Baurecht Baden-Württemberg. Christoph Wassermann
des planerischen Gestaltungsspielraums bei der nachfolgenden Bestimmung der Planinhalte dar.[94] Dieser Spielraum ist durch die kommunale Selbstverwaltungsgarantie des § 28 Abs. 2 S. 1 BauGB gewährleistet.[95]
Hinweis
Die Konzeption der Gemeinde ist als Ausdruck ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit daher nicht i.e.S. kommunalaufsichtlich oder gerichtlich überprüfbar.[96] Geprüft werden kann nur, ob sich die Gemeinde innerhalb der Grenzen des Beurteilungsspielraums hält.
Für die in § 1 Abs. 3 BauGB genannte städtebauliche Ordnung sind allein öffentliche Belange maßgeblich. Öffentliche Belange, die für die städtebauliche Ordnung und Entwicklung relevant sein können, finden sich in § 1 Abs. 5 BauGB als allgemeine Planungsleitlinien, die durch § 1 Abs. 6 BauGB nicht abschließend („insbesondere“) aufgezählten besonderen Planungsleitlinien konkretisiert werden.[97]
JURIQ-Klausurtipp
Die Frage, ob ein Bebauungsplan erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 BauGB ist, kann daher erst nach der materiell-rechtlichen Prüfung, namentlich der allgemeinen und besonderen Planungsleitsätze, beantwortet werden. In einer Fallbearbeitung haben sie daher die folgenden Aufbaumöglichkeiten, wobei jede dieser Möglichkeiten stilistisch fehlerhaft ist:
1. Sie ziehen die materiell-rechtliche Prüfung in die Prüfung der Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 BauGB vor und prüfen dort inzident insbesondere die Beachtung der Planungsleitlinien.
Nachteile: Dies führt zu einer unschönen Inzidentprüfung und zu einer ebenso unschönen kopflastigen Prüfung. Ferner können Sie im Rahmen der Einhaltung der gesetzlichen Schranken nur noch oben auf die Prüfung der Erforderlichkeit verweisen.
2. Im Rahmen der Erforderlichkeit merken Sie an, dass ein Bebauungsplan nur dann erforderlich ist, wenn ihm keine zwingenden materiell-rechtlichen Regelungen entgegenstehen und dass dies erst nach der späteren Prüfung beantwortet werden kann. Danach prüfen Sie die Einhaltung der gesetzlichen Schranken. Im Anschluss stellen Sie dann fest, dass der Bebauungsplan demgemäß erforderlich bzw. nicht erforderlich war.
Nachteil und Vorteil: Diese Prüfung enthält einen in einem Gutachten unzulässigen Verweis nach unten, vermeidet jedoch die beiden Nachteile der ersten Möglichkeit.
Daher erscheint die zweite Möglichkeit für die Fallbearbeitung vorzugswürdig.[98]
Der Begriff der Erforderlichkeit wird ausgehend vom gemeindlichen Planungsermessen weit verstanden:
Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn nach den kommunalen Entwicklungsvorstellungen ein Vorgehen planerischer Art vernünftigerweise geboten erscheint.[99]
c) Verbotswirkung des § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB
172
Neben dem Gebot erforderliche Bauleitpläne aufzustellen findet sich in § 1 Abs. 3 BauGB auch das Verbot, dass nicht erforderliche Bauleitpläne nicht aufgestellt werden dürfen.[100] Diese Vorschrift entfaltet also eine Verbotswirkung, die die Frage der Planrechtfertigung, d.h. die Frage, ob ein Bebauungsplan aufgestellt werden durfte, betrifft.[101] Die Gemeinde unterliegt prinzipiellen Bindungen. Die städtebauliche Erforderlichkeit stellt somit eine Planungsschranke dar.[102]
aa) Verbot des Verstoßes gegen den Grundsatz der Planmäßigkeit
173
Verboten ist eine Bauleitplanung, die von keiner erkennbaren Planungskonzeption getragen und damit überflüssig ist, da das BauGB vom Grundsatz ausgeht, dass eine Bebauung nur aufgrund vorherigen Planung erfolgen soll (Grundsatz der Planmäßigkeit).[103]
Beispiel
Durch die Gemeinde wird ein im Außenbereich gemäß § 35 BauGB gelegenes Gelände als landwirtschaftliches Gebiet ausgewiesen, um abzusichern, dass der Abbau der dort vorhandenen Braunkohle nicht durch eine Bebauung mit Wohngebäuden erschwert wird.[104]
Dieser Bebauungsplan ist überflüssig, da im Außenbereich bereits gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eine landwirtschaftliche Nutzung zulässig und eine Bebauung mit Wohngebäuden unzulässig ist. An der bauplanungsrechtlichen Situation ändert sich durch den Bebauungsplan also nichts.
