BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
Anschauliche Beispiele für eine Vorratsschuld sind der Verkauf von Mais aus der Ernte eines Hofes[8], von Mehl aus der Mühle einer Müllerin oder auch von Wertpapieren aus dem Deckungsbestand einer Bank[9]. Ob eine Vorratsschuld vorliegt, muss durch Auslegung der Parteivereinbarung ermittelt werden (§§ 133, 157). Im oben angeführten Beispiel des Verkaufs eines einjährigen Schäferhundes gilt: Wenn sich aus den Umständen der Vereinbarung ergibt, dass ich als Hundezüchter nur aus der Menge der von mir gezüchteten Schäferhunde leisten darf und soll, liegt eine Vorratsschuld vor.[10]
In Fall 17 liegt keine Vorratsschuld vor. Das ergibt sich aus der Auslegung der Parteivereinbarung (§§ 133, 157). Bei Abschluss des Kaufvertrages weiß K nicht, dass A lediglich vier Reifen in ihrem Lager hat. Daher ist die Schuld der A auch nicht auf diesen Bestand reduziert. Vielmehr liegt eine marktbezogene Gattungsschuld vor. Die Gattung ist freilich vergleichsweise eng begrenzt, weil am Markt nur 1.000 Exemplare existieren. A hätte im eigenen Interesse darauf bestehen können, nur aus dem eigenen Lagerbestand zu liefern; dann wäre eine Vorratsschuld gegeben.
b) Wichtigste Rechtsfolgen
aa) Leistung mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1)
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Wenn eine Gattungsschuld vorliegt, ist der Schuldner gem. § 243 Abs. 1 zur Leistung mittlerer Art und Güte verpflichtet (vgl auch § 360 HGB für Handelsgeschäfte: „Handelsgut mittlerer Art und Güte“). § 243 Abs. 1 ist allerdings dispositiv: Die Parteien können also vertraglich engere oder weitere Grenzen vereinbaren.[11] Wenn sie dies nicht tun, darf der Leistungsgegenstand nicht hinter der mittleren Güte zurückbleiben. Geschuldet ist also nicht Spitzenqualität, es darf aber auch kein „Ramsch“ geleistet werden.[12] Wenn der Leistungsgegenstand hinter der mittleren Art und Güte zurückbleibt, kann der Gläubiger die Annahme des Gegenstandes verweigern, ohne in Annahmeverzug zu geraten (vgl §§ 293 ff).[13] Etwas anders liegt es, wenn der Schuldner bessere als nur „mittlere“ Qualität leistet. In diesen Fällen darf der Gläubiger den Leistungsgegenstand nur zurückweisen, wenn er ein besonderes Interesse an bloß mittlerer Güte hat.[14]
bb) Beschaffungspflicht des Schuldners
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Innerhalb der soeben beschriebenen Grenzen des § 243 Abs. 1 kann der Schuldner frei darüber entscheiden, mit welchem konkreten Leistungsgegenstand er erfüllt. Das hat gewisse Vorteile für ihn. So kann er sich etwa zu einem günstigen Zeitpunkt bei seinen Zulieferern eindecken. Allerdings sind mit § 243 Abs. 1 auch Gefahren für den Schuldner verbunden, denn ihn trifft eben auch die Pflicht, einen Gegenstand aus der Gattung zu beschaffen (Beschaffungspflicht). Daher trägt der Schuldner grundsätzlich auch die Leistungsgefahr, solange noch aus der Gattung geleistet werden kann. Damit ist die Gefahr gemeint, trotz Untergang einer Sache noch leisten zu müssen. Bei der Gattungsschuld trägt dieses Risiko der Schuldner, so lange nicht alle Leistungsgegenstände aus der jeweiligen Gattung untergegangen sind. Ist das nicht der Fall – also solange noch der Gattung zugehörige Leistungsgegenstände existent sind – bleibt der Schuldner zur Erfüllung verpflichtet. Wie weitreichend dieses Risiko ist, kann der Schuldner allerdings gewissermaßen mitbestimmen: Denn dafür kommt es entscheidend darauf an, wie weit oder eng die Gattung in der Parteivereinbarung definiert ist.[15] So kann der Schuldner etwa seine Beschaffungspflicht einschränken, wenn er in der Parteivereinbarung entsprechende Klauseln durchsetzen kann, also etwa die Klausel „Selbstbelieferung vorbehalten“[16].
