Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
nur dann die Nichtigkeit des Vertrages, wenn der Zweck des Gesetzes anders nicht zu erreichen ist und die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann. Im Ergebnis wird die Nichtigkeitsfolge daher häufig verneint (vgl zB § 15 Abs. 5 KWG), soweit sie nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist. Von der Qualifikation als Verbotsgesetz zu unterscheiden ist die Frage nach dem Charakter als Schutzgesetz iSv § 823 Abs. 2 BGB[140]. § 134 BGB soll einen bestimmten rechtsgeschäftlichen Erfolg wegen des „Wie“ des Zustandekommens des Inhalts des Rechtsgeschäfts verhindern, § 823 Abs. 2 BGB dient dem Individualrechtsschutz.
Bei der Eintragung in die Handwerksrolle in Fall 2 (Rn 2) hielt der BGH die öffentlichrechtlichen Möglichkeiten des Einschreitens für ausreichend[141], so dass die fehlende Eintragung in die Handwerksrolle die Wirksamkeit der mit Kunden eingegangenen Verträge nicht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Verbotsgesetz[142], so dass sich daraus eine Nichtigkeit des Vertrages ergeben kann. Bei den Erlaubnispflichten für das Reisegewerbes hielt der BGH die zivilrechtlichen Widerrufsmöglichkeiten bei Haustürgeschäften als ausreichend[143]. Kontrovers und teilweise differenziert werden die Konsequenzen des Fehlens einer Bankerlaubnis nach § 32 KWG beurteilt[144]. Der Verstoß gegen Anordnungen der BaFin führt dagegen nicht zur Nichtigkeit entsprechender anordnungswidrig abgeschlossener Verträge[145].
§ 1 Wirtschaft und Verwaltung › III. Öffentliches Wirtschaftsrecht als Referenzgebiet des (allgemeinen) Verwaltungsrechts
1. Das öffentliche Wirtschaftsrecht als Motor einer Verwaltungsrechtsmodernisierung
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Das Wirtschaftsverwaltungsrecht lässt sich in mehrfacher Hinsicht als „Referenzgebiet“ für das allgemeine Verwaltungsrecht und das Verfassungsrecht bezeichnen. Reformentwicklungen beginnen immer häufiger nicht mehr im Umwelt-, sondern im Wirtschaftsverwaltungsrecht. Dies zeigt sich an der Diskussion um Privatisierung und Deregulierung, um neue Formen der Kooperation von Staat und Privaten und vor allem am Einsatz von Marktinstrumenten als Ausdruck einer „Ökonomisierung“ des Verwaltungsrechts[146]. Privatisierung darf also gerade nicht mit einem Abschied vom (Wirtschafts-)Verwaltungsrecht gleichgesetzt werden. Ganz im Gegenteil werden gerade durch die Privatisierung dem Wirtschaftsverwaltungsrecht neue, praktisch bedeutsame und auch aus anwaltlicher Sicht interessante Bereiche erschlossen.
Die Entstehung des Telekommunikationsrechts steht für den wohl wirtschaftlich bedeutsamsten Fall eines Abbaus staatlicher Monopole bzw ihrer Überführung in einen privaten, aber eben staatlich beaufsichtigten Markt (s. Rn 23). Genauso anerkannt ist seine Bedeutung für die verwaltungsrechtliche Systembildung[147]. Aber auch über das Telekommunikations- bzw „Regulierungsrecht“ hinaus stellt das öffentliche Wirtschaftsrecht das allgemeine Verwaltungsrecht vor neue dogmatische Herausforderungen. Dies gilt für die Public Private Partnership (s. Rn 621 ff) genauso wie für die rechtlichen Anforderungen an staatliche Allokationsentscheidungen, für die die Versteigerung von Frequenzen nur das prominenteste und keinesfalls genuin „telekommunikationsrechtliche“ Beispiel darstellt (s. unten Rn 554 ff). Dieser Einsatz von Marktmechanismen für staatlich gelenkte Verteilungsentscheidungen findet im Emissionshandel eine konsequente Fortsetzung. Insoweit muss auch das Verwaltungsverfahrensrecht auf die neuen Kooperations- und Handlungsformen reagieren, nicht zuletzt zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich gebotenen „Grundrechtsschutzes durch Verfahren“[148].
