Baurecht Baden-Württemberg. Christoph Wassermann
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Hinweis
Die Anzahl der Phasen ist in der Literatur umstritten. So wird teilweise davon ausgegangen, dass sich die Abwägung nicht in vier, sondern in zwei[52] oder drei Phasen[53] vollziehe.
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(1) In der ersten Phase hat die Gemeinde die Belange zu ermitteln und das bedeutsame Abwägungsmaterial zusammenzustellen.[54] Die Gemeinde hat also die konkret von der städtebaulichen Zielsetzung betroffenen öffentlichen und privaten Belange zu erfassen.[55] Es handelt sich um eine diagnostische und prognostische Ermittlung, da aus den weit zu verstehenden Belangen sowohl gegenwärtige wie auch zukünftige Belange zu ermitteln sind.[56] Umfang und Tiefe der gemeindlichen Ermittlungspflicht hängen von den konkreten Umständen ab.
Hinweis
In räumlicher Hinsicht sind nicht nur die Belange zu ermitteln, die mit Grundstücken innerhalb des Plangebietes verbunden sind. Vielmehr müssen auch Rechtspositionen Dritter außerhalb des Plangebietes in die Bewertung einbezogen werden, soweit sie planbedingten, nicht nur geringfügigen Beeinträchtigungen ausgesetzt sind, die in einem adäquat-kausalen Zusammenhang mit der Planung stehen.[57] Dies wird unter dem Begriff des eigentumsrechtlichen Drittschutzes verstanden.[58]
Die Ermittlung der abwägungserheblichen Belange wird durch § 2 Abs. 3 BauGB geregelt und stellt daher eine formale Voraussetzung dar.
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(2) In der zweiten Phase werden die Belange eingestellt. Einstellen bedeutet die Einbeziehung der Belange in die Entscheidung und deren Berücksichtigung bei der Entscheidung.[59] In die Abwägung müssen alle öffentlichen und privaten Belange eingestellt werden, die „nach Lage der Dinge“ in die Abwägung einzustellen sind.[60]
Abwägungsbeachtlich sind i.d.R. alle schutzwürdigen Interessen und ferner solche gegenwärtigen oder zukünftigen Betroffenheiten, die mehr als geringfügig, in ihrem Eintritt zumindest wahrscheinlich und als abwägungsbeachtlich erkennbar sind. Je gravierender eine mögliche Betroffenheit abwägungserheblicher Belange ist, desto eingehender müssen die Ermittlungen sein.
Da das Einstellen eine notwendige Voraussetzung für die später erfolgende Bewertung ist, wird auch diese Phase von § 2 Abs. 3 BauGB erfasst und stellt somit ebenfalls eine formale Voraussetzung dar.
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(3) In der dritten Phase werden die abwägungserheblichen Belange bewertet. Die Gemeinde hat die objektiven Inhalte der Belange zu bestimmen und die einzelnen Belange zu gewichten. Dieses Gewichtungsgebot verlangt, dass jedem konkret abwägungsrelevanten Belang das ihm nach den rechtlichen Vorgaben zukommende objektive Gewicht beigemessen wird.[61]
Auch diese Phase wird von § 2 Abs. 3 BauGB erfasst. Dies folgt zum einen aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 BauGB, der den Ausdruck „bewerten“ enthält. Weiterhin stellt dieses Bewerten der einzelnen Belange keine Abwägung i.S.d. § 1 Abs. 7 BauGB dar. Es ist vielmehr ein Teil des Verfahrens vor der eigentlichen Abwägung. Daher handelt es sich auch bei dieser Phase um eine formale Voraussetzung.
