Europäisches Prozessrecht. Christoph Herrmann
vor dem EuGH
G. Ausblick: Auswirkungen des Brexits
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Der GHEU ist ein EU-Organ (Art. 13 I UA 2 EUV) und nach Art. 19 I EUV der zentrale Akteur im Rechtsschutzsystem der EU. Er hat seinen Sitz in Luxemburg. Seine Hauptaufgabe ist es, die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane zu überprüfen und eine einheitliche Auslegung und Anwendung des von den Organen und EU-Institutionen gesetzten Rechts zu gewährleisten (vgl. Rn. 116 ff.).
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Der GHEU umfasst momentan zwei Gerichte, 75 Richter, elf Generalanwälte und zwei Kanzler, die von ca. 2.200 Bediensteten (davon knapp 700 Stellen im Sprachendienst) in der Verwaltung unterstützt werden.[1] In den Jahren zwischen 2012 und 2017 gingen am Gericht durchschnittlich etwa 900 Rechtssachen ein und wurden etwa 800 Rechtssachen erledigt. Beim Gerichtshof gingen ca. 700 Rechtssachen ein und wurden ebenso viele erledigt.[2]
§ 3 Der Gerichtshof der EU › A. Rechtsgrundlagen
A. Rechtsgrundlagen
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Die Rechtsgrundlagen für die Aufgaben und die Organisation der Unionsgerichte finden sich verstreut in den Verträgen sowie in der Satzung des GHEU und den Verfahrensordnungen der Gerichte.
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Primärrechtlich wird der GHEU durch die Art. 13, 19 EUV und die Art. 251 ff. AEUV ausgestaltet. In anderen Teilen des AEUV finden sich vereinzelte Regelungen, z.B. in Art. 218 XI AEUV. Auch die auf Grundlage des Art. 281 AEUV von den Mitgliedstaaten erlassene Satzung des GHEU (GHEU-Satzung)[3] steht als Protokoll Nr. 3 zu den Verträgen nach Art. 51 EUV im Rang des Primärrechts, kann aber einfacher geändert werden (Art. 281 II AEUV). Die Satzung enthält Regelungen zur Zusammensetzung, zur Organisation und zu den wesentlichen Verfahrensvorschriften der beiden Gerichte.
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Daneben konkretisieren die Verfahrensordnungen des Gerichtshofs (VerfO-EuGH)[4], des Gerichts (VerfO-EuG)[5] und der etwaigen Fachgerichte (vgl. Art. 257 V 1 AEUV) die primärrechtlichen Vorschriften. Ihre Rechtsgrundlagen finden sich im Primärrecht, sodass sie als sekundärrechtliche Rechtsakte sui generis eingeordnet werden.[6] Die Gerichte geben sich die Verfahrensordnung selbst; der Rat muss ihnen mit qualifizierter Mehrheit zustimmen.
§ 3 Der Gerichtshof der EU › B. Aufbau der Unionsgerichtsbarkeit
B. Aufbau der Unionsgerichtsbarkeit
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Das Rechtsprechungsorgan der EU besteht nach Art. 19 I UA 1 EUV aus zwei primärrechtlich festgeschriebenen Gerichten, dem Gerichtshof (EuGH) und dem Gericht (EuG).
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Die Errichtung von Fachgerichten ist der EU freigestellt. Als bisher einziges Fachgericht wurde im Jahr 2005 das Gericht für den öffentlichen Dienst (GöD) errichtet. Im Rahmen der Reform des Gerichtshofs wurde das GöD im Jahr 2016 wieder aufgelöst und seine Zuständigkeit an das EuG übertragen.
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Bei funktionaler Betrachtungsweise stellen darüber hinaus die mitgliedstaatlichen Gerichte einen Teil der Unionsgerichtsbarkeit dar, soweit sie die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts in den nationalen Rechtssystemen, insbesondere im Rahmen des indirekten und mittelbaren Vollzugs des Unionsrechts gewährleisten (vgl. Rn. 49) Auch als Akteure im Vorabentscheidungsverfahren werden die mitgliedstaatlichen Gerichte nicht zu Organteilen des GHEU, sondern verbleiben in der Organisations- und Personalhoheit der Mitgliedstaaten.
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Selbst auf völkervertragsrechtlicher Grundlage errichtete gemeinsame Gerichte von EU-Mitgliedstaaten können Teil des unionalen Rechtsschutzsystems werden, wenn sie die Stellung mitgliedstaatlicher Gerichte einnehmen und der Wahrung des Unionsrechts dienen (vgl. Rn. 425). Problematisch ist diesbezüglich vor allem, inwieweit das gerichtsschaffende Völkerrecht die Monopolstellung des GHEU zur Wahrung der Einheitlichkeit des Unionsrechts berücksichtigt, und ob mitgliedstaatlichen Gerichten im Zuständigkeitsbereich dieser internationalen Gerichte die Vorlageberechtigung genommen werden kann.[7] Die bevorstehende Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts durch das Europäische Patentgerichtsübereinkommen[8], das die verstärkte Zusammenarbeit einiger EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf ein einheitliches EU-Patent flankiert, wirft u.a. eben diese Fragen auf.
I. Gerichtshof (EuGH)
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Der Gerichtshof (ursprünglich: Europäischer Gerichtshof) wurde durch den EGKS-Vertrag im Jahr 1952 gegründet. Im Jahr 1958 wurde er für die EWG und die EAG errichtet und durch das Fusionsabkommen von 1957[9] zugleich rechtlich für alle drei Gemeinschaften vereint. Er war bis zur Errichtung des Gerichts erster Instanz als einziges Gericht zugleich EU-Organ, was später eine Differenzierung zwischen dem Organ (GHEU) und den das Organ konstituierenden Gerichten (auch als Teilorgane bezeichnet) notwendig machte.
1. Zusammensetzung
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Der Gerichtshof besteht aus 28 (bzw. ggfs. 27 nach dem Brexit) Richtern und elf Generalanwälten. Sie werden jeweils von einem eigenen Mitarbeiterstab, den sog. Kabinetten, unterstützt. Daneben sorgt der Kanzler (Art. 253 V AEUV, Art. 18 ff. VerfO-EuGH) als „Generalsekretär“ des Gerichtspräsidenten mitsamt der Verwaltung des Gerichtshofs für die Erledigung der gerichtsorganisatorischen Aufgaben (vgl. Art. 20 VerfO-EuGH).
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Die Richter des EuGH, einer je Mitgliedstaat (Art. 19 II EUV), werden von den Mitgliedstaaten im Europäischen Rat einvernehmlich und für sechs Jahre ernannt. Zuvor gibt der in Art. 255 AEUV vorgesehene Ausschuss seine nicht verbindliche Stellungnahme zur Eignung der Bewerber für die Ausübung des fraglichen Amtes ab. Die Richter müssen jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder sonst hervorragend befähigt sein (Art. 253 I AEUV). Die Richter des Gerichtshofs wählen aus ihrer Mitte für die Dauer von drei Jahren den Präsidenten des Gerichtshofs mit der Möglichkeit der Wiederwahl (Art. 253 III AEUV). Der Präsident leitet die rechtsprechende Tätigkeit sowie die Verwaltung des Gerichtshofs und führt den Vorsitz in den Sitzungen