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Selbst „klassische“ Materien des öffentlichen Wirtschaftsrechts sehen sich gezwungen, auf technische Veränderungen zu reagieren. Die Verbreitung des Internet verschärft viele traditionelle Probleme bis hinein in den Bereich des Datenschutzes. Die Gewerbetätigkeit mittels Internet, der „Electronic Commerce“, wirft nicht nur die Frage nach der Anwendung wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Normen zB auf Internetversteigerungen, Internetglücksspiel etc. auf[149], sondern erweist sich zunehmend als dogmatische Herausforderung für das traditionell vom territorialen Denken geprägte öffentliche Recht. So bedarf es der Begründung, warum eine niederländische Internetapotheke an die deutschen Vorschriften über den Arzneimittelhandel gebunden sein soll. Diese Fragen setzen sich fort im Bereich der internationalen Wirtschaftsaufsicht, wo sich im Kapitalmarktrecht unter dem Einfluss des Europarechts ein „transnationales Verwaltungsrecht“ entwickelt hat (s. Rn 500) und sich insbesondere im Telekommunikationsrecht Strukturen eines Kooperationsverwaltungsrechts herausbilden (s. Rn 182). Neben dem Umweltrecht ist damit das öffentliche Wirtschaftsrecht auch das wichtigste Referenzgebiet für die Europäisierung des Verwaltungsrechts. Es illustriert ferner die zunehmende Bedeutung der Rechtsvergleichung (s. Rn 18).
2. Das allgemeine Verwaltungsrecht als Schlüssel zur Strukturierung des öffentlichen Wirtschaftsrechts
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Der Einfluss des Wirtschaftsrechts auf das allgemeine Verwaltungsrecht ist allerdings keineswegs eine Einbahnstraße. So können die Strukturen des allgemeinen Verwaltungsrechts auch umgekehrt herangezogen werden, um neue rechtliche Herausforderungen auf dem Gebiet des öffentlichen Wirtschaftsrechts zu bewältigen. Dies gilt nicht nur für die Grundsätze des Verwaltungsverfahrens, sondern vor allem für die verwaltungsrechtliche Handlungsformenlehre, die gerade auch im öffentlichen Wirtschaftsrecht den Rahmen für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts abgibt[150].
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Diese ordnungsstiftende Funktion greift weit über das traditionelle Wirtschaftsverwaltungsrecht und das sog. Regulierungsrecht (s. Rn 23 ff) hinaus. Die materielle Publifizierung[151] erfasst nicht nur die traditionell dem fiskalischen Handeln zugeordnete Auftragsvergabe[152], sondern auch das Kartellrecht, dessen (partielle) Zugehörigkeit zum öffentlichen Recht dadurch stärker ins Bewusstsein tritt[153].
Anmerkungen
Maurer, AVerwR, § 2 Rn 2.
Zur „konstitutionellen Homogenität von Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung“ s. Karpen, Jura 1985, 188, 189 f; Schmidt-Preuß, DVBl 1993, 236, 240.
S. auch Papier, FS Selmer (2004), 459 ff.
Dieser These liegt ein formaler Verfassungsbegriff zugrunde (in Deutschland GG und ungeschriebenes Verfassungsrecht, für die EU das primäre Unionsrecht), s. zum Unionsrecht auch Ruthig, in: Beckmann/Dieringer/Hufeld, Eine Verfassung für Europa, 2. Aufl. 2005, S. 452, 454 f. Ausf zum Streit um den Begriff der Wirtschaftsverfassung Rittner/Dreher, § 2 Rn 9 ff.
So die einprägsame Formulierung