BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
den praktisch wichtigen Bereich der Wohnraummiete beinhaltet § 557b eine Sondervorschrift. Neben weiteren Sondergesetzen werden die Grenzen vor allem durch das Preisklauselgesetz (PrKG) vorgegeben. § 1 Abs. 1 PrKG beinhaltet ein grundsätzliches Verbot von Wertsicherungsklauseln für Geldschulden. Allerdings sieht das Gesetz in § 1 Abs. 2 und den §§ 2 ff zahlreiche Ausnahmen von diesem Verbot vor. Nach dem PrKG unwirksame Vereinbarungen sind nicht ex tunc unwirksam, sondern erst vom Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verstoßes an. Wenn Wertsicherungsklauseln zugleich AGB sind, gelten zusätzlich die §§ 305 ff.
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Nicht immer ist das Risiko von Geldwertschwankungen gesetzlich oder vertraglich geregelt. Dann gilt der Grundsatz des (geldschuldrechtlichen) Nominalismus[41], den man schlagwortartig mit „Euro gleich Euro“ umschreiben kann. Der Grundsatz des Nominalismus besagt, dass der Euro als Währungseinheit grundsätzlich unabhängig von seiner Kaufmacht definiert wird und nominell gleichbleibt – trotz möglicher Geldwertschwankungen. Wenn im November 2019 eine Geldschuld in Höhe von 100 Euro begründet wurde, ist sie auch im Jahre 2029 in Höhe von 100 Euro zu erfüllen, und zwar auch dann, wenn 100 Euro im Jahre 2029 eine ganz andere Kaufkraft haben, als sie es 2019 hatten. Damit wird dem Geldgläubiger das Inflationsrisiko zugewiesen. Kommt es zur Inflation, profitiert der Schuldner; er trägt aber auch die Risiken der Deflation. Der Grundsatz des Nominalismus ist zwar nirgends explizit geregelt. Er wird aber von den gesetzlichen Bestimmungen über den Ausgleich von Inflationsrisiken und vor allem den im PrKG enthaltenen Grenzen für Wertsicherungsklauseln stillschweigend vorausgesetzt.[42] In eng begrenzten Ausnahmefällen kann der Grundsatz des Nominalismus eingeschränkt sein. Insbesondere kann im Einzelfall bei schwerer Äquivalenzstörung § 313 eingreifen.[43]
Im oben geschilderten Fall 18 kann V deshalb von M nicht etwa jeweils die Zahlung des Geldbetrags verlangen, dessen Kaufkraft mit dem bei Vertragsschluss vereinbarten Mietzins übereinstimmt. Die Parteien haben auch nicht nach Maßgabe der §§ 557 ff eine Erhöhung oder Anpassung der Miete vereinbart.
4. Geldschulden als qualifizierte Schickschulden (§§ 270 Abs. 1 und 4, 269)
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Geldschulden sind im deutschen Recht in den §§ 270 Abs. 1, Abs. 4 und 269 als qualifizierte Schickschulden ausgestaltet, nicht etwa als Bringschulden.[44] Insofern unterscheidet sich das deutsche Recht signifikant von den wohl meisten anderen Rechtsordnungen und auch etwa von Art. 7 der Principles of European Contract Law[45] und § 57 des Wiener Kaufrechts[46]. §§ 269 und 270 führen zur Ausgestaltung der Geldschuld als Schickschuld mit einer gewichtigen Einschränkung: Der Schuldner trägt gem. § 270 Abs. 1 das Verlustrisiko. Geldschulden sind daher eine eigentümliche Kombination aus Schickschuld und Bringschuld: Wie bei der Bringschuld trägt der Schuldner das Verlustrisiko. Das Verzögerungsrisiko liegt jedoch wie bei Schickschulden beim Gläubiger.[47] Wenn A 1.000 Euro schuldet, die Zahlung Ende November fällig ist und der Schuldner A zehn 100 Euro-Banknoten per Post an den Gläubiger B schickt, wird A nicht von seiner Zahlungspflicht frei, wenn der Brief nie bei B ankommt. Wenn die Zustellung des Briefs jedoch verzögert wird, so dass B ihn erst am 6. Dezember erhält, gerät A nicht in Verzug.
