BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
2 Nr 1.
10. Lösung Abwandlung zu Fall 18: Ausgangsfrage
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In Abgrenzung zum Ausgangsfall enthält nun der Mietvertrag (MV) selbst eine vom Gesetz (also § 556b Abs. 1) abweichende Regelung, die für die Rechtzeitigkeit der Mietzahlung den Zeitpunkt des Zahlungseingangs auf dem Konto der V bestimmt. Danach würde M – die Wirksamkeit der Klausel unterstellt – jeweils mit Ablauf des dritten Werktages eines Monats in Schuldnerverzug gem. § 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr 1 geraten. Dieser würde erst durch die Gutschrift auf Vʼs Konto beendet. Die Klausel könnte allerdings gem. § 307 Abs. 1 unwirksam sind.
Die Klausel ist eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die V als Verwenderin der M stellt und damit eine AGB iSd § 305 Abs. 1 S. 1. Der BGH sieht in der Klausel eine unangemessene Benachteiligung iSd § 307 Abs. 1. Nach der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung kann die Klausel so verstanden werden, dass der Mieter trotz rechtzeitiger Erteilung des Zahlungsauftrages seine Pflichten verletzt, wenn sich der Zahlungsvorgang auf Grund eines Verschuldens des Zahlungsdienstleisters verzögert. Da die Klausel eine solche, nicht vom Mieter zu verantwortende Zahlungsverzögerung zudem als möglichen Kündigungsgrund einordnet, benachteiligt sie den Mieter unangemessen.[68] Denn die drohenden existenziellen Folgen eines Verlustes der Wohnung sind deutlich schwerwiegender als das Interesse des Vermieters, den Mieter für Zahlungsverzögerungen verantwortlich zu machen.[69] Der Mietvertrag zwischen M und V bleibt trotz der insofern unzulässigen Klausel gem. § 306 Abs. 1 im Übrigen wirksam. An die Stelle der unwirksamen Klausel tritt gem. § 306 Abs. 2 das dispositive Recht, so dass sich die Beurteilung der Rechtzeitigkeit – wie im Ausgangsfall – nach den Bestimmungen der §§ 556b Abs. 1, 270 Abs. 1, Abs. 4, 269 richtet. M entrichtete wiederum die Miete stets rechtzeitig iSv § 556b Abs. 1 und befand sich zu keinem Zeitpunkt im Schuldnerverzug (§ 286 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr 1).
11. Lösung Abwandlung zu Fall 18: Zusatzfrage
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I. Im unternehmerischen Geschäftsverkehr sind Rechtzeitigkeitsklauseln höchstrichterlich anerkannt, da sie gemessen an den Bedürfnissen des modernen Zahlungsverkehrs weder unangemessen noch überraschend sind.[70] Da im unternehmerischen Rechtsverkehr auf Grund der Zahlungsverzug-RL wie oben dargestellt ohnehin der Zeitpunkt der Gutschrift maßgeblich für die Rechtzeitigkeit der Leistungshandlung ist, sind solche Klauseln jedoch nunmehr ohne Bedeutung.[71] Die Klausel ist also grundsätzlich wirksam.
II. Etwas anderes kann sich allenfalls aus dem Umstand ergeben, dass nach der Zahlungsverzug-RL (Art. 3 Abs. 1 lit. b RL 2011/7/EU) kein Verzug begründet wird, wenn der Schuldner die Verzögerung nicht zu vertreten hat. Ihm können somit auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr unvorhersehbare Verzögerungen der Zahlungsdienstleister nicht angelastet werden.[72] Daraus folgt jedoch keine unangemessene Benachteiligung der Klausel iSd § 307 Abs. 1.[73] Andernfalls wäre die Eigenverantwortlichkeit im unternehmerischen Geschäftsverkehr zu stark beschränkt (aA vertretbar).
