Lasst uns über Liebe reden. Walter Muller

Lasst uns über Liebe reden - Walter  Muller


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die Liebe zu reden, hellt jeden Lebenslauf auf; da muss man nichts schönfärben oder zurechtpolieren. Die Liebe hat immer bezaubernde Überraschungen parat.

      Und dann gibt es auch und vor allem die berührende Liebe einer Frau zu ihrem, unserer Welt allmählich entschwindenden Mann, die Liebe der jüngeren zur älteren Schwester, einer Mutter zu ihren Kindern, die Liebe zwischen zwei ungleichen Freunden, die Liebe eines Menschen zum Sport, zur Musik, zum Zirkus und vieles mehr.

      Ich habe im Laufe der Zeit Hunderte Trauerfamilien kennengelernt, die mir von ihrem oder ihrer lieben Verstorbenen erzählt haben, und Hunderte Male, nein: jedes Mal, ist es auch um die Liebe gegangen. Um die große, die lebenslange, die konfliktbeladene, die dritte nach der zweiten und der ersten. Aber immer war von der Liebe die Rede.

      Natürlich endet manche Beziehung, manche Ehe in Bitternis, und manche Enttäuschung lässt sich nicht wegzaubern. Wenn die Liebes-Episoden in einer Menschenbiografie schier unüberschaubar werden, weil der verstorbene Vater noch zwei Kinder aus einer ersten Ehe und zusätzlich zu den beiden Kindern aus der zweiten, immer noch gültigen Verbindung, ein Kind aus einem Seitensprung … – dann lese ich aus dem wahrhaftigen Gedicht Was es ist von Erich Fried vor:

       … Es ist lächerlich, sagt der Stolz

       Es ist leichtsinnig, sagt die Vorsicht

       Es ist unmöglich, sagt die Erfahrung

      es ist was es ist, sagt die Liebe.

      Damit lassen sich bei der Abschiedsfeier schwierige Situationen respektvoll und warmherzig auflösen, manchmal sogar kleinere oder größere Misslichkeiten im Familienverband bereinigen. „Es ist, was es ist. Es war, was es war…“

      Ach, lasst uns über die Liebe reden! Mit all ihren Spiegelungen und Brüchen. Über die Liebe und über das Leben. Und vergesst nie: Jeder Mensch ist ein eigener Kosmos, einzigartig, unverwechselbar.

       „Kommt ein Vogel …?“

      (Robert Grannersberger, 1969–2016)

      Die Sissy gibt sich alle Mühe, spricht ihrem Mann sanft, zärtlich die beiden Wörter vor: „Noch ein …“ Jetzt wartet sie geduldig, bis er, der Robert, das richtige Wörtchen gefunden hat. „Tor“, sagt er mit unsicherer Stimme.

      Richtig, Robert. „Noch ein Tor!“ Also gleich noch einmal.

      Für einen ehemaligen Fußballer ist das doch eine Winzigkeit. Wie oft hat er dieses Sätzchen im Stadion gebrüllt? „SAK vor, noch ein Tor!“ Wenn er selbst kickte, hatte er es aus den Kehlen der Fans gehört: „Grannersberger vor, noch ein Tor!“ Und jetzt?

      Die Sissy gibt nicht auf, und der Robert strengt sich mächtig an. Neuer Versuch, dieses Kinderlied: „Kommt ein Vogel …“ – „… geflogen“. Bravo, Robert!

      Am Ende seines Lebens war Robert Grannersberger ein Kind. Ein liebenswertes 47 Jahre altes Kind, ein lieber Mensch. Mit diesem verschmitzten Lächeln ab und zu; manchmal noch für ein paar Stunden den Schalk im Nacken. Wie auf dem Foto aus dem Steintheater in Hellbrunn auf der Traueranzeige. Und wie als Kind damals.

      Er war dankbar für alles. Dankbar der Mama, die jeden Tag zu ihm herübergekommen ist. Dankbar für die zärtliche Bestimmtheit, mit der seine Frau, die Sissy, auf ihn aufgepasst, ihn an der Hand genommen und durch sein so klein gewordenes Leben geführt hat. Die an seiner Seite war in den Stunden der Angst, sich gefreut hat, wenn er sich wohlgefühlt hat. Das lange, langsame Abschiednehmen. Dieses nicht leicht zu verstehende, nicht leicht zu ertragende Sich-Entfernen aus der für uns überschaubaren Welt.

      Es ist so. Jeder Mensch ist ein eigener Planet – wertvoll, faszinierend, schön, spannend, liebenswert, interessant, facettenreich, anders, unvergleichbar, einzigartig. Manchmal können wir Planeten uns einem anderen Planeten annähern, beschreiben mit ihm ähnliche Flugbahnen im Universum, spüren genau dieselben Schwingungen, fühlen einander unendlich nahe, auf ein und derselben Ebene. Für kurze oder lange Zeit. Man kann das Liebe nennen, Vertrautheit, Herzgefühle.

      Manchmal bleibt uns ein anderer Planet fremd oder wird einem, wodurch auch immer, fremd. Vielleicht auch wir ihm. Und wir kreisen nebeneinander her, als würden wir nicht denselben Kosmos bewohnen. Aber immer bleibt dieser Planet, dieser Mensch einzigartig, besonders, mit all seinen Ecken und Kanten, Schrulligkeiten, Liebenswürdigkeiten und seinen Geheimnissen.

      Der Planet Robert Grannersberger war ein besonderer Planet, ist auf seiner Umlaufbahn um und durch diese Welt gezogen. Mit seiner eigenen Antriebskraft, seiner eigenen Sehnsucht, seiner eigenen Liebe.

      Manchmal, besonders in den Jahren dieser gnadenlosen Krankheit, waren seine Geheimnisse für andere nicht zu entschlüsseln. Warum ist er so? Warum verhält er sich so merkwürdig? Wo kommen seine Stimmungen her? „Es ist so geheimnisvoll, das Land der Tränen“, heißt es im Kleinen Prinzen von Saint-Exupéry. Manche Menschen haben den Planeten Robert im Laufe des Lebens aus den Augen verloren, ihn auf seinem Weg nicht mehr begleitet, begleiten können, begleiten wollen. Manchmal prallen Planeten auch gegeneinander, und einer wird oder beide werden aus ihrer Umlaufbahn geschleudert, für lange Zeit, für immer. Andere bleiben beisammen, in guten und in schweren Jahren.

      Jeder Mensch ist ein eigener Planet: kostbar, einzigartig, besonders.

      Am 2. April 1969 erblickt in Maxglan Robert Grannersberger das Licht der Welt, im gleichen Jahr wie Oliver Kahn geboren wurde, der Torhüter, im Jahr, in dem der erste Mensch den Mond betrat und die englische Rockband „Led Zeppelin“ ihre erste LP herausbrachte.

      1969 – das Jahr, in dem der SAK 1914 im österreichischen Fußballcup gegen die renommierte Wiener Austria (mit Köglberger, Fiala, Parits in deren Reihen) spielte und 2:5 verlor. Bei den Blaugelben aus Nonntal kickten heimische Größen wie Hannes Granzer oder Fredl Kainberger. Robert Grannersbergers Herz wird immer für die Blaugelben, für seinen Verein schlagen, so wie sein Blut immer „stiegl-rot“ sein wird, wie das Rot seiner Brauerei. Eine treue Seele.

      Robert ist das Jüngste von den vier Kindern der Maria und des Otto Grannersberger. Drei Geschwister gibt es bereits, jeweils im Abstