BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
§ 264 Abs. 2 S. 1 für den Fall an, dass der Gläubiger die Wahl nicht rechtzeitig vornimmt. Wenn dagegen der Schuldner Wahlrechtsinhaber ist, sieht das Gesetz einen solchen Übergang nicht vor. Der Schuldner bleibt also Wahlrechtsinhaber. Wenn er vom Gläubiger auf Vornahme der Leistung verklagt wird, wird der Schuldner zur Leistung des einen oder des anderen Gegenstands nach seiner (des Schuldners!) Wahl verurteilt. § 264 Abs. 1 setzt an diese Situation an und bevorzugt den Gläubiger bei der Zwangsvollstreckung: Der Gläubiger kann, wenn der Schuldner die Wahl nicht vor Beginn der Zwangsvollstreckung vornimmt, gem. § 264 Abs. 1 1. HS die Zwangsvollstreckung nach seiner Wahl auf die eine oder auf die andere Leistung richten. Das Wahlrecht des Schuldners wirkt sich aber auch in dieser Situation noch zu Gunsten des Schuldners aus. Auch während der laufenden Zwangsvollstreckung kann sich der Schuldner, solange der Gläubiger die gewählte Leistung noch nicht empfangen hat, durch eine der übrigen Leistungen von seiner Verbindlichkeit befreien.
c) Unmöglichkeit der Wahlschuld (§ 265)
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Für die Leistungspflicht des Schuldners ist wichtig, unter welchen Voraussetzungen er nach § 275 von seiner Leistungspflicht befreit wird. Unmöglichkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn sämtliche Leistungen, auf die sich das Wahlrecht bezieht, unmöglich sind. Schwieriger wird es, wenn nur eine der Leistungen unmöglich wird. Dann verbleibt es gem. § 265 S. 1 bei der Leistungspflicht des Schuldners bezüglich der anderen, nicht unmöglich gewordenen Leistung oder Leistungen. Etwas anderes gilt gem. § 265 S. 2, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat: Seine Leistungspflicht wird dann nicht ausgeschlossen. Er muss also entweder die noch mögliche Leistung erbringen (also etwa einen nicht untergegangenen Gegenstand liefern) oder aber gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 bzw § 311a Abs. 2 Schadensersatz leisten. Darüber hinaus kommen Ansprüche auf Aufwendungsersatz (§ 284) oder Surrogatsherausgabe (§ 285) in Betracht.
a) Zweck und dogmatische Konstruktion
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Anders als die Wahlschuld ist die Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) nicht gesetzlich geregelt. Sie ist aber in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, weil ein praktisches Bedürfnis für sie besteht. In ihrer dogmatischen Konstruktion unterscheidet sie sich von der Wahlschuld dadurch, dass die Leistungspflicht zunächst auf eine bestimmte Leistung beschränkt ist. Allerdings kann der Schuldner anstelle dieser bestimmten Leistung auch eine andere Leistung erbringen. Auf die Ersetzungsbefugnis sind die §§ 262-265 nicht anwendbar.
b) Entstehung
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Auch die Ersetzungsbefugnis kann sich aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ergeben. Rechtsgeschäftlich können K und V etwa vereinbaren, dass K für das Fahrrad dem V 100 Euro schuldet, dass sie alternativ aber auch durch Lieferung von 150 Eiern ihrer eigenen Hühner erfüllen darf. Hauptanwendungsfall für eine vertraglich vereinbarte Ersetzungsbefugnis ist freilich die Inzahlunggabe des alten PKW beim Autokauf: Hier ist oft ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass der Käufer zwar den vollen Kaufpreis schuldet, er aber einen Teil des Kaufpreises durch Übergabe und Übereignung des alten PKW leisten darf.[74] Ein Beispiel für eine gesetzlich begründete Ersetzungsbefugnis bietet § 244 Abs. 1 für den Fall der „unechten“ Fremdwährungsschuld: Die Schuld ist in diesem Fall zwar von Anfang an auf Zahlung in der fremden Währung beschränkt. Allerdings räumt das Gesetz in § 244 Abs. 1 dem Schuldner die Befugnis ein, seine Schuld auch durch eine andere Leistung – nämlich durch Zahlung in Euro – zu erfüllen.[75] Auch § 251 Abs. 2 S. 1 ist ein Beispiel für eine gesetzlich geregelte Ersetzungsbefugnis des Schuldners. § 249 Abs. 2 dagegen ist ein Beispiel für eine gesetzlich geregelte Ersetzungsbefugnis des Gläubigers.
