Aufenthalts- und Asylrecht. Kyrill-Alexander Schwarz
Mit der Bildung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert erfuhr das Territorialprinzip in Europa umfassende Geltung. Zudem wurde, wie bereits in der Antike, das Verbot der Auslieferung politisch Verfolgter zu einer allgemeinen Regel des Völkerrechts.[5] Jedoch wurde das Asylrecht zu dieser Zeit noch als ein rein objektives Recht angesehen. Es existierte also noch immer kein Anspruch des Einzelnen auf Erteilung von Asyl.
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Ein weiterer wesentlicher Schritt in der Entwicklung des Asylrechts erfolgte mit der Weiterentwicklung der Nationalstaaten hin zu Sozialstaaten im frühen 20. Jahrhundert. Ein Sozialstaat, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er seinem Volk Sozialleistungen gewährt, muss klar definieren, wer zu seinem Volk gehört und wer nicht. Es liegt gerade nicht im Interesse des Sozialstaats, auch solche Personen mit Leistungen zu unterstützen, die nicht Teil seines Volkes sind und demnach auch keine Leistungen für den Staat erbracht haben. Die Verhinderung der Erschleichung von Sozialleistungen durch (zum ersten Mal so bezeichnete) Ausländer wurde zu einem gesellschaftlichen Problem, welches eine politische Lösung erforderlich machte.
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Der sogenannte Alien Act von 1905 in Großbritannien war in diesem Zusammenhang dann auch eines der ersten Ausländergesetze in Europa.[6] Dieses wurde vor dem Hintergrund des enormen Zustroms an Ausländern erlassen, die weiter in die USA reisen wollten oder zu dieser Zeit im heutigen Russland als Juden verfolgt wurden und Schutz suchten. Man unterschied hierbei bereits zwischen Wirtschaftsmigranten, die lediglich auf der Durchreise waren oder ihren Weg in die USA nicht fortführen konnten, und Asylsuchenden, die auf Grund von Verfolgung in ihrem Heimatstaat Schutz suchten. Letzteren wollte der englische Staat Asyl auf Grund ihrer Verfolgung im Herkunftsland gewähren. Ersteren hingegen nicht. Somit knüpfte der Alien Act als erstes Gesetz in Europa auch bereits an Verfolgungsgründe (hier Religion) an.[7]
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Die nächste Zäsur im Asylrecht brachten die Weltkriege hervor. Erstmals ächzte Europa unter mehreren großen Flüchtlingsbewegungen. Dabei handelte es sich nicht um Fluchtbewegungen zwischen einzelnen Ländern. Vielmehr waren in ganz Europa Flüchtlinge auf der Suche nach Schutz vor den Auswüchsen der Kriege. Diese internationale Ausdehnung begünstigte sodann auch eine völkerrechtliche Auseinandersetzung mit dem Asylrecht, sodass sich bereits nach dem ersten Weltkrieg erste völkerrechtliche Verträge diesem Thema widmeten.[8]
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Nach dem zweiten Weltkrieg waren es vor allem die Vereinigten Nationen (im Englischen UN oder UNO genannt), die das Asylrecht in der internationalen Politik vorantrieben. So wurde ein Asylrecht in die UN-Menschenrechtscharta vom 10.12.1948 aufgenommen und mit dem UNHCR am 14.12.1950 ein völkerrechtliches Institut gegründet, welches der Koordination und Versorgung internationaler Flüchtlinge bis heute dient. Im Jahre 1951 wurde darüber hinaus die Genfer Flüchtlingskonvention (kurz GFK) von der UN-Generalversammlung verabschiedet und bis heute von 146 Staaten ratifiziert. Sie stellt die völkerrechtlich wohl wichtigste Rechtsquelle des Asylrechts dar und hat als völkerrechtlich bindender Vertrag wesentlichen Einfluss auf die nationale Gesetzgebung. So wird uns diese Kodifikation, die auch in Deutschland Geltung beansprucht, in diesem Skript häufiger beschäftigen.
