BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
2 Nr 1 und § 315 Abs. 1 als gesetzliches Leitbild unbillig sein.[81]
aa) Billiges Ermessen
244
Billiges Ermessen ist als unbestimmter Rechtsbegriff auslegungsbedürftig. Die Norm zielt auf einen beiderseits gerechten Interessenausgleich innerhalb des vertraglich vorgegebenen Rahmens. Die Leistung muss nach den Umständen des Einzelfalls angemessen sein.[82] Die Leistungsbestimmung ist gem. § 315 Abs. 3 S. 1 nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Solange die Billigkeitsgrenzen gewahrt sind, steht dem Bestimmungsberechtigten ein Ermessensspielraum zu. Andernfalls kommt es zur Leistungsbestimmung durch Urteil (vgl § 315 Abs. 3 S. 2).
bb) „Private“ Geltendmachung (§ 315 Abs. 2)
245
Gem. § 315 Abs. 2 erfolgt die Bestimmung durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil. Man spricht insoweit auch von der „privaten“ Geltendmachung der Leistungsbestimmung. Die Leistungsbestimmung ist eine Gestaltungserklärung, also eine empfangsbedürftige einseitige Willenserklärung, die mit Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam wird. Sie ist formfrei, auch dann, wenn der Vertrag selbst formbedürftig ist.[83] Die Leistungsbestimmung hat Bindungswirkung.[84] Wie bei der Ersetzungsbefugnis geht es auch hierbei darum, das schützenswerte Vertrauen des Erklärungsempfängers zu schützen, der sich auf die bestimmte Leistung eingestellt hat.
cc) Gerichtliche Geltendmachung (§ 315 Abs. 3)
246
Wenn die Leistungsbestimmung dem billigen Ermessen nicht entspricht, ist sie nicht verbindlich. Das Gesetz sieht für diesen Fall in § 315 Abs. 3 S. 2 die Leistungsbestimmung durch Urteil vor. § 315 Abs. 3 S. 2 ermöglicht einen einfachen Weg zur Bestimmung des Leistungsinhalts. Wegen des Ermessensspielraums bei der Leistungsbestimmung darf das Gericht die Leistungsbestimmung aber nicht schon dann durch Urteil ersetzen, wenn das Gericht selbst eine abweichende Leistungsbestimmung für „angemessener“ hält als die konkrete Leistungsbestimmung.[85] Denn § 315 Abs. 1 zielt nicht auf ein einziges „konkretes“ Ergebnis ab, sondern erlaubt in den Grenzen der Billigkeit verschiedene richtige Ergebnisse. Die Richterin darf ihre eigene Gerechtigkeitsvorstellung hier nicht an die Stelle derjenigen der bestimmungsberechtigten Partei setzen.
Der in Fall 20 angesprochene Strommarkt bildet ein gutes Beispiel: Schon ein Blick auf die zahlreichen Vergleichsportale zeigt, dass die Preise in einem bestimmten Rahmen durchaus variieren können, gerade weil sich auch durch weitere Anreize wie Treuerabatte abweichende Preise ergeben können.
247
Zur Leistungsbestimmung durch Urteil kommt es auch dann, wenn die Bestimmung verzögert wird (§ 315 Abs. 3 S. 2 2. HS). Das setzt nicht Verzug im technischen Sinne (§ 286) voraus, sondern nur eine faktische Verzögerung der Bestimmung. Auch in diesem Fall hat der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse an der Leistungsbestimmung durch Urteil. Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht.
dd) § 375 HGB
248
§ 375 HGB sieht eine Sonderregel unter Kaufleuten vor: Beim Spezifikationskauf kommt es zur Bestimmungspflicht des Käufers, andernfalls hat der Verkäufer ein freies Wahlrecht.
a) Grundsätze
249
Die Parteien können die Bestimmung der Leistung auch einem Dritten überlassen wollen – etwa, weil ihm besondere Sachkunde und/oder Neutralität bzw Vertrauenswürdigkeit zukommt. So wäre etwa im Fall des Liederabends einer Sopranistin denkbar, die Wahl der konkreten Stücke der Gesangslehrerin der Sopranistin anzuvertrauen. § 317 greift dieses Bedürfnis der Parteien auf. Ebenso wie bei der Leistungsbestimmung durch eine der Parteien ist die Leistungsbestimmung durch den Dritten im Zweifel nach billigem Ermessen zu treffen.