Da A wie aufgezeigt eine (marktbezogene) Gattungsschuld übernommen hat, bleibt ihr in Fall 17 daher nichts anderes übrig, als vier neue Reifen zu besorgen. Dass sie Mehrkosten iHv 200 Euro zu beklagen hat, ist ihr Geschäftsrisiko.
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Bei Vorratsschulden wird der Schuldner dagegen schon dann von der Leistungspflicht frei, wenn der gesamte Vorrat untergeht oder bereits an Dritte weiterveräußert ist.[17] Eine schwierige Frage stellt sich, wenn der Vorrat des Schuldners nur teilweise untergegangen ist, der Schuldner aber mehrere Gläubiger hat, die er jedenfalls nicht alle vollständig befriedigen kann. Klausurklassiker dieser Situation ist der Brand in der Mühle der Müllerin M: Von ihren 5 Tonnen Mehl werden 3 Tonnen vernichtet, so dass sie die Käufer A und B, die beide 2,5 Tonnen aus ihrer Mühle bestellt hatten, nicht mehr voll befriedigen kann. Überzeugend ist es, den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242) in dieser Situation zum Tragen zu bringen und zu berücksichtigen, dass die Gläubiger – bildlich gesprochen – „in einem Boot sitzen“, also eine Risikogemeinschaft bezüglich des teilweisen Untergangs sind. Die Gleichbehandlung aller Gläubiger ist daher ein Gebot aus Treu und Glauben. Der Schuldner ist also grundsätzlich dazu verpflichtet, alle Gläubiger anteilig zu befriedigen (Repartierung).[18] Im Klassikerfall des Brandes in der Mühle müsste M also A und B jeweils 1 Tonne des verbliebenen Mehls liefern.
c) Konkretisierung (§ 243 Abs. 2)
aa) Zweck
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Wie wir gesehen haben, ist gerade die Beschaffungspflicht eine potenziell erhebliche Belastung des Schuldners. § 243 Abs. 2 bietet ihm die Möglichkeit, seine Risiken erheblich zu minimieren: Nach dieser Norm beschränkt sich das Schuldverhältnis auf diese (eine) Sache, wenn der Schuldner das seinerseits Erforderliche zur Leistung einer Sache aus der Gattung getan hat. Diese Beschränkung bezeichnet man als Konkretisierung – eben, weil sich das Schuldverhältnis jetzt auf einen konkreten Leistungsgegenstand beschränkt. § 243 Abs. 2 bewirkt, dass die Gattungsschuld zur Stückschuld wird.[19] Das ist vor allem deshalb wichtig, weil die – für den Schuldner günstigeren – Regelungen zur Leistungsgefahr bei Stückschulden eingreifen: Wenn die nach Konkretisierung allein geschuldete Sache untergeht (vgl § 275 Abs. 1), muss der Schuldner keine andere Sache aus der ursprünglich vereinbarten Gattung mehr leisten.
bb) Voraussetzungen
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Der Schuldner muss das seinerseits Erforderliche getan haben. Was das konkret bedeutet, hängt vor allem von der Parteivereinbarung ab. Die Wirkungen des § 243 Abs. 2 können auch allein durch Parteivereinbarung herbeigeführt werden[20] bzw dadurch, dass der Gläubiger eine nicht § 243 Abs. 1 genügende Sache als Leistung anerkennt[21]. Im letzteren Fall dürfte freilich meist Erfüllung iSd § 362 Abs. 1 vorliegen; dann werden die Rechtsfolgen des § 243 Abs. 2 bedeutungslos.
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Wenn eine Bringschuld vorliegt, hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan, wenn er die Sache zum Gläubiger gebracht und in einer den Annahmeverzug (§§ 293 ff) auslösenden Weise angeboten hat.[22] Der Gläubiger muss also unmittelbar auf den Leistungsgegenstand zugreifen können, nur dann ist die von § 243 Abs. 2 bewirkte Entlastung des Schuldners gerechtfertigt. Dabei gelten die Regeln über den Annahmeverzug entsprechend.[23] Im Fall des wörtlichen Angebots gem. § 295[24] muss allerdings klar werden, auf welchen Leistungsgegenstand sich die Konkretisierung erstrecken soll. Daher muss der Schuldner die Sache nicht nur wörtlich anbieten, sondern auch den Leistungsgegenstand aussondern.[25]
In Fall 17 haben A und K ausdrücklich eine Bringschuld vereinbart. A hätte also die Reifen zu K bringen und sie ihm dort anbieten müssen, um Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 zu erreichen. Dadurch, dass sie diesen Schritt nicht gegangen ist, kann