Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht II. Ulrich Falk

Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht II - Ulrich Falk


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Hierzu zählt insb. der Verkehrskreis, dem der Handelnde angehört.[41] Der Verkehrskreis der neunjährigen R ist durch ihre Altersgruppe vorgegeben. Bzgl. der Fahrlässigkeitsmerkmale, insb. Vorhersehbarkeit der Gefahr, Vermeidbarkeit des schädigenden Ereignisses und auch Zumutbarkeit des Verhaltens, ist nicht auf die individuellen Fähigkeiten des Kindes abzustellen, sondern darauf, ob ein normal entwickeltes Kind dieses Alters die Gefährlichkeit dieses Tuns voraussehen und dieser Ansicht gemäß hätte handeln können.[42]

      R konnte als Neunjährige die Gefahr des freihändigen Fahrens möglicherweise schon einschätzen. Jedoch muss auch das Verhalten des K berücksichtigt werden. K ist erwachsen und wurde von den Eltern der R als Aufsichtsperson bestimmt. Er hat R nicht von ihrem Verhalten abgehalten, sondern sie sogar dazu ermuntert, freihändig Rad zu fahren, indem er ihre Geschicklichkeit lobte. Es entspricht dem normalen Verhalten einer Neunjährigen, dass sich diese auf den Ratschlag des sie beaufsichtigenden Erwachsenen verlassen darf und muss.

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      Ergänzender Hinweis:

      3. Anspruch auf Schadensersatz aus § 829 BGB

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      II. Ansprüche des B gegen K

      1. Anspruch auf Schadensersatz aus § 832 II BGB

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      Gesetzliche Vermutungen helfen über Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung hinweg. Grundsätzlich müssen die Parteien im Zivilprozess das vortragen und im Bestreitensfall beweisen, was für sie günstig ist. Durch eine Vermutung erleichtert das Gesetz den sonst notwendigen Nachweis, indem das, was dargelegt und bewiesen werden müsste, bei Vorliegen gesetzlich festgelegter Umstände unterstellt wird. Vermutungen können widerlegbar oder unwiderlegbar sein. Während eine unwiderlegbare Vermutung dem Gegenbeweis unzugänglich ist, steht es dem Gegner bei der widerlegbaren Vermutung offen nachzuweisen, dass die gesetzliche Vermutung nicht zutrifft.

      K hat sich durch Vertrag mit den Eltern der R, die als Inhaber der Personensorge nach § 1626 BGB die gesetzlich verpflichteten Aufsichtspersonen sind, zur Übernahme der Aufsicht verpflichtet. Bei dem „Babysittervertrag“ handelt es sich um einen Dienstvertrag oder eine entgeltliche Geschäftsbesorgung – die genaue Natur des Vertragstypus kann hier dahinstehen und bedarf keiner Ausführungen. Entscheidend ist lediglich, dass R dem B einen rechtswidrigen Schaden zugefügt hat, während K sie auf Grundlage des Vertrags mit ihren Eltern zu beaufsichtigen hatte.

      Die Aufsichtspflichtverletzung des K wird somit vermutet. K kann dem Anspruch des B gemäß Absatz 1 Satz 2 entgehen, wenn er belegt, dass er seiner Aufsichtspflicht nachgekommen ist – also die vermutete Aufsichtspflichtverletzung nicht vorliegt – oder dass der Schaden auch entstanden wäre, wenn er die R ordnungsgemäß beaufsichtigt hätte, d. h. die vermutete Kausalität fehlt.

      2. Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB

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      Denkbar ist auch, einen Anspruch des B gegen K wegen Eigentumsverletzung aus § 823 I BGB herzuleiten. Dabei sollte jedoch nicht an die Aufsichtspflichtverletzung als Verletzung einer Verkehrspflicht angeknüpft werden. Diese spezielle Verkehrspflichtverletzung ist in § 832 BGB normiert, weshalb eine gesonderte Prüfung des § 823 I BGB nicht nötig, sondern redundant erscheint.

      Da K die R jedoch mit seinem Lob ausdrücklich ermuntert hat, weiter freihändig zu fahren, wäre für die Eigentumsverletzung auch die Anknüpfung an diese Aufforderung, etwa in Form einer psychisch vermittelten Kausalität denkbar. R wäre gleichermaßen als Werkzeug des K anzusehen. Allerdings ist zu beachten, dass R bereits freihändig zu fahren begonnen hat und K dieses riskante Verhalten allenfalls bestärkt und nicht – wie bei objektiv sorgfältigem Handeln erforderlich – unterbunden hat. Somit hat K die Handlung nicht herbeigeführt. § 823 I BGB als separate Anspruchsgrundlage ist deshalb eher zu verneinen.

      3. Anspruch auf Schadensersatz aus § 830 II i. V. m. § 823 I BGB

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      In Betracht kommt vor diesem Hintergrund eine Anwendung des § 830 II BGB, wenn man im Lob des K eine (psychische) Beihilfe durch Ermunterung zur Tat sehen möchte. Nach § 830 I BGB ist bei Mittätern einer unerlaubten Handlung jeder für den Schaden verantwortlich. § 830 II BGB stellt den Mittätern Anstifter und Gehilfen gleich.

      III. Verhältnis


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