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An der Qualifikation der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld ändert auch die Zahlungsverzugsrichtlinie nichts[48] – entgegen mancher Stimmen in der Literatur.[49] Im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie[50] endet der Verzug bzw wird der Verzug nur ausgeschlossen, wenn die geschuldete Summe innerhalb des Fälligkeitszeitraums beim Gläubiger eingeht. Die Zahlungsverzugsrichtlinie gilt jedoch zunächst ohnehin nur im unternehmerischen Geschäftsverkehr. Sie greift also nicht ein, wenn Verbraucher an der Transaktion beteiligt sind. Und auch im Anwendungsbereich der Richtlinie lässt sich ein richtlinienkonformes Ergebnis innerhalb der Anwendung der Verzugsregeln erreichen: Eine verzögerte Leistung iSd § 286 Abs. 1 wird vermutet, so lange der Zahlungsbetrag für den Gläubiger nicht verfügbar ist. Der Gläubiger kann also Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung verlangen, außer der Schuldner kann nachweisen, dass er für die Verzögerung nicht verantwortlich ist (vgl § 286 Abs. 4). Um ein richtlinienkonformes Ergebnis zu erreichen, müssen die §§ 269, 270 also nicht missachtet werden.[51] Dieses Ergebnis – und die Qualifizierung der Geldschuld als qualifizierte Schickschuld – entspricht auch der Rechtsprechung des BGH. Der BGH hatte 2017 in einem Mietrechtsfall darüber zu entscheiden, ob Verzug mit der Mietzinszahlung vorlag.[52] Dafür war die Rechtsnatur der Geldschuld entscheidend. Der Schuldner hatte die Überweisung rechtzeitig aufgegeben, der Gläubiger allerdings die Miete erst nach Fälligkeit erhalten. Dem BGH zufolge sind Geldschulden qualifizierte Schickschulden, bei denen der Gläubiger das Verzögerungsrisiko trägt. Zudem war nach dem BGH eine anderslautende AGB-Klausel, die das Verzögerungsrisiko dem Schuldner zuwies, gem. § 307 Abs. 1 unwirksam.
5. Fremdwährungsschuld (§ 244)
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Manchmal ist nicht die Verschaffung von Vermögensmacht in Euro geschuldet, sondern in einer anderen Währung. Solche Geldschulden heißen Fremdwährungsschulden; sie können vertraglich grundsätzlich vereinbart werden. Denkbar ist, dass die Geldschuld zwar in fremder Währung bezeichnet, aber gleichwohl in Euro tilgbar ist. Solche Geldschulden nennt man „unechte Fremdwährungsschulden“.[53] Der von § 244 Abs. 1 ins Auge gefasste Regelfall ist die unechte Fremdwährungsschuld. § 244 Abs. 1 stellt insoweit eine gesetzliche Ersetzungsbefugnis dar. Möglich ist aber auch, dass die Schuld unbedingt und ausschließlich in der fremden Währung gezahlt werden soll (beispielsweise in britischen Pfund). Solche Schulden nennt man „echte Fremdwährungsschulden“ oder auch „effektive Fremdwährungsschulden“.[54] Welche Art der Fremdwährungsschuld vorliegt, ist durch Auslegung (des Vertrages bzw des Gesetzes bei gesetzlichen Ansprüchen) zu ermitteln.
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§ 244 Abs. 1 bezweckt zum einen, dass der Schuldner mangels abweichender Vereinbarung auch in seiner Heimatwährung erfüllen kann; er dient also dem Schuldnerschutz. Zum anderen liegt in § 244 Abs. 1 auch eine ordnungspolitisch motivierte Bevorzugung des Euros als Zahlungsmittel.[55]
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Praktisch wichtig ist vor allem § 244 Abs. 2, der für unechte Fremdwährungsschulden die Umrechnung betrifft und damit letztlich das Risiko von Kursschwankungen zwischen Vertragsschluss und Zahlungszeitpunkt zwischen den Parteien verteilt. Wenn nichts anderes vereinbart ist, gilt der Kurs zum Zeitpunkt der Zahlung.[56]
6. Geldsortenschuld (§ 245)
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§ 245 spielt in der Praxis kaum eine Rolle. Die Norm regelt die sog unechte Geldsortenschuld. Sie setzt die Vereinbarung einer bestimmten Münzsorte voraus, die im Zahlungszeitpunkt nicht mehr im Umlauf ist. Zweck der Norm ist der Ausschluss des § 275: Der Schuldner bleibt zur Leistung verpflichtet, kann aber mit Bargeld oder Buchgeld erfüllen. § 245 ist dispositiv; die Parteien können auch vereinbaren, dass ausschließlich eine bestimmte Münzsorte geschuldet ist. Dann liegt eine echte Geldsortenschuld vor, bei der Erfüllung in anderer Form ausgeschlossen ist. Wenn die geschuldete Geldsorte untergegangen ist, greift § 275 Abs. 1 ein.