Aufenthalts- und Asylrecht. Kyrill-Alexander Schwarz
§ 3 Abs. 1 AsylG konkretisiert hierbei, welche Anforderungen an die Verfolgung zu stellen sind. Es muss demnach eine qualifizierte Verfolgung vorliegen. Die einzelnen Kriterien werden in der Folge genauer dargestellt.
Hinweis
Die §§ 3 ff. AsylG normieren recht detailliert die einzelnen Anforderungen, die in den folgenden Abschnitten besprochen werden. Nutzen Sie das Gesetz und lesen Sie die zitierten Normen. Sie werden feststellen, dass sich alle relevanten Informationen direkt aus dem AsylG ergeben.
a) Verfolgungshandlung
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Wann eine Verfolgung vorliegt, hängt in erster Linie von der Handlung ab, die dem Betroffenen widerfährt. In § 3a Abs. 1 AsylG sind Verfolgungshandlungen legal definiert (lesen!). Diese Definition entspricht der Regelung der Qualifikations-RL. In § 3a Abs. 2 AsylG sind darüber hinaus Beispiele für Handlungen nach Abs. 1 aufgelistet. Auf diese Struktur soll nun vertiefend eingegangen werden.
aa) Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG
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Lesen Sie den § 3a AsylG und Art. 15 Abs. 2 EMRK!
Nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG sind Verfolgungshandlungen solche, die „auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist“. Schwierigkeiten bereitet hierbei zunächst die Definition des Merkmals grundlegender Menschenrechte. Die Norm verweist zur näheren Konkretisierung auf die in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Rechte. Hierbei handelt es sich um sog. notstandsfeste bzw. grundlegende Rechte. Die Annahme, es handele sich bei diesen Rechten um grundlegende Menschenrechte, liegt damit nicht fern. Allerdings ist zu beachten, dass der Wortlaut des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG im Zusammenhang mit seiner Verweisung auf den Art. 15 Abs. 2 EMRK von „insbesondere“ spricht. Die grundlegenden Menschenrechte müssen sich also inhaltlich von denen des Art. 15 Abs. 2 EMRK abgrenzen. Solche grundlegenden Menschenrechte mit wesensgleichen Gewährleistungen stellen nach herrschender Meinung die in Art. 4 Abs. 2, 11, 16 und 18 IPbürgR verbürgten Rechte dar.[3]
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Von einer schwerwiegenden Verletzung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist dem Wortlaut der Norm nach die Rede, wenn die Verfolgungshandlung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte bewirkt. Wobei gravierend mit schwerwiegend gleichzusetzen ist, sodass diesem Begriff keine eigenständige Bedeutung bei der Prüfung der Merkmale zukommt. Wann eine Verletzungshandlung schwerwiegend ist, richtet sich nach der Art und Weise sowie einer etwaigen Wiederholung der Verfolgungshandlung.[4] Hierbei kann bereits ein einziger Verfolgungsakt genügen, wenn dieser besonders schwer wiegt (z.B. Angriff auf das Leben). Entsprechend wird bei geringerer Intensität eine erhöhte Quantität gefordert.
bb) Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG
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Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG können Verfolgungshandlungen auch solche Handlungen sein, die „in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher, wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist“. Der Verletzungserfolg muss also gerade darin bestehen, dass ein beliebiges Menschenrecht betroffen wird. Allerdings verlangt der Wortlaut hierbei nicht, dass jede Verfolgungshandlung für sich bereits ein Menschenrecht beeinträchtigen müsste. Vielmehr genügt es, wenn die Kumulation aus vielen verschiedenen Verfolgungshandlungen geringerer Intensität in einer Gesamtschau eine Verletzung von Menschenrechten darstellt.
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Allerdings ist zu beachten, dass diese sehr offene Sichtweise dazu führt, dass Verfolgungshandlungen bereits jede rechtmäßige und menschenrechtlich nicht zu beanstandende Strafverfolgungen darstellen können. Als Korrektiv und damit einer Einschränkung wird ein sog. Polit-Malus gefordert.[5] Die staatliche Handlung muss ein diskriminierendes Element enthalten und auf einem für den Flüchtlingsbegriff relevanten Verfolgungsgrund aufbauen. Mit dieser Einschränkung unterfällt eine staatliche Strafverfolgung dem Begriff der Verfolgungshandlung nur dann, wenn diese nicht mehr zum Schutz der Rechtsordnung betrieben wird, sondern z.B. nur der Religion oder der Rasse des Betroffenen wegen betrieben wird.
cc) Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 AsylG
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Der § 3a Abs. 2 AsylG nennt einige Beispiele, wann eine Verfolgungshandlung i.S.d. Abs. 1 vorliegt und konkretisiert damit lediglich dessen Regelungen. Klärungsbedürftig sind allerdings die Definitionen der unbestimmten Rechtsbegriffe „unverhältnismäßig“ und „diskriminierend“ in § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG. Von einer Unverhältnismäßigkeit im Sinne der Norm ist die Rede, wenn Menschenrechtsverletzungen in Rede stehen. Es gilt also ein absoluter Maßstab.[6] Bei der Diskriminierung hingegen wird ein lediglich relativer Maßstab gefordert. Denn eine Diskriminierung kann gerade ihrer Natur nach nur im Vergleich zu einem anderen entstehen. Auf eine Verletzung von Menschenrechten kommt es gerade nicht an. Es genügt bereits eine Ungleichbehandlung auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.
Beispiel
Das BVerfG geht in seiner Rechtsprechung (BVerfGE 54, 187) davon aus, dass eine lebenslange Haftstrafe für Mord verfassungswidrig ist, sofern es keine Möglichkeit einer frühzeitigen Entlassung gibt. Hierbei wird der absolute Maßstab deutlich. Das die Strafe auf der eigenen schwerwiegenden Handlung des Täters beruht, spielt insofern keine Rolle.
b) Verfolgungsgründe
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Neben einer Verfolgungshandlung muss auch ein bestimmter Verfolgungsgrund vorliegen. Nicht jeder Grund vermag einen Schutzanspruch zu begründen. Nach der Definition des Flüchtlings in § 3 Abs. 1 AsylG sowie der Qualifikations-RL kommen als Verfolgungsgründe nur in Frage: Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.
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Lesen Sie die Norm!
Eine Konkretisierung der Verfolgungsgründe findet sich in § 3b AsylG. Allen Verfolgungsgründen ist gemein, dass es sich um Merkmale handelt, die für den Einzelnen unverfügbar sind. Das bedeutet, dass der Betroffene das jeweilige Merkmal nicht durch eigenes Verhalten ändern oder beseitigen kann. Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe ist zu beachten, dass es gerade nicht darauf ankommt, ob der Betroffene einen Verfolgungsgrund tatsächlich aufweist. Es genügt bereits, dass der Verfolgungsakteur dem Betroffenen den Verfolgungsgrund zuschreibt, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG.
JURIQ-Klausurtipp
Wir stellen immer wieder fest, dass es bei der Verfolgung, sei es im Rahmen des Asylgrundrechts oder hier bei der Frage der Flüchtlingseigenschaft, darauf ankommt, ob subjektive oder objektive Gründe vorliegen. Subjektive dann, wenn der Ausländer Einfluss auf die Gründe hat, und objektive, wenn es sich um für den Ausländer unverfügbare Gründe handelt. In der Regel sind objektive Gründe immer asylerheblich. Umgekehrt reichen subjektive Gründe in der Regel allein nicht aus.
c) Verknüpfung von Verfolgungshandlung und -grund
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