bb) Verbot der Vorratsplanung
174
Unzulässig ist auch eine Vorratsplanung.[105] Eine solche liegt vor, wenn sich die Festsetzungen des Bebauungsplans aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht oder nicht in absehbarer Zeit realisieren lassen[106] oder diese nicht vollzugsfähig sind.[107]
Beispiel
Die Festsetzungen eines Bebauungsplans können erst nach 30 Jahren realisiert werden, weil zuvor der Betrieb eines Kernkraftwerkes auf dem Gebiet eingestellt und die dort vorhandenen kerntechnischen Anlagen abgebaut werden müssen.[108]
cc) Verbot der Gefälligkeitsplanung
175
Die Erforderlichkeit fehlt weiterhin im Falle der Gefälligkeitsplanung. Hierbei werden die Festsetzungen nur vorgeschoben, um private Interessen zu befriedigen.[109] Zulässig ist es jedoch, wenn die Aufstellung eines Bebauungsplanes auf private Bauwünsche zurückgeht.[110] In der Praxis wird dies teilweise sogar die Regel sein.[111] Dies ist unbedenklich, wenn die Gemeinde mit dem Bebauungsplan nicht ausschließlich private Bauwünsche fördern, sondern die städtebauliche Entwicklung fortentwickeln will.[112] Unter den Begriff der Gefälligkeitsplanung fällt auch, wenn die Bauleitplanung lediglich dazu dient eine Fehlentwicklung im Interesse der Grundstückseigentümer nachträglich zu „legalisieren“ oder zu ermöglichen, ohne dass zugleich städtebauliche Gründe für eine solche Änderung sprechen.[113]
Beispiele
Unzulässig ist die Schaffung von Bauland zur Erhöhung des Grundstückswertes für die Eigentümer, obwohl kein objektiver Bedarf an Bauland besteht.
Zulässig ist es hingegen, wenn auf Anregung eines Kaufhauskonzerns auf dem Gelände einer ehemaligen Kohlenzeche ein Bebauungsplan für ein Sondergebiet „Warenhaus“ nach § 11 Abs. 3 BauNVO mit 16 000 m² Verkaufsfläche aufgestellt wird.
dd) Verbot der reinen Negativ- bzw. Verhinderungsplanung
176
Verboten ist auch die reine Negativ- bzw. Verhinderungsplanung.[114] Ein generelles Verbot negativer Planung existiert jedoch nicht, da mit jeder positiven Festsetzung in einem Bebauungsplan zugleich auch der Ausschluss einer nicht zugelassenen Festsetzung enthalten ist. Zulässig ist eine Negativplanung, wenn sie auf einem einseitig ausschließenden städtebaulichen Gesamtkonzept beruht.[115] Unzulässig ist jedoch eine Negativplanung dann, wenn sie sich allein in der Verhinderung bestimmter Vorhaben erschöpft, sie also keinen Beitrag zu einer positiven städtebaulichen Entwicklung leistet,[116] sie also nicht nur eine Verhinderungsplanung, sondern vielmehr eine reine Verhinderungsplanung ist. Die getroffenen Festsetzungen müssen nur ein vorgeschobenes Mittel sein, um einen Bauwunsch zu durchkreuzen.[117]
Beispiel
Unzulässig ist es, wenn die Gemeinde A im Außenbereich gemäß § 35 BauGB ein reines Wohngebiet ausweist, nur um einen Windenergiepark zu verhindern.[118]
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