Beweisantragsrecht. Winfried Hassemer
Hauptantrag verbunden, d.h. mit der Frage des Freispruchs oder der Verurteilung.
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Die Beispiele für bedingte Beweisanträge sind vielfältig.[2] Besteht die maßgebliche Entscheidungsalternative im konkreten Fall nicht in Freispruch oder Verurteilung, sondern zum Beispiel in Verurteilung wegen Versuchs oder Vollendung, wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Tatbegehung, so können diese Alternativen Gegenstand von Bedingungen für bedingte Beweisanträge sein. Daneben haben bedingte Beweisanträge im Bereich der Strafzumessung erhebliche praktische Bedeutung. Das Beweiserhebungsverlangen kann etwa davon abhängig gemacht werden, ob der Angeklagte nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden soll[3], ob er zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt werden soll oder davon, ob das Gericht ein bestimmtes Strafmaß überschreiten will[4], ob es die Strafe nicht zur Bewährung aussetzen will[5], ob volle oder verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten bejaht wird[6], ob ein minder schwerer Fall verneint wird[7].
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In der Literatur wird anknüpfend an die Frage, ob die Bedingung für das Beweisbegehren den Haupt- oder Sachantrag des Angeklagten, lediglich ein Begründungselement hierzu oder den Eintritt einer bestimmten Prozesslage betrifft, eine terminologische Unterscheidung vorgeschlagen, wonach die erste Kategorie als „Hilfsbeweisantrag“, die zweite Kategorie als „Eventualbeweisantrag“ und die dritte Kategorie als „prozessual bedingter Beweisantrag“ anzusehen sein soll.[8] Doch erscheint uns diese Terminologie als nicht hinreichend unterscheidungskräftig. Es sollte daher dabei bleiben, dass die generelle Bezeichnung „bedingter Beweisantrag“ ist. Lediglich der Sonderfall, dass die Bedingung in der Entscheidung über den Hauptantrag liegt, verdient eine eigene Bezeichnung (Hilfsbeweisantrag).
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Für alle Arten von bedingten Beweisanträgen gilt dabei eine wichtige Einschränkung: Der Inhalt der Bedingung darf nicht im Widerspruch zum Inhalt des Beweiserhebungsverlangens stehen. Das ist etwa dann der Fall, wenn eine gegen den Schuldspruch gerichtete Beweisbehauptung an eine Bedingung geknüpft wird, die die Überzeugung des Gerichts von der Schuld des Angeklagten voraussetzt. Wer eine Beweiserhebung nur für den Fall beantragt, dass die vom Gericht beabsichtigte Strafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann, hat in seine Bedingung gedanklich die Verurteilung des Angeklagten aufgenommen.[9] Soll durch die beantragte Beweiserhebung dann aber bewiesen werden, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen hat, dann setzt sich dies zur Bedingung des Antrags in Widerspruch.[10] Wer lediglich dann, wenn ein bestimmtes Strafmaß überschritten werden sollte, den Nachweis der Unschuld führen will (und nicht schon dann, wenn überhaupt eine Verurteilung droht), der setzt sich dem Verdacht aus, dass er mit seinem Antrag nicht wirklich den Tatverdacht widerlegen will, sondern andere Ziele verfolgt.
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Damit wird aber nicht jede Verknüpfung des Strafausspruchs mit einem Beweisantrag zum Schuldspruch unzulässig. Wird für den Fall der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in einer bestimmten Höhe unter Beweis gestellt, dass eine Tatbestandsvariante gegeben ist, die eine dem Angeklagten günstigere Strafzumessungsentscheidung rechtfertigen würde, so widersprechen sich Bedingungsinhalt und Inhalt der beantragten Beweiserhebung nicht.[11] Es ist deshalb ohne Weiteres zulässig, wenn z.B. für den Fall, dass das Gericht beabsichtigen sollte, eine Freiheitsstrafe von drei Jahren zu verhängen, unter Beweis gestellt wird, dass nicht der Angeklagte den Mittäter i.S.v. § 30 StGB zur Tat bestimmt hat, sondern umgekehrt der Mittäter den Angeklagten.
Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › IV. Der bedingte Beweisantrag › 1. Bedingung aus der Sach- oder Prozesslage
1. Bedingung aus der Sach- oder Prozesslage
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Ein wichtiges Verteidigungsinstrument stellen die bedingten Beweisanträge dar, die während der Beweisaufnahme gestellt werden und bei denen die Beweiserhebung davon abhängen soll, ob eine für den Antragsteller bei der Antragstellung ungewisse Sach- oder Prozesslage eintritt. Diese kann in einer rechtlichen Würdigung oder in einer Sachverhaltswürdigung bestehen.
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Beispiel:
„Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die nachstehend unter Beweis gestellte Tatsache nicht bereits aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme als erwiesen ansehen sollte, wird beantragt, noch den Zeugen … zu vernehmen, zum Beweis der Tatsache …“
oder:
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„Für den Fall dass das Gericht die folgenden strafmildernd zu berücksichtigenden Tatsachen nicht glaubt als wahr unterstellen zu können, wird beantragt …“
Weitere Beispiele sind die Glaubwürdigkeit eines vernommenen Zeugen oder das Verhalten (z.B. die Anträge) eines anderen Verfahrensbeteiligten.
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Da das Gericht über einen solchen bedingten Beweisantrag im Rahmen der Beweisaufnahme gemäß § 244 Abs. 3-5 StPO entscheiden und die Ablehnung gegebenenfalls förmlich durch Beschluss (§ 244 Abs. 6 S. 1 StPO) bekannt geben muss, handelt es sich hierbei um ein für die Verteidigung wichtiges Instrument der „Früherkennung richterlicher Beweiswürdigung“[12]. Die Art und Weise der Behandlung seines Antrags durch das Gericht gibt dem Verteidiger nämlich die Möglichkeit, Rückschlüsse auf den Meinungsstand des Gerichts zu ziehen.
Dabei sind im Wesentlichen folgende Varianten möglich:
• | Dem Beweisantrag wird stattgegeben, indem der Vorsitzende die Ladung des benannten Zeugen verfügt. Dies ist für den Verteidiger ein Hinweis darauf, dass das Gericht noch nicht von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache überzeugt ist. Andererseits darf die Aussagekraft dieser konkludenten „Mitteilung“ über die bisherige Beweiswürdigung nicht überschätzt werden, weil die Ladung des Zeugen auch schlicht bedeuten kann, dass das Gericht sich noch nicht festlegen möchte. |
• | Lehnt das Gericht den Beweisantrag durch Beschluss mit einer anderen als der im Antrag „angebotenen“ Begründung ab, so gelten keine Besonderheiten gegenüber dem Aussagewert einer sonstigen Zurückweisung eines Beweisantrages i.e.S. |
• | Lehnt das Gericht den Beweisantrag mit der Begründung ab, dass seine ausdrückliche Bedingung nicht eingetreten ist (dass das Gericht also die unter Beweis gestellte Tatsache bereits als erwiesen ansieht), so steht diese Tatsache für das weitere Verfahren fest (s. dazu im Einzelnen unten Rn. 476). |
• | Bescheidet das Gericht den Beweisantrag überhaupt nicht durch Beschluss, so legt es sich damit ebenfalls auf den unter Beweis gestellten Sachverhalt fest, weil die darin an sich liegende Verletzung des § 244 Abs. 6 S. 1 StPO nur unter der Voraussetzung, dass das Tatgericht spätestens im Urteil die unter Beweis gestellte Tatsache als erwiesen ansieht, im Revisionsrechtszug das Urteil nicht gefährdet.[13] |
Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › IV. Der bedingte Beweisantrag › 2. Der Hilfsbeweisantrag
2. Der Hilfsbeweisantrag
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Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall[14] des bedingten Beweisantrages.