BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann
Für die Bestimmung der maßgeblichen Zeitpunkte kommt es vorrangig auf die Vereinbarung der Parteien an, die es unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls auszulegen gilt. Das ergibt sich für beide Absätze des § 271 aus dem Wortlaut des Gesetzes.
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Die Zweifelsregel des § 271 Abs. 1 greift dem ausdrücklichen Wortlaut nach nur ein, wenn keine Leistungszeit bestimmt ist. Ein Beispiel bieten Vereinbarungen, denen zufolge der Schuldner erst nach Vorlage bestimmter Dokumente zahlen muss – etwa von Verladungsnachweisen, wenn Ware zu versenden ist. Dann tritt Fälligkeit erst mit Vorlage dieser Dokumente ein. Dahingehend sind regelmäßig Klauseln wie „Zahlung gegen Dokumente“ auszulegen, die im unternehmerischen Geschäftsverkehr häufig vorkommen.[3] Wenn die Parteien vereinbaren, dass die Fälligkeit einer Leistungspflicht über den nach dem Vertrag an sich nahe liegenden und üblichen Zeitpunkt hinausgeschoben wird, die Erfüllbarkeit aber unberührt bleibt, spricht man von Stundung.[4] Der Schuldner kann dann zwar vor dem vereinbarten Termin erfüllen, muss es aber nicht; er gerät beispielsweise vor dem vereinbarten Termin nicht in Verzug.
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§ 271 Abs. 2 setzt die Bestimmung einer Leistungszeit voraus, greift aber in seinen Rechtsfolgen ebenfalls nur „im Zweifel“ ein. Auch insoweit sind also Parteivereinbarungen vorrangig zu beachten.[5] Wenn für die Lieferung von Möbeln ein Liefertermin vereinbart ist, können die Parteien beispielsweise vereinbaren, dass die Lieferung – anders als § 271 Abs. 2 „im Zweifel“ vorsieht – nicht vor diesem Termin erfolgen kann.
b) Gesetzliche Bestimmungen
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Wenn sich aus der Parteivereinbarung nichts Abweichendes ergibt, werden die maßgeblichen Zeitpunkte für bestimmte Schuldverhältnisse von gesetzlichen Bestimmungen besonders geregelt. Diese Bestimmungen sind dispositiv,[6] so dass Parteivereinbarungen vorrangig gelten. So regelt etwa § 556b Abs. 1 die Fälligkeit der Miete, § 488 Abs. 3 S. 1 die Fälligkeit der Rückzahlung eines Darlehens oder § 608 Abs. 1 die Fälligkeit der Rückerstattung der überlassenen Sache beim Sachdarlehen.
c) Umstände
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Wenn weder Vereinbarungen noch gesetzliche Bestimmungen die Leistungszeit regeln, kann sie sich auch aus den Umständen des Einzelfalls ergeben.[7] Beispielsweise kann die Erfüllbarkeit entgegen der Zweifelsregel des § 271 Abs. 2 hinausgeschoben sein, wenn der Gläubiger ein rechtlich geschütztes Interesse daran hat, die Leistung nicht vor Fälligkeit entgegennehmen zu müssen. Ein solches Interesse hat der BGH etwa zugunsten des Käufers von Einbauküchen anerkannt, wenn ein Liefertermin vereinbart ist:[8] Zuvor hat der Käufer oft keine Verwendung für die Küche und müsste sie häufig zu hohen Kosten zwischenlagern.
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In Fall 24 haben G und S eine Leistungszeit vereinbart, nämlich Lieferung in der Nacht von Sonntag auf Montag. Erfüllbarkeit tritt nach der Zweifelsregel des § 271 Abs. 2 aber schon vor diesem Liefertermin ein, so dass S auch schon am Freitag liefern dürfte. G und S könnten insoweit aber konkludent eine abweichende Vereinbarung getroffen haben, wonach die Zweifelsregel des § 271 Abs. 2 nicht gelten soll. Allein aus der Vereinbarung des Liefertermins lässt sich eine solche konkludente Vereinbarung aber nur schwer herleiten. Allerdings könnte sich aus den konkreten Fallumständen ergeben, dass die Zweifelsregel nicht gilt. Gemüse ist eine leicht verderbliche Ware. Für Gemüsehändler ist es wichtig, frische Ware anbieten zu können. Das ist Gemüsegroßhändlern auch bekannt. Just-in-time-Belieferungen sind deshalb im Gemüsehandel verkehrsüblich. Die Lagerprobleme der Großhändlerin sind ihrem Risikobereich zuzuordnen. Daher ergibt sich aus den Umständen, dass die Erfüllbarkeit entgegen § 271 Abs. 2 erst mit dem vereinbarten Liefertermin eintritt. S darf also nicht schon zuvor liefern.
