Grund und Grenzen eines Marktwirtschaftsstrafrechts. Anja Nöckel
heterogenen Sachverhalte und Verhaltensweisen, die vom (Sammel-)Begriff des wirtschaftlichen Fehlverhaltens erfasst werden, an das Strafrecht stellen. Ebenso deutlich ist aber auch, dass das bisherige Vorgehen mit den üblichen strafrechtlichen Kriterien und Denkschritten keine zufriedenstellende Lösung für derartige Herausforderungen bietet. Diese Ausgangslage schafft also Bedarf für eine Untersuchung alternativer Legitimationsmöglichkeiten des Wirtschaftsstrafrechts, wobei an den der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegenden Prinzipien der Fairness und Chancengleichheit angesetzt wird. Da die Rechtsgutslehre allein nicht in der Lage ist, die Strafwürdigkeit wirtschaftlichen Fehlverhaltens zu begründen, wird mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht die Begründungsmöglichkeit der dogmatischen Basis abseits des Rechtsgutsbegriffs im Kriterium der Regelverletzung gesucht. Gleichzeitig wird der Gegenstand, der von diesem Rechtsgebiet Regulierung erfahren soll, in den Mittelpunkt des Gedankengangs gestellt. Für das Marktwirtschaftsstrafrecht als Teilgebiet des Wirtschaftsstrafrechts ist es daher die Soziale Marktwirtschaft, die den Ausgangs- und Bezugspunkt aller Betrachtungen und Bewertungen zu bilden hat.
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Ziel dieser Verknüpfung ist es, dem Wirtschaftsstrafrecht ein Fundament zu schaffen, das es ihm ermöglicht, seiner gesellschaftlichen Steuerungsfunktion als Ordnungsfaktor nachzukommen. Konsequenzen wird diese Orientierung an der zu regelnden Wirtschaftsordnung jedoch nicht nur für die Legitimation des Wirtschaftsstrafrechts haben, sondern ebenso für die Untersuchung seiner Funktion in der Gesellschaft sowie seine Begrenzung. Mit dem Marktwirtschaftsstrafrecht erfolgt der Entwurf eines Strafwürdigkeitsmodells, das gerade dort, wo die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen und Verhaltensweisen an der Grenze von Moral und Anstand mit einem tradierten Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts nicht überzeugend erfasst werden können, einen nicht vor einer Loslösung von obsoleten Dogmen scheuenden Umgang mit wirtschaftlichem Fehlverhalten ermöglicht. Die dazu erfolgende Einbettung des Wirtschaftsstrafrechts in die gegenwärtige Wirtschaftsordnung, das System der Sozialen Marktwirtschaft, soll dabei helfen, den materiellen Grund der strafrechtlichen Sanktionierung wirtschaftlichen Fehlverhaltens deutlich zu machen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf einen regelbasierten Wettbewerb zu lenken. Obwohl dazu immer wieder wirtschaftliche Bezüge hergestellt werden müssen, die für das Verständnis unerlässlich sind, wird in der gesamten Untersuchung stets das Strafrecht im Vordergrund stehen. Dabei soll es, anknüpfend an die Theorie des psychologischen Zwangs von Paul Johann Anselm von Feuerbach, vor allem um die negativ-generalpräventive Wirkung von gesetzlichen Strafdrohungen auf potentiell strafwürdig handelnde Wirtschaftssubjekte gehen. Feuerbachs generalpräventive Ideen lassen starke Bezüge zu ökonomischen Kosten-Nutzen-Kalkulationen erkennen, so dass eine Verbindung mit der Steuerung wirtschaftlichen Fehlverhaltens naheliegend erscheint. Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Annahme, dass der ökonomisches Handeln prägende Maßstab der Kosten-Nutzen-Kalkulation auf wirtschaftliches Fehlverhalten übertragbar ist und die Entscheidung des potentiellen Wirtschaftsstraftäters über die gesetzliche Strafandrohung durch eine Erhöhung der Straftatkosten beeinflusst werden kann.
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Da die Rechtfertigung strafrechtlichen Eingreifens untrennbar mit seinen gesellschaftlichen Aufgaben verknüpft ist, wird dabei deutlich werden, dass die Frage der Legitimierbarkeit stets mit der Verortung von Grenzen verbunden ist. Aufgezeigt wird aber auch, dass die Klärung der Grenzen des Strafrechts auch die Befassung mit seiner Legitimationsgrundlage erfordert. Die Verbindung des durch Aktualität geprägten Wirtschaftsstrafrechts mit einer gut 200 Jahre alten Straftheorie soll jedoch nicht erschöpfende rechtshistorische Ausführungen zum Gegenstand haben, sondern einzelne Grundzüge der psychologischen Zwangstheorie aufnehmen und für das Wirtschaftsstrafrecht aktualisieren.
