Kommunalrecht Baden-Württemberg. Matthias Müller
einen bestimmten Aufgabenbestand und das Recht zur eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung (sog. objektive Rechtsinstitutionsgarantie – dazu sogleich näher Rn. 20 ff.).
18
Damit die aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zugunsten der Gemeinden resultierenden Garantien werthaltig, d.h. im Falle einer Verletzung rechtlich durchsetzbar sind, vermittelt die Norm zudem Rechtsschutz betreffend den ihr innewohnenden Gewährleistungsgehalt (sog. subjektive Rechtsstellungsgarantie). M.a.W.: Wird die kommunale Selbstverwaltungsgarantie durch staatliche Eingriffe verletzt, kann diese Verletzung auf Grundlage des Art. 28 Abs. 2 GG gerichtlich geltend gemacht werden.
1. Institutionelle Rechtssubjektsgarantie
19
Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG schützt in der Ausprägung der institutionellen Rechtssubjektsgarantie nicht die einzelne Gemeinde in ihrem individuellen Bestand. Geschützt ist vielmehr, das es Gemeinden im Aufbau des Staates überhaupt geben muss. Nach Ansicht des BVerfG beeinträchtigen demnach Auflösungen von Gemeinden, Gemeindezusammenschlüsse, Eingemeindungen und sonstige Gebietsänderungen den verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts grundsätzlich nicht.[1]
Beispiel
Ein Eingriff in die institutionelle Rechtssubjektsgarantie läge dann vor, wenn durch einen staatlichen Hoheitsakt die Gemeinden generell abgeschafft würden. Gleiches würde gelten, wenn die Gemeinden aufgrund staatlichen Handelns in ihrer durch die geschichtliche Entwicklung geprägten Rechts- und Handlungsfähigkeit so stark eingeschränkt würden, dass die Selbstständigkeit gegenüber dem Staat nicht mehr gesichert wäre. Hingegen können Gemeinden in andere Gemeinden eingegliedert werden, wenn hierfür Gründe des öffentlichen Wohls sprechen (vgl. hierzu § 8 GemO).
2. Objektive Rechtsinstitutsgarantie
20
Die Rechtsinstitutsgarantie hat im Wesentlichen zwei selbstständige Ausprägungen, nämlich der Aufgabenzuweisungsgarantie betreffend die Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft und das Recht auf eine eigenverantwortliche Aufgabenerledigung.
a) Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
21
Festgemacht am Normtext des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG umfasst die Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ (sog. Aufgabenzuweisungsgarantie[2]). Einen abschließenden Katalog von Aufgaben, mit dem sich die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft definieren ließen, gibt es nicht.
22
Aus dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG lässt sich entnehmen, dass den Gemeinden eine Allzuständigkeit für die Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft zukommt („alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“), ohne dass es hierfür einer besonderen Aufgabenzuweisung bedarf (sog. Verbandskompetenz).
Aufgrund der vermuteten Allzuständigkeit darf sich die Gemeinde mit allen Angelegenheiten befassen, die zur örtlichen Gemeinschaft gehören und für die nicht bereits eine anderweitige Kompetenzzuordnung besteht. Zu den Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft gehören nach der h.M. alle „Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben“.[3] Nicht zu den gemeindlichen Aufgaben gehören im Umkehrschluss also solche, die kraft Kompetenzzuweisung staatliche Aufgaben sind.
23
Ausnahmsweise darf sich die Gemeinde jedoch dann mit solchen, außerhalb der örtlichen Gemeinschaft liegenden Themen befassen, wenn diese Rechtspositionen der Gemeinde berühren können und die Gemeinde hiervon potenziell betroffen ist.[4] In diesen Fällen kommt der Kommune zwar in der Sache keine Entscheidungsbefugnis zu (diese ist kraft Kompetenzzuweisung ja gerade beim Staat); jedoch wird ihr eine sog. Befassungskompetenz eingeräumt.
Beispiel
Klassisches Beispiel für eine Angelegenheit, für die zugunsten der Gemeinde eine Befassungskompetenz besteht, ist die Landesverteidigung. Auch wenn die Kompetenz für die Verteidigung ausschließlich beim Bund liegt (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG), darf sich die Gemeinde jedenfalls insoweit mit diesem Thema befassen, als sie hiervon berührt wird, so wenn etwa die Errichtung einer Einrichtung der Landesverteidigung auf dem Gemeindegebiet in Aussicht steht.
b) Eigenverantwortlichkeit
24
Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG schafft ausweislich seines Wortlauts zugunsten der Gemeinden die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte (Eigenverantwortlichkeit). Hiermit verbunden ist das Recht der Gemeinden, die Abläufe und Entscheidungszuständigkeiten bei der Wahrnehmung der gemeindlichen Aufgaben im Einzelnen selbst festzulegen (das „Ob“, „Wie“ und „Wann“ der Aufgabenerledigung[5]). Hiermit unvereinbar sind Maßnahmen, die zu einer umfassenden Steuerung der kommunalen Organisation durch den Bund oder das Land führen und der Gemeinde keinerlei Entscheidungsspielraum lassen; entsprechendes würde gelten, wenn die Organisation der Gemeinden durch staatliche Behörden beliebig steuerbar wäre.[6] Ausdruck verliehen wird dem Aspekt der Eigenverantwortlichkeit insbesondere durch die sog. Gemeindehoheiten:
aa) Organisationshoheit
25
Die Organisationshoheit beinhaltet das Recht, die Art und Weise der Aufgabenerfüllung sowohl betreffend die Selbstverwaltungsangelegenheiten wie auch die staatlich übertragenen Aufgaben selbst zu bestimmen. Weiterhin ist von der Organisationshoheit die Selbstbestimmung der gemeindeinternen Verfahrensabläufe und internen Kompetenzverteilungen geschützt sowie die Möglichkeit, Aufgaben zusammen mit Dritten wahrzunehmen, etwa im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit (man spricht insoweit von der Kooperationshoheit).
bb) Gebietshoheit
26
Die Gebietshoheit umfasst das Recht der Gemeinde, auf ihrem Gemeindegebiet Hoheitsgewalt auszuüben. Der Gebietshoheit unterliegen alle natürlichen und juristischen Personen, die sich auf dem Gemeindegebiet aufhalten, ihren Sitz haben, Liegenschaften innehaben oder ein Gewerbe betreiben (sog. Territorialprinzip). Außerhalb des Gemeindegebiets kann die Gemeinde keine Hoheitsrechte ausüben.
cc) Personalhoheit
27
Von der Personalhoheit umfasst ist das Recht der Gemeinde, Beamte, Angestellte und Arbeiter auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen, um die ihr obliegenden Aufgaben zu bewältigen. Damit verbunden ist ebenfalls die Disziplinargewalt, d.h. das Recht, etwaige Vergehen der Mitarbeiter dienstrechtlich zu ahnden.
dd) Planungshoheit
28
Die Planungshoheit sichert den Gemeinden die Möglichkeit, alle auf ihrem Gemeindegebiet anfallenden örtlichen Planungsaufgaben eigenverantwortlich im Rahmen ihrer Zuständigkeit wahrzunehmen. Hierzu gehört auch das Recht, an übergeordneten Planungsvorgängen beteiligt zu werden, sofern diese Auswirkungen auf die Gemeinde haben.