Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK › Lösung
Lösung
Aufgabe 1: Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit Grundrechten und Grundfreiheiten
A. Die Zwangsmitgliedschaft
I. Die einfachrechtlichen Voraussetzungen
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Die Pflichtmitgliedschaft ergibt sich aus § 2 IHKG. Insoweit knüpft das IHK-Gesetz bei ausländischen juristischen Personen an die Gewerbesteuerveranlagung[1] sowie an die, unionsrechtlich unproblematische, gesellschaftsrechtlich begründete[2], Pflicht zur Eintragung von Zweigniederlassungen bei ausländischem Sitz an. Der Umfang der Geschäftstätigkeit ist demgegenüber irrelevant[3]. Diese Voraussetzungen liegen bei L vor: Sie wurde zur Gewerbesteuer veranlagt und ist in das deutsche Handelsregister eingetragen.
II. Vereinbarkeit der Zwangsmitgliedschaft mit den Grundrechten
1. Sachlicher Schutzbereich: Das einschlägige Grundrecht
Die Zwangsmitgliedschaft könnte gegen Grundrechte verstoßen. L rügt eine Verletzung der Berufsfreiheit, es kommen aber auch Art. 9 Abs. 1 GG sowie die allgemeine Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht in Betracht.
a) Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit)
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Die Zwangsmitgliedschaft könnte einen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellen. Selbstverständlich unterfällt die Ausübung eines Gewerbes durch L in sachlicher Hinsicht[4] diesem Grundrecht, so dass man auch eine an die berufliche Betätigung anknüpfende Zwangsmitgliedschaft und die daraus resultierende Verpflichtung zur Beitragszahlung an Art. 12 Abs. 1 GG messen könnte. Da die Mitgliedschaft in einer Kammer lediglich die Berufsausübung betrifft, wäre die Maßnahme als Berufsausübungsregelung einzuordnen[5]. Nach hM schützt Art. 12 Abs. 1 GG allerdings nicht gegen bloß mittelbare Beeinträchtigung des Berufs. Erforderlich sei vielmehr, dass der Maßnahme subjektiv oder zumindest objektiv eine berufsregelnde Tendenz zukomme[6]. Sofern die Verbindung zum Beruf ,,nicht unmittelbar, sondern vielmehr nur locker und mittelbar“[7] ist, soll Art. 12 Abs. 1 GG nach dieser Auffassung nicht einschlägig sein. Da die Zwangsmitgliedschaft weder die Art und Weise der Berufsausübung regelt noch eine berufspolitische Zielrichtung verfolge[8], fehle es an dieser besonderen Verknüpfung, sodass Art. 12 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung als Maßstab ausscheidet. Für das Merkmal der „objektiv berufsregelnden Tendenz“ spricht vor allem angesichts der Erweiterung des Eingriffsbegriffes der Umstand, dass ansonsten der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG konturenlos zu werden droht[9]. Folgt man dieser Rechtsprechung, ist Art. 12 GG also nicht einschlägig.
Hinweis:
Die Schutzbereichsbegrenzung bei Art. 12 GG durch das Tatbestandsmerkmal der objektiv-berufsregelnden Tendenz ist lediglich eine Frage der Grundrechtskonkurrenz[10], entscheidet also gerade nicht über die Frage des Eingriffs. Im vorliegenden Fall zeigt sich außerdem, dass es auch in seiner Reichweite problematisch ist, ließe sich doch die berufsregelnde Tendenz sehr wohl bejahen. Immerhin dienen die Bestimmungen über die Selbstverwaltung von Berufsgruppen gerade der Regelung des beruflichen Bereichs, die für das einzelne Mitglied gar mit (Partizipations)Vorteilen an der normativen Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für die Berufsbetätigung gegenüber der üblichen „Fremdverwaltung“ verbunden sein soll (vgl dazu sogleich). Daher lässt sich ein spezifischer Bezug zu Art. 12 Abs. 1 GG mit entsprechender Begründung sehr wohl bejahen.
b) Art. 9 Abs. 1 GG (Vereinigungsfreiheit)
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Daneben macht L aber auch eine Verletzung ihrer Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG geltend. Dieser schützt nicht nur die positive, sondern auch die negative Vereinigungsfreiheit, also die Freiheit, einer Vereinigung fern zu bleiben bzw aus ihr auszutreten[11]. Da L gemäß § 2 IHKG automatisch Mitglied der IHK geworden ist und sich dieser Mitgliedschaft auch nicht durch einen Austritt entziehen kann, könnte dieses Grundrecht tatsächlich betroffen sein. Fraglich ist allerdings, ob der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG öffentlich-rechtliche Vereinigungen überhaupt einschließt. Einerseits geht es auch in dieser Situation um die Abwehrdimension der Grundrechte und es macht aus der Sicht der Betroffenen keinen Unterschied, ob es sich um eine Pflichtmitgliedschaft in privat- oder in öffentlich-rechtlichen Organisationen handelt[12]. Andererseits schützt die positive Vereinigungsfreiheit nur privatrechtliche Zusammenschlüsse, nicht aber die Gründung einer staatlichen Vereinigung. Geht man (mit der hM) davon aus, dass die negative Vereinigungsfreiheit nicht weiter reichen kann als die positive[13], ist Art. 9 Abs. 1 GG nicht einschlägig[14].
c) Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit)
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Damit kommt allenfalls ein Eingriff in das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in Betracht. Bereits die Mitgliedschaft in einer Kammer als solche ist nicht nur rechtlich vorteilhaft und stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG dar; entsprechendes gilt auch für die Beitragspflicht[15].
2. Persönlicher Schutzbereich: Grundrechtsberechtigung
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Voraussetzung ist allerdings, dass L sich auch auf dieses Grundrecht berufen kann. Da es sich um eine Kapitalgesellschaft handelt, ist Maßstab insoweit Art. 19 Abs. 3 GG, der insbesondere verlangt, dass die juristische Person „inländisch“ zu sein hat. Für die Frage der Grundrechtsfähigkeit kommt es in Übereinstimmung mit der für das internationale Gesellschaftsrecht maßgeblichen Sitztheorie[16] darauf an, ob sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall, es handelt sich um eine ausländische juristische Person. Die Tatsache, dass sie über eine Zweigniederlassung