Teil II Der Inhalt von Schuldverhältnissen › § 5 Schuldarten › III. Wahlschuld (§§ 262-265) und Ersetzungsbefugnis
III. Wahlschuld (§§ 262-265) und Ersetzungsbefugnis
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Fall 19:
K, die seit einigen Tagen in Berlin wohnt, möchte sich ein Fahrrad zulegen. Da der Umzug sehr kostspielig war, möchte sie gerne ein gebrauchtes Fahrrad kaufen. Nach einiger Recherche findet sie den Anbieter V, der ihr telefonisch anbietet, dass sie eines der drei Fahrräder, die V noch übrig hat, für 50 Euro kaufen kann. Welches von den dreien K haben möchte, könne sie sich vor Ort aussuchen. K guckt sich die drei verschiedenen Fahrräder im Internet an und erklärt sich einverstanden. Als K am nächsten Tag bei V vorbeischaut, erklärt ihr V, dass er eines der Fahrräder gestern bereits verkauft und übereignet hat. Somit habe K nur noch die Wahl zwischen den anderen beiden Fahrrädern. K ist empört, da ihr genau das Fahrrad, welches der V verkauft hat, besonders gefiel. Sie möchte daher nichts mehr vom Vertrag wissen. V dagegen verlangt Kaufpreiszahlung. Zu Recht? Lösung Rn 236
a) Voraussetzungen
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Eine Wahlschuld liegt vor, wenn mehrere verschiedene Leistungen geschuldet sind, von denen der Schuldner nur die eine oder eine andere erbringen muss und die – in Abgrenzung zur Gattungsschuld nach § 243 – nicht einer Gattung angehören. Eine Wahlschuld kann durch Rechtsgeschäft oder durch Gesetz begründet werden. Ein Beispiel für eine rechtsgeschäftliche Wahlschuld bietet etwa ein Mittagsmenü in zwei Variationen (vegetarisch oder Fisch): Wenn Gast G und Restaurantinhaberin R vereinbaren, dass R den Gast mit einem Mittagsmenü ihrer Wahl bedienen soll, kann R wählen, ob sie das vegetarische Menü oder das Menü mit Fisch auftischt. Ein Beispiel für eine gesetzliche Wahlschuld bietet § 2154 (Wahlvermächtnis): Der Erblasser kann anordnen, dass der Bedachte als Vermächtnis einen von mehreren Gegenständen erhalten soll (beispielsweise ein Gemälde aus seiner Sammlung).
b) Wahlrecht
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Wenn eine Wahlschuld vorliegt, stellen sich vor allem Fragen, die auf das Wahlrecht bezogen sind: Wem steht das Wahlrecht zu? Welche Konsequenzen hat seine Ausübung? Letztere Frage ist in § 263 Abs. 2 beantwortet: Mit Ausübung der Wahl gilt die gewählte Leistung als die von Anfang an allein geschuldete. Die erste Frage (nach der Inhaberschaft des Wahlrechts) ist in § 262 geregelt. Die Norm beinhaltet eine Auslegungsregel, wonach im Zweifel der Schuldner Inhaber des Wahlrechts ist. Die Regel gilt aber nur im Zweifel. Vorrangig ist – wie stets bei Auslegungsregeln – die Parteivereinbarung. Dabei sind die konkreten Fallumstände und vor allem auch der Vertragszweck zu berücksichtigen. Die Auslegung des Vertrages unter Berücksichtigung des Vertragszwecks (§§ 133, 157) wird häufig dazu führen, dass entgegen der Zweifelregel aus § 262 dem Gläubiger das Wahlrecht zusteht. Das Gläubigerwahlrecht wird oft interessengerechter sein. So liegt eine konkludente Vereinbarung zu Gunsten des Gläubigers etwa in dem Mittagsmenü-Beispiel nahe, auch wenn nichts Ausdrückliches vereinbart ist. Regelmäßig entspricht es den beiderseitigen Interessen am besten, wenn der Gast das konkret zu servierende Mittagsmenü auswählen darf.
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Das Wahlrecht ist als Gestaltungsrecht ausgestaltet, wie sich aus § 263 Abs. 1 ergibt. Es ist also eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam wird (§ 130 Abs. 1).
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§ 264 Abs. 1 und 2 befassen sich mit Verzögerungen bei der Ausübung des Wahlrechts. Die Regelung unterscheidet zwischen den Fällen, in denen der Gläubiger Wahlrechtsinhaber ist, und den Fällen, in denen der Schuldner Wahlrechtsinhaber ist.
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Wenn der Gläubiger Wahlrechtsinhaber ist, kann ihm der Schuldner bei Verzug mit der Ausübung des Wahlrechts