BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil. Harm Peter Westermann

BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil - Harm Peter Westermann


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Anspruch muss also, wie man auch sagt, „vollwirksam“, also durchsetzbar sein. Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz der Durchsetzbarkeit bildet § 215: Wenn der Gegenanspruch noch nicht verjährt war, bevor der Anspruch des Gläubigers entstanden war, kann der Schuldner ein Zurückbehaltungsrecht auch auf den mittlerweile verjährten Anspruch stützen. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Schuldner sich auch schon vor Verjährungseintritt auf § 273 berufen hat. § 215 bewirkt also, dass bei Ansprüchen, die sich zu irgendeinem Zeitpunkt wirksam gegenüberstanden, die Verjährung das Zurückbehaltungsrecht nicht hindert. Dies erklärt sich aus dem Zweck der Verjährung: Die Verjährung soll vor allem der Rechtssicherheit der Parteien dienen, nach einer gewissen Zeit nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Standen sich Ansprüche aber einmal wirksam gegenüber – bestand also zu diesem Zeitpunkt jeweils die Möglichkeit der Parteien aufzurechnen – so werden diese Ansprüche in ihrem Schicksal verknüpft und die Verjährung soll nicht einer Partei zu Hilfe kommen; diese Verknüpfung der Ansprüche überwiegt das Interesse des Schuldners an der Sicherheit, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Dem Gläubiger wird hierdurch die Aufrechnungsmöglichkeit erhalten, sodass ihn eine drohende Verjährung nicht unter Druck setzt.[24]

      In Fall 31 ist zwar der Gegenanspruch des V gem. § 195 verjährt und somit eigentlich gem. § 214 Abs. 1 nicht mehr durchsetzbar. Doch greift hier § 215, sodass V dem K den verjährten Anspruch im Rahmen des § 273 Abs. 1 entgegenhalten kann.

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      Nicht in allen Situationen wird das Zurückbehaltungsrecht den Parteiinteressen oder den besonderen Umständen spezifischer Schuldverhältnisse und Situationen gerecht. Das Zurückbehaltungsrecht besteht daher nur, wenn es nicht vertraglich oder gesetzlich ausgeschlossen ist.

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      Den Vertragsparteien steht es grundsätzlich im Rahmen ihrer Privatautonomie frei, das Zurückbehaltungsrecht gänzlich auszuschließen oder zu modifizieren. So liegt es immer dann, wenn eine der Parteien nach den vertraglichen Vereinbarungen vorleistungspflichtig ist. In AGB sind solche Vereinbarungen allerdings nur eingeschränkt möglich: Gem. § 309 Nr 2 lit. b kann der AGB-Verwender ein Zurückbehaltungsrecht seines Vertragspartners nicht wirksam ausschließen oder einschränken, soweit das Zurückbehaltungsrecht auf demselben Vertragsverhältnis beruht. Dabei liegt eine Einschränkung des Zurückbehaltungsrechts schon darin, dass seine Ausübung von der Anerkennung von Mängeln durch den Verwender abhängig gemacht wird. § 309 Nr 2 lit. b ist allerdings enger als § 273: Die Norm erfasst nur Vereinbarungen, bei denen sich Ansprüche aus demselben Vertragsverhältnis ergeben. Sie steht Vereinbarungen nicht entgegen, die sich auf Ansprüche aus unterschiedlichen Vertragsverhältnissen (oder Lebenssachverhalten) beziehen.

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      Das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 betrifft wechselseitige Ansprüche, also solche, die weniger eng verbunden sind als Ansprüche die im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinanderstehen. Das berücksichtigt das Gesetz unter anderem in § 273 Abs. 3: Der Gläubiger kann die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung abwenden. Beim Zurückbehaltungsrecht nach § 320 gilt das dagegen nicht (vgl § 320 Abs. 1 S. 3). Wie Sicherheit zu leisten ist, regeln die §§ 232 ff. So kann der Gläubiger beispielsweise Geld oder Wertpapiere hinterlegen (vgl § 232 Abs. 1). Generell ist auch die Stellung eines tauglichen Bürgen eine denkbare Form der Sicherheitsleistung (§ 232 Abs. 2). Diese – eher unsichere – Form der Sicherheitsleistung ist für die Abwendung des Zurückbehaltungsrechts aber in § 273 Abs. 3 S. 2 ausgeschlossen.


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