Die Sterne in uns. Jan Corvin Schneyder
Dutzende, wenn ich mich recht erinnerte. Ich hatte es nicht gesehen, aber sie war schon auf einigen Schiffen im Dienst gewesen. Solche Dinge sprachen sich herum. Akteneinsicht in ihre Vergangenheit hatte ich nie gehabt. Da sie mir nun formal unterstellt wurde, sollte ich aber eigentlich bald eine Akte bekommen. Das würde eine äußerst interessante Lektüre werden.
Noona Striker spuckte das Kaugummi auf den Boden, bückte sich in den Gleiter und steckte sich dann eine Zigarette in den Mund, die sie mit einem Mini-Lighter entzündete.
Ich hatte auch amateurhafte Erfahrungen mit diesem archaischen Ritual des Rauchens, aber wie sie nun den Qualm tief inhalierte, und durch die Nase ausströmen ließ, sah einfach abgezockt aus. Irgendwie verlieh ihr das einen entschieden männlichen Touch. Nicht so einen jungenhaften Kumpel-Touch wie bei mir, sondern eine Mischung aus Nymphomanin und männlichem Action Hero.
Ich zweifelte nicht an meiner Entscheidung, sie angeworben zu haben. Falls der Täter ihre Ankunft ebenso beobachtete wie ich, würde er sich entweder vor Angst oder vor Erregung in die Hose machen.
Ich betätigte sämtliche Entsperrungs-Funktionen und meine Station öffnete sich wie eine erblühende Knospe.
Alle Systeme fuhren hoch, alle Türen, Fenster, Sonnenblenden, Luftschächte, Luken und Tore wurden geöffnet.
Und alles funktionierte!
Ich hatte in den frühen Morgenstunden Routine um Routine durchlaufen lassen, um ein Gefühl für den Zustand der Anlage zu bekommen. Systemreparaturen, Systemwiederherstellungen, Schwachstellensuchen. Viele kleine zertretene Sprösslinge der IT-Struktur hatten sich wieder aufgerichtet. Ob damit alle Sabotage oder Schadsoftware aus dem System verbannt war, blieb Spekulation, aber die Station gehorchte meinen Kommandos.
Das tat verdammt gut!
Wie das unablässige Weitermachen und Ausprobieren am Ende oft doch noch zu Verbesserungen führt! Aufgeben und verzweifeln ist einfach kacke. Nicht vergessen, dass es immer wieder aufwärts geht, Woodi, egal in welchem Loch du steckst!
Ich dachte an den oder die Verursacher dieser ganzen Schieflage. Doch Andrew? Wenn dieser Penner noch hier drin war – fein! Sein Problem. Und wenn nicht, was irgendwie wahrscheinlich war, musste die Angst einfach weg, die mir wie Feuchtigkeit in der Seele hing.
Ich hatte eine Schusswaffe.
Noona Striker hatte eine Schusswaffe.
Gemeinsam würden wir auch einen Killer-Androiden platt machen.
Ich fand, Striker vermittelte immer den Eindruck, unsterblich zu sein. Dabei war sie mindestens zwei Mal so gut wie tot gewesen, und das waren nur die Stories, die ich kannte.
Diese Frau würde erst sterben, wenn sie damit einverstanden war.
Das getönte Fenster vor meiner Nase fuhr hoch in seine Rahmenhülse.
BAMM!
Die Sonne traf mein müdes Hirn mit all ihrer monströsen Pracht.
Aua, stechender Kopfschmerz des Grauens, verpiss dich!
Der Schmerz pochte kurz wie Migräne, inklusive Schwindel und einsetzender Übelkeit. Ich kniff die Augen zusammen, dann blinzelte ich mühsam und gewöhnte mich langsam an die grelle Herrlichkeit unseres Sterns Sol. So hieß unsere Sonne in der Unterscheidung zu den Milliarden anderen Sonnen da draußen. Ich hatte bestimmt hundert andere mit eigenen Augen gesehen, trotz meiner wenigen Jahre im All. Bei einer durchgehenden Karriere von sechzig Dienstjahren sah man sicher eintausend Sonnen oder mehr.
Das relativierte einiges.
Anfangs.
