wenn es wirklich ans Schreiben geht, können wir einander helfen. Mein Problem war schon bei der Facharbeit die ‚Aufschieberitis‘ – das wird jetzt bestimmt nicht anders werden. Es wäre gut, wenn wir uns gegenseitig motivieren. Wie seht ihr das?“ Alle waren einverstanden.
„Okay!“, meinte Annkathrin, „Wenn ich das richtig sehe, dann ist wohl der Blockkurs nächste Woche, von dem Kevin gesprochen hat, die erste Veranstaltung zu diesem Bereich. Dann schlage ich vor, dass ich versuche, dort einen Platz zu bekommen. Und ich übernehme den nächsten Freitag als ersten Termin und berichte mal zu einem der Themen aus dem Kurs.“
Und so kam es, dass jeden Freitag um 20 Uhr auf dem Tisch in der „Letzten Klausur“ die Aufzeichnungen aus den verschiedenen Kursen ausgebreitet und ausgetauscht wurden. Jeder der vier Studierenden trug zum jeweiligen Thema bei, was sie gehört, gelesen und erarbeitet hatten.
2 Was ist wissenschaftliches Arbeiten?
„Und? Wie war der Kurs?“ „Fühlst du dich jetzt besser vorbereitet?“ „Erzähl mal!“ Annkathrin wurde mit vielen Fragen und großer Neugier empfangen, als sie am folgenden Freitag in die „Letzte Klausur“ kam. Sie grinste. „Ja, der Kurs war sehr interessant. Begonnen haben wir übrigens mit einer langen Diskussion über das Kaffeekochen.“ „Was?“ „So eine Zeitverschwendung!“ „Nix Zeitverschwendung! Ich habe dabei richtig etwas gelernt!“ „Wieso? Hast du keine Kaffeemaschine zu Hause?“
Beschreibung des wissenschaftlichen Arbeitens
„Nein, habe ich wirklich nicht, ihr wisst doch, dass ich Teetrinkerin bin. Aber es ging auch gar nicht darum, wie man Kaffee kocht. Die Dozentin hat das als Beispiel gewählt, um den Unterschied zwischen wissenschaftlichem Arbeiten und den normalen Alltagstätigkeiten deutlich zu machen. Wenn wir Kaffee kochen, dann so, wie wir es mal irgendwo gesehen, von unseren Eltern oder sonst jemandem gelernt haben. Wir nehmen so ungefähr einen Löffel oder ein Kaffeemaß pro Tasse, wobei Tassen natürlich unterschiedlich groß sein können. Manche gießen das Kaffeepulver einfach mit kochendem Wasser auf, manche bevorzugen eine Kaffeemaschine, manche eine Kaffeekanne mit einem Kaffeefilter. Darüber entscheidet vor allem der persönliche Geschmack. Die Erfahrung zeigt dann, dass mit der einen oder anderen Kaffeemarke der fertige Kaffee mehr oder weniger gut schmeckt. Aber sonst denken wir nicht viel darüber nach. In Kaffeefirmen wird da ganz anders vorgegangen. Da wird die Wasserqualität genau analysiert, da werden Kaffeesorten nach Gewicht genau gemischt – es wird kontrolliert vorgegangen, Verfahren und Ergebnis werden exakt protokolliert und zur Optimierung der Produktqualität genutzt.