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Unumgänglich ist dabei nicht einfach nur das ursprüngliche Modell Feuerbachs zu übernehmen, sondern auch Kritik an seinem Konzept und Entwicklungen der Strafrechtstheorie seit seiner Schaffenszeit zu berücksichtigen. Dazu wird aufgezeigt, dass die Gedanken Feuerbachs durch ein entsprechendes Bewusstsein in einem aktuellen inhaltlichen Kontext für die Gegenwart in gewinnbringender Weise nutzbar gemacht werden können. Gleichwohl eröffnet der Versuch, ein ganzes Rechtsgebiet über ein rechtsgutsfernes Kriterium zu legitimieren, mehr Fragen, als im hier gegebenen Umfang beantwortet werden können. Das Ziel der Arbeit besteht daher ihrem Titel folgend in einer Legitimation und Begrenzung des Marktwirtschaftsstrafrechts. Da weder das tradierte Rechtsgutsdogma noch eine der sonstigen, bisher zur Begründung des Strafrechts angeführten Argumentationen wirtschaftsstrafrechtliches Intervenieren umfassend begründen konnten, wird zur Legitimierung des Marktwirtschaftsstrafrechts das von Alwart eingeführte Regelmodell herangezogen. Zur Begründung der Strafwürdigkeit stellt dieses Regelmodell auf die der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegende Chancenstruktur sowie das Gebot der Fairness im wirtschaftlichen Wettbewerb ab. Zur Verdeutlichung der Vorzüge dieses Strafwürdigkeitsmodells wird die Verknüpfung der marktwirtschaftlichen Regelstrukturen mit strafrechtlicher Dogmatik anhand exemplarisch gewählter Problemstellungen nachvollzogen. Gleichzeitig wird so gezeigt, dass die Zukunft des Wirtschaftsstrafrechts weder in den von Teilen der Literatur vorgebrachten Forderungen nach einer Reduzierung des Strafrechts auf einen Kernbereich, noch in einer dogmatisch nicht verwurzelten Ausrichtung an den Bedürfnissen der Praxis liegt. Die in einem Teilbereich des Wirtschaftsstrafrechts angestrebte Revision der wirtschaftsstrafrechtlichen Dogmatik soll durch einen neuen Blickwinkel eine bewusste Öffnung für die Wirtschaftsordnung und die durch sie gestellten Anforderungen ermöglichen. Es wird also nicht um vereinzelte Randkorrekturen oder die Abbildung exakter Grenzen der Strafwürdigkeit, sondern um grundlegende Fragen der Legitimations- und Steuerungsmöglichkeiten des Strafrechts gehen. Damit bietet die vorliegende Arbeit eine Grundlage für weitere Untersuchungen zum strafrechtlichen Umgang mit auf die Ausschaltung der ökonomischen Fairness gerichteten wirtschaftlichen Fehlverhalten.
Teil 1 Einführung › III. Gang der Untersuchung
III. Gang der Untersuchung
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Die Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Im zweiten Teil wird der Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts entwickelt und inhaltlich präzisiert. Unter Berücksichtigung wirtschaftstheoretischer Grundlagen erfolgt dazu eine Auseinandersetzung mit der Rechtsgutslehre als Hemmnis des Wirtschaftsstrafrechts. Die dabei aufzuzeigenden Unvereinbarkeiten von strafrechtsdogmatischer Strenge und ökonomischer Offenheit münden in die Einführung der Regelverletzung als Kriterium der Strafwürdigkeit. Da sich auch wirtschaftliche Regeln nur aus einem bestimmten Zusammenhang erschließen, erfolgt der Entwurf eines Regelmodells unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen ökonomischen Fairnessgedankens, welcher dem System der Sozialen Marktwirtschaft immanent ist. Der so inhaltlich angereicherte Begriff des Marktwirtschaftsstrafrechts soll anschließend in seiner Bedeutung geschärft und dazu vom sonstigen (Wirtschafts-)Strafrecht abgegrenzt werden. Auf diese Weise werden zugleich Fundament und Kontext für die nachfolgenden Darstellungen bereitet.
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Der dritte Teil wird sich mit der Funktion des Marktwirtschaftsstrafrechts befassen. Hauptanliegen ist es dabei, die gesellschafts- und verhaltenssteuernde Wirkung des Strafrechts aufzuzeigen und hinsichtlich ihres Nutzens für das Marktwirtschaftsstrafrecht zu untersuchen. Einführende Erläuterungen zu den Grundzügen der Verhaltenssteuerung sowie den unterschiedlichen Ansichten zur Notwendigkeit (straf-)rechtlicher Regulierung in Recht und Wirtschaft sollen den Leser für die spezifischen Funktionen des Strafrechts in der Gesellschaft sensibilisieren. Darauf aufbauend steht im Mittelpunkt der weiteren Betrachtung die negativ-generalpräventive Wirkung strafgesetzlicher Normen, wobei die Theorie des psychologischen Zwangs von P.J.A. von Feuerbach besonderes Gewicht erhält. Neben Aufbau, Inhalt und Bedingungen der Theorie des psychologischen Zwangs ist über die bisher üblichen Analysen dieser Straftheorie hinausgehend der Rationalismus Feuerbachs Gegenstand der Untersuchung. Dazu wird es notwendig sein, die gewohnten Verständnisschemata der negativen Generalprävention zu verlassen und neue Sichtweisen auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen. Dabei soll verdeutlicht werden, dass die von Feuerbach angenommenen menschlichen Entscheidungsstrukturen rationale Handlungsmuster beschreiben, gleichwohl