c) Elektive Konkurrenz
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Neben der Wahlschuld muss die Ersetzungsbefugnis auch von der sog „elektiven Konkurrenz“ abgegrenzt werden: Bei der elektiven Konkurrenz stehen dem Gläubiger von vornherein mehrere Rechte zur Verfügung, die sich gegenseitig ausschließen. Zwischen diesen Rechten kann der Gläubiger grundsätzlich wählen, soweit die jeweiligen Voraussetzungen der einzelnen Rechte vorliegen. Ein wichtiges Beispiel stellt die Konkurrenz von Rücktritt und Minderung im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht dar: Der Käufer kann, wie sich aus § 441 Abs. 1 ergibt, zwischen Rücktritt und Minderung wählen (elektive Konkurrenz). Keine Wahlschuld, sondern ein Fall elektiver Konkurrenz ist nach hM auch die Wahl des Käufers zwischen Nachlieferung und Mängelbeseitigung im Rahmen der Nacherfüllung (§ 439 Abs. 1).[76]
d) Bindungswirkung der Ausübung der Ersetzungsbefugnis
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Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis hat Bindungswirkung, so dass der Ersetzungsbefugte die Ausübung der Ersetzungsbefugnis nicht wieder einseitig zurücknehmen kann. Das liegt daran, dass der andere Teil in seinem Vertrauen geschützt werden muss, das der Schuldner durch die Ausübung gesetzt hat.
e) Unmöglichkeit
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Wenn die geschuldete Leistung unmöglich ist (oder wird), entfällt die Leistungspflicht des Schuldners nach der allgemeinen Regel des § 275. Darin liegt der entscheidende Unterschied zur Wahlschuld. § 265 ist bei der Ersetzungsbefugnis gerade nicht (auch nicht analog) anwendbar. Wird dagegen die andere Leistung unmöglich, fällt nicht etwa die Leistungspflicht des Schuldners weg, sondern vielmehr nur seine Ersetzungsbefugnis.
3. Lösung Fall 19
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V könnte gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 Abs. 2 haben.
I. Der Anspruch ist entstanden: V und K haben einen Kaufvertrag geschlossen, indem sie vereinbarten, dass K sich eines der drei Fahrräder aussuchen und zu einem Preis von 50 Euro erwerben soll. Auf den ersten Blick scheint es, als würde ein Element der essentialia negotii fehlen, nämlich die Bestimmung des Kaufgegenstands. Indes liegt eine Wahlschuld vor, bei der die schuldrechtliche Bindung zunächst alle Einzelleistungen betrifft. Nach Ausübung des Wahlrechts gilt aber nur die gewählte Leistung als von Anfang an allein geschuldet (§ 263 Abs. 2).
II. Der Anspruch könnte gem. § 326 Abs. 1 S. 1 erloschen sein. Zwischen V und K besteht ein gegenseitiger Vertrag in Form eines Kaufvertrags. Die Leistungspflicht des V muss nach § 275 Abs. 1 ausgeschlossen sein. Das ist der Fall, wenn die Erbringung der Leistung für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. V schuldete Übergabe und Übereignung eines der drei Fahrräder. V hat ein Fahrrad bereits anderweitig veräußert und übereignet. Wenn der Käufer des Rades unter keinen Umständen zur Herausgabe dieses Fahrrads bereit ist, liegt subjektive Unmöglichkeit vor. Diese führt aber gem. § 275 Abs. 1 grundsätzlich nur zur Beschränkung auf die anderen beiden Fahrräder. Allerdings tritt Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 2 ein, wenn die Leistung infolge eines Umstandes unmöglich wird, den der nicht wahlberechtigte Teil zu vertreten hat. Wahlberechtigt ist gemäß § 262 im Zweifel der Schuldner, also V. Vorrangig ist jedoch die Parteivereinbarung: K und V haben das Wahlrecht K zugesprochen. V ist der nicht wahlberechtigte Teil. Er hat durch die Veräußerung des Fahrrads den zur Unmöglichkeit führenden Umstand zu vertreten. Der Anspruch auf die Leistung ist daher gem. § 275 Abs. 1 ausgeschlossen. Der Kaufpreiszahlungsanspruch entfällt somit gem. § 326 Abs. 1 S. 1.
III.