Dieses Beispiel zeigt den Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Arbeiten und dem dadurch gewonnenen wissenschaftlichen Wissen und der Sammlung von Erfahrungen im Alltag. Es gab dazu ein Tafelbild, das habe ich euch mal kopiert:“
Merkmale | Alltagswissen | Wissenschaftliches Wissen |
Erwerb des Wissens | Erwerb durch Erfahrung, eigenes Handeln, „learning by doing“, Erzählungen.→ Wissenserwerb ist das Resultat zufälliger Ereignisse. | Wissen wird unter standardisierten Bedingungen erworben.→ Wissenserwerb ist das Resultat von methodisch kontrolliertem Vorgehen. |
Status des Wissens | Wissen ist an die Person gebunden. Persönliche Erfahrungen, eigene Meinung, Wertvorstellungen, Vorlieben, Interessen und Wünsche beeinflussen die Verwendung des Wissens.→ Wissen ist subjektiv. | Wissen ist von der Person getrennt. Eigene Erfahrungen, eigene Meinung, Wertvorstellungen, Vorlieben, Interessen und Wünsche dürfen die Verwendung des Wissens nicht beeinflussen.→ Wissen ist objektiv. |
Verwendung des Wissens | Häufige Verwendung ohne kritische Hinterfragung führt zu Handlungsroutinen, die den Alltag erleichtern. Wiederholung ohne kritisches Denken wird selbstverständlich.→ Traditionswissen | Kritisches Hinterfragen ist zentraler Bestandteil der Verwendung des Wissens. Erneute Verwendung des Wissens wird stets kritisch überprüft und ist auf Forschung ausgerichtet.→ Innovationswissen |
Vermittlung des Wissens | Formulierung ist unpräzise, mehrdeutig, zwecks schnellerem Verständnis werden häufig Beispiele und Metaphern genutzt.→ Alltagssprache | Formulierung ist präzise, eindeutig und sprach- effizient. Definitionen sind notwendig. Argumentation ist abstrakt und allgemeingültig. Beispiele sind nur zur Veranschaulichung einer allgemeingültigen Argumentation zulässig.→ Wissenschaftssprache |
Tab. 1: Unterschiede zwischen Alltagswissen und wissenschaftlichem Wissen
„Hey Annkathrin, das ist zwar eine echt coole Tabelle, aber so ganz verstehe ich das noch nicht. Ich will doch in meiner Abschlussarbeit keinen Kaffee kochen und auch keine eigene empirische Forschung betreiben. Ich mache auch keine Experimente oder ähnliches. Ich will NUR eine Literaturarbeit schreiben“, sagte David. „In meinem Fall kann ich das gar nicht gebrauchen. Ich muss doch nur zu einem Thema ein paar Bücher finden und die Meinungen zusammenstellen. Da muss ich doch nicht methodisch kontrolliert vorgehen, oder?“ „Doch! Genau das ist es!“, entgegnete Annkathrin. „Auch bei einer reinen Literaturarbeit musst du wissenschaftlich arbeiten, und das bedeutet, dass du schon bei der Literatursuche methodisch kontrolliert vorgehen musst. Auch bei der Suche nach Literatur darf kein Zufall vorkommen. Wenn du zufällig ein paar Bücher oder Artikel zu deinem Thema findest, dann reicht das eben nicht aus. Du musst so lange die Literaturrecherche kontrolliert betreiben, bis du die wesentlichen Literaturquellen zu deinem Thema gefunden hast. Im Seminar haben wir den Tipp erhalten, eine Literatursuchtabelle zu erstellen. Ich berichte Euch später, wenn wir bei Situationen der Literatursuche sind, wie Du das machst. Und dann solltest du grundsätzlich alles hinterfragen, was du liest. Dies gilt insbesondere für Quellenangaben – Literaturverzeichnisse und Belege können sehr fehlerhaft sein. Trau am besten keinem und prüfe alle Quellen und Seitenangaben selbst. Schließlich musst du noch darauf achten, dass deine eigenen Wünsche und Vorstellungen in deiner Arbeit nicht vorkommen. Alles, was du willst, meinst und dir wünschst, ist in einer wissenschaftlichen Arbeit verboten.
Stelle die Fakten zu deinem Thema objektiv dar und achte dabei auf alle deine Formulierungen. Bleib immer präzise, verwende keine Umgangssprache und sorge dafür, dass du spracheffizient schreibst, d.h. keine Wiederholungen in deiner Abschlussarbeit hast. Dazu gab es auch noch einen Tipp, den ich euch im Wortlaut mitgebracht habe“, sagte Annkathrin.