250
Gegenstand des Bestimmungsrechts können die Leistung und einzelne Leistungsmodalitäten (wie etwa Ort, Zeit oder Art und Weise der Leistung) sein. Die §§ 317 ff greifen auch ein, wenn Dritte zwar nicht die Leistung (oder ihre Modalitäten) bestimmen, aber bestimmte Tatsachen ermitteln und bindend feststellen sollen, die für den jeweiligen Vertrag entscheidend sind. Man nennt solche Feststellungen auch Schiedsgutachten ieS.[86] Ein Beispiel ist die Bestimmung des Kaufpreises eines Kfz zum Schätzpreis nach einem bestimmten Verfahren, mit dessen Durchführung ein Gutachter betraut wird.[87] Ein Schiedsgutachten in diesem Sinne liegt auch vor, wenn über das Vorliegen eines gewährleistungspflichtigen Mangels im Sinne des Werkvertragsrechts eine Schiedsstelle des Kraftfahrzeughandwerks entscheiden soll.[88]
Davon abzugrenzen sind Konstellationen, in denen der Dritte nur nachträglich eingeschaltet wird, um eine Aussage über die Angemessenheit einer bereits erfolgten Bestimmung zu treffen. In Fall 20 hat der Sachverständige etwa weder die Aufgabe gehabt, die Bestimmung selbst vorzunehmen, noch war er mit der Ermittlung von Informationen oder Berechnungsgrundlagen betraut. Ihm kommt hier also keine Schiedsgutachter-Position zu, vielmehr kann seiner Einschätzung nur eine Indizfunktion zukommen.
251
§ 318 regelt die Bestimmung durch einen Dritten. Sie erfolgt gem. § 318 Abs. 1 durch Erklärung gegenüber einem der Vertragsschließenden. Auch steht die Anfechtung der Bestimmung wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung nicht etwa dem Dritten, sondern gem. § 318 Abs. 2 1. HS nur den Vertragsschließenden zu. Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner (§ 318 Abs. 2 2. HS). Zur Anfechtungsfrist regelt § 318 Abs. 2 S. 2 in Entsprechung zu § 121, dass die Anfechtung unverzüglich erfolgen muss, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Für die arglistige Täuschung liegt darin eine Abweichung von § 124 Abs. 1. Die Anfechtung ist erst 30 Jahre nach der Leistungsbestimmung ausgeschlossen (§ 318 Abs. 2 S. 3). Die Ausschlussfrist ist 20 Jahre länger als im Fall des § 121 Abs. 2.
b) Maßstab (§ 319: offenbare Unbilligkeit)
252
§ 319 sieht für das billige Ermessen bei der Leistungsbestimmung durch Dritte einen anderen Maßstab vor als bei der Leistungsbestimmung durch die Vertragsparteien: Die Bestimmung ist gem. § 319 Abs. 1 erst dann unverbindlich, wenn sie „offenbar unbillig“ ist. Das ist weniger streng als der Maßstab der bloßen „Billigkeit“ nach § 315 Abs. 3 S. 1. Das lässt sich damit erklären, dass dem Dritten üblicher Weise besondere Neutralität und Sachkunde zukommen wird und die Gefahr unbilliger Entscheidungen bei Dritten normaler Weise auch weniger groß ist als bei der Leistungsbestimmung durch die Vertragsschließenden. Offenbar unbillig ist die Leistungsbestimmung nach der Rspr. des BGH, wenn sie in grober Weise gegen Treu und Glauben verstößt und sich dies bei unbefangener sachkundiger Prüfung sofort aufdrängt.[89]
253
Die Mechanismen bei „offenbarer Unbilligkeit“ oder Verzögerung der Leistungsbestimmung entsprechen im Wesentlichen denen des § 315 Abs. 3: Bei Verzögerung oder offenbarer Unbilligkeit erfolgt die Leistungsbestimmung