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Unter dem Eindruck der beiden Weltkriege und der daraus erwachsenden moralischen Verpflichtung wurde auch in das Grundgesetz ein Asylrecht in Art. 16 Abs. 2 S. 2 (a.F.) GG aufgenommen.[9] Dieses war zunächst bewusst sehr offen, weit und vor allem als subjektives Recht gefasst. Mit dem sogenannten Jugoslawienkrieg ab 1991 und der Öffnung des Eisernen Vorhangs ab dem 2.5.1989 kam es erneut zu großen Flüchtlingswellen, die insbesondere Deutschland und sein offenes Asylrecht vor unerwartete Herausforderungen stellte. Ähnlich wie mit der Flüchtlingswelle im Jahre 2015 begann quasi über Nacht ein gesellschaftlicher und politischer Diskurs, mit teilweise hitzigen Debatten im Bundestag, über den Umgang und die rechtliche Handhabe der neuen Situation. Dabei war man sich zwar schnell einig, dass das grundrechtlich geschützte Asylrecht zu weit gefasst sei, mithin die Interessen des Staates zu sehr in den Hintergrund traten. Man konnte sich aber zunächst nicht auf eine Anpassung der Rechtslage verständigen. Erst am 6.12.1992 verabschiedete der Bundestag nach jahrelanger Verhandlung den sogenannten Asylkompromiss der neben zahlreichen Gesetzesänderungen auch eine Verfassungsänderung beinhielt. Aus diesem Gesetzespaket gingen unter anderem das heutige Asylgesetz (AsylG) sowie das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) hervor und die Neufassung des Art. 16a GG, als das neue Asylgrundrecht.[10]
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Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Entwicklung des europäischen Rechtssystems finden Sie im Skript „Europarecht“.
Auch auf europäischer Ebene kam es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu wesentlichen Veränderungen. Die durch den Vertrag von Maastricht vom 7.2.1992 ermöglichte gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik öffnete auch den Weg zu einer gemeinsamen Migrations-, Asyl- und Zuwanderungspolitik. Diese begann zunächst im Rahmen der dritten Säule der Europäischen Union (Justiz und Inneres), wurde jedoch mit dem Vertrag von Amsterdam vom 1.5.1999 in die erste Säule übertragen, wodurch die Europäische Union in diesem Bereich eigene Kompetenzen erworben hat. Seitdem ist die Europäische Union über Art. 78 AEUV mit Rechtsetzungskompetenz ausgestattet und kann in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem erlassen. Auf Grund dieser Norm wurde unter anderem die Dublin-III-Verordnung erlassen, die ebenfalls wesentliche Auswirkungen auf das nationale Asylrecht hat.
JURIQ-Klausurtipp
Auch wenn der historische Ausblick an dieser Stelle lediglich einem besseren Verständnis für die nachfolgenden Kapitel dient, so sind folgende Aspekte auch für das heutige Asylrecht und deren praktischer Anwendung wichtig. Zunächst sollten Sie die Unterscheidung der Territorialhoheit und Personalhoheit verinnerlichen. Des Weiteren spielt auch die Ausgestaltung des Asylgrundrechts als subjektives Recht eine wesentliche Rolle für die Falllösung.
Anmerkungen
„Asyl“ auf Duden online: https://www.duden.de/rechtschreibung/Asyl (Abgerufen am 2.6.2017).
Heusch/Haderlein/Schönenbroicher Rn. 1.
Tiedemann S. 2.
Vgl. Tiedemann S. 2.
Vgl. Tiedemann S. 5.
Tiedemann S. 4.
Vgl. zur Entwicklung seit der Renaissance bis zu den Weltkriegen: Tiedemann S. 2.
Vgl. Tiedemann S. 5 f.
Heusch/Haderlein/Schönenbroicher Rn. 2.