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(4) Die vierte Phase stellt den Kern der Abwägung i.S.d. § 1 Abs. 7 BauGB dar. In dieser Phase wird entschieden, welchem Belang der Vorrang eingeräumt und welcher zurückgestellt wird, denn nicht alle Belange können bei der Abwägung gleichermaßen Berücksichtigung finden.[62]
Dies stellt die elementare planerische Entscheidung dar, in der entschieden wird, in welche Richtung sich eine Gemeinde städtebaulich geordnet fortentwickeln will. Es geht also um den inhaltlichen Ausgleich der einzelnen Belange. Aus diesem Grund handelt es sich um eine materielle Voraussetzung.
cc) Abwägungsfehlerlehre
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Hinweis
Der Abwägungsfehlerlehre kommt in der baurechtlichen Fallbearbeitung besondere Bedeutung zu und muss daher von Ihnen unbedingt beherrscht werden.[63]
(1) Das Spannungsverhältnis zwischen Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG
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Die Abwägungsfehlerlehre resultiert aus dem Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (und der Eigentumsfreiheit gemäß Art. 14 Abs. 1 GG) des Planbetroffenen und der Planungshoheit der Gemeinde gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG:[64]
Eine vollumfängliche gerichtliche Kontrolle der gemeindlichen Planung birgt die Gefahr in sich, dass die Gerichte ihre Vorstellungen von einer sachgerechten Planung an die Stelle der Erwägungen der gemeindlichen Planungsinstanzen und ihres Gestaltungsermessens setzen. Hierzu sind jedoch die Gemeinden als Planungsträger berufen und gerade nicht die Gerichte. Kollidieren objektiv gleichrangige öffentliche und bzw. oder private Belange miteinander, kommt dem Plangeber daher eine den Gerichten entzogene Letztgestaltungskompetenz zu. Planung setzt auf Grund der Multipolarität der Entscheidungsfindung einen autonomen Gestaltungs- und Bewertungsfreiraum voraus, der durch ein geringeres Maß gesetzlicher Programmierung und richterlicher Kontrollbefugnis geprägt ist. Planungsentscheidungen sind komplexe Verwaltungsentscheidungen. Sie sind auf die Lösung einer Vielzahl von sowohl Ziel-, wie auch Interessenkonflikten ausgerichtet und es wird ein Ausgleich vieler komplexer, teilweise entgegenstehender Interessen, bezweckt. Andererseits darf der Planungsvorgang nicht einer planungsrechtlichen Willkür unterliegen. Daher darf die gerichtliche Überprüfung zwar nicht schrankenlos sein, kommt aber zugleich nicht ohne ein Mindestmaß an inhaltlicher Prüftiefe aus.
Hinweis
Verwaltungsrechtliche Vorschriften enthalten i.d.R. ein Konditionalprogramm, in Form eines „wenn-dann-Schemas“ (Voraussetzung gegeben Rechtsfolge). Der Abwägungsvorgang hingegen stellt ein Finalprogramm[65] dar, das durch ein Mittel-Zweck-Schema gekennzeichnet ist: Der Zweck der Planung muss die eingesetzten Mittel rechtfertigen (Zweck der Planung eingesetzte Mittel).[66]
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Durch Rechtsprechung und Literatur ist daher eine Systematisierung der Gründe, die zu einer Verletzung des Abwägungsgebotes führen, erfolgt. Insgesamt gibt es vier Abwägungsmängel (Abwägungsfehlerlehre).[67] Abwägungsfehler kennzeichnen Verstöße gegen unverzichtbare Grundelemente des gemeindlichen Planungsermessens.[68]
Diese können sowohl den Abwägungsvorgang wie auch das Abwägungsergebnis betreffen: Sie können sich zum einen auf den Vorgang der Ermittlung der abwägungsrelevanten Belange und zum anderen auf den Bebauungsplan, der das Ergebnis der Gewichtung der Belange untereinander ist, beziehen.
JURIQ-Klausurtipp
Durch die Einführung des § 2 Abs. 3 BauGB enthält das BauGB zwei Vorschriften, die die Abwägung betreffen. § 2 Abs. 3 BauGB regelt als formelle Vorschrift den Vorgang der Ermittlung und Bewertung der abwägungsrelevanten Tatsachen. § 1 Abs. 7 BauGB regelt als materielle Vorschrift den gerechten Ausgleich der Belange