Aber bald schon war mir klar geworden, dass es in meinem Herzen nur eine Sonne gab.
Unsere.
Alle anderen nannte ich bei ihrem kartographischen Namen. Manche waren kleiner, andere größer. Viele hatten gänzlich andere Farben. Aber unsere Sonne war eben meine Sonne.
Und ich sah sie am liebsten vom Boden aus, nicht durch den Screen eines Raumschiffs.
Trotzdem wünschte ich in diesem Moment, eine Wolkenwand hätte sie verschluckt.
Ihr Licht war entlarvend rein und tat mir weh.
»Hi Noona!«, rief ich und winkte.
Eine Begrüßung mit mehr Esprit war mir nicht eingefallen.
Esprit war nicht so meine Stärke.
Striker sah zu mir hoch und stemmte die Hände in die Hüften.
»Was für ein beschissener, gottverlassener, abgrundtief langweiliger Ort«, rief sie. »Passt zu dir, Woodman!«
Sie lächelte nicht und ging zu ihrem Gleiter.
Ich wusste, wie sie war, aber ich war dennoch angepisst. Sorry für die Wortwahl.
Was für eine elende Bitch!
Sorry für meine … ach, scheiß drauf!
Nicht provozieren lassen!
Sie fuhr ihren Gleiter hinein, ich ging hinunter.
Im gläsernen Büro meines zerhackten Crewies Lennox Torgan standen wir uns dann gegenüber.
Striker nahm die Sonnenbrille ab.
Ich fand ihre grünen Augen noch verspiegelter als die dunklen Gläser der Brille. Ihr Blick war wie ein scharfkantiger Smaragd, der einem die Luftröhre zerschnitt.
»Wie sagte Stan immer? Rehaugen-Dewie Woodi?«, fragte sie in erstaunlich neutralem Tonfall. Spott fehlte darin, und das verunsicherte mich.
Stan sagte das? Wieso sagte? Ist ihm was passiert? Sind sie nicht mehr zusammen? Oder einfach nur wegen früher?
»Heute Stalev Woodman natürlich«, korrigierte sie sich hastig. Nach Respekt klang es jedoch nicht gerade, allerdings auch nicht bösartig.
»Man hat mir interessante Dinge versprochen, wenn ich kurz unter deiner Fuchtel diene, Woodman. Wie kommt denn das?«
Ich kratzte mich an der Nase und dachte einen Moment darüber nach, wie ich es ihr am besten erklären sollte.
»Naja, ich bin da vielleicht in eine krasse Sache geraten, und du bist ziemlich unerschrocken.«
Sie lächelte erstmals.
»Unerschrocken? Meinst du nicht eher verrückt oder abgefuckt?«
Ich schaffte es, nicht zu nicken.
»Verrückt sicher nicht. Ich halte dich für sehr gut, in dem was du tust.«
Ihr Lächeln verschwand. Sie ging an mir vorbei und stieß, sicher nicht unabsichtlich, ihre Schulter gegen meine.
»Wo ist die Kommandozentrale, falls dieses Schulgebäude oder was dieser hässliche Schandfleck in der Landschaft sein soll, sowas hat?«
Ich eilte hinter ihr her wie eine Untergebene und erklärte den Weg. Sie ging so schnell, dass ich fast rennen musste, um zu folgen.
»Was weißt du?«, fragte ich, hinter ihr her hechelnd.
Das war sowas von unhöflich von ihr!
»Dass es Anschläge auf Geschütze gab und bei dir hier einen Mord. Muss ich viel mehr wissen?«, gab sie gelangweilt zurück.
Sie erreichte mein Büro, also die Zentrale, und fing gleich an, sich an den Konsolen und Displays Aufzeichnungen und Daten anzusehen.
Das Zeug flimmerte beeindruckend schnell an ihr vorbei, aber sie schien es problemlos verarbeiten zu können.
Nach einigen Momenten entschied ich, sie trotzdem über ein paar Dinge aufzuklären. Die Berichte, die sie da las, hatten sicher nur eine seltsame Version der Realität abgebildet.
»Einen Verräter, eine Verletzte, einen Toten. Nein, zwei Tote inzwischen! Letzte Nacht wurde einer meiner Assistance-Dewies