Hinweis: Man könnte – abweichend vom hier eingeschlagenen Lösungsweg – auf Grundlage der §§ 133, 157 auch eine konkludente Vereinbarung bejahen, derzufolge die Zweifelsregel des § 271 Abs. 2 nicht gelten soll. Dabei wären letztlich dieselben Argumente maßgeblich wie im Lösungsvorschlag oben. Es ist in Prüfungsarbeiten aber regelmäßig klüger, in entsprechenden Fällen eine konkludente Vereinbarung abzulehnen und die entscheidenden Sachargumente bei den „Umständen“ unterzubringen. So kann man der Korrektorin auch zeigen, dass man weiß: In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Umstände des Einzelfalls auch ganz unmittelbar – also ohne die Fiktion einer konkludenten Parteiabrede – zu Abweichungen von den Zweifelsregeln des § 271 führen können.
d) Zweifelsregeln (§ 271)
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Wenn weder die Parteivereinbarungen noch gesetzliche Bestimmungen Abweichendes bestimmen und auch die Umstände des Einzelfalls nichts Abweichendes ergeben, kommen die Zweifelsregeln des § 271 zum Tragen. § 271 Abs. 1 regelt sowohl die Fälligkeit als auch die Erfüllbarkeit von Schulden. Beides tritt im Zweifel sofort ein: Der Gläubiger kann die Leistung sofort verlangen (sofortige Fälligkeit), der Schuldner kann die Leistung sofort bewirken (sofortige Erfüllbarkeit). Mit „sofort“ ist aber nicht unbedingt der Zeitpunkt gemeint, zu dem die Leistungspflicht entsteht, so dass der Gläubiger die Leistung „auf der Stelle“ verlangen könnte. Vielmehr kann unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte (§§ 133, 157, 242) eine mit Rücksicht auf die konkreten Einzelfallumstände zu bestimmende Zeitspanne des Abwartens einzuhalten sein.[9]
288
Steht der Vertrag unter einer aufschiebenden Bedingung, treten Fälligkeit und Erfüllbarkeit frühestens im Zeitpunkt des Bedingungseintritts ein. Denn erst ab diesem Zeitpunkt entstehen die Leistungspflichten aus dem Vertrag.[10]
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§ 271 Abs. 2 regelt Fälligkeit und Erfüllbarkeit für den Fall, dass eine Leistungszeit bestimmt ist. Dann gilt für die Fälligkeit im Zweifel: Der Gläubiger kann die Leistung erst ab dem Zeitpunkt der bestimmten Leistungszeit verlangen. Für die Erfüllbarkeit sieht § 271 Abs. 2 Abweichendes vor. Der Schuldner kann im Zweifel die Leistung auch schon vor der vereinbarten Leistungszeit bewirken. Wer etwa ein zinsloses Darlehen erhalten hat, kann das Darlehen im Zweifel schon vor der bestimmten Leistungszeit zurückzahlen. Wenn der Schuldner einer unverzinslichen Geldforderung dementsprechend vorzeitig zurückzahlt, kann er jedoch gem. § 272 keinen Abzug wegen Zwischenzinsen vornehmen. Mögliche Zinsvorteile des Gläubigers muss der Schuldner in diesem Fall also hinnehmen, da seine Zahlung freiwillig erfolgt.
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Die vorzeitige Erfüllungsmöglichkeit, die § 271 Abs. 2 als Zweifelsregel vorsieht, wird den Parteiinteressen oft nicht gerecht. Deshalb wird beispielsweise in verzinslichen Darlehensverträgen regelmäßig vereinbart, dass die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens ausgeschlossen ist bzw nur unter Zahlung zusätzlicher Entgelte („Vorfälligkeitsentschädigung“) erfolgen darf. Solche Vereinbarungen sind gegenüber der Zweifelsregel vorrangig.[11] Beim verzinslichen Darlehen finden sich auch vorrangige gesetzliche Bestimmungen, die § 271 Abs. 2 verdrängen: So sieht § 488 Abs. 3 S. 3 nur für das nicht verzinsliche Darlehen vor, dass der Darlehensnehmer auch ohne Kündigung zur Rückzahlung berechtigt ist. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Erfüllbarkeit der Rückzahlungspflicht grundsätzlich nicht vor Kündigung des Darlehens (vgl dazu die Kündigungsgründe des § 489) statthaft ist. Auch aus den Umständen kann sich ergeben, dass § 271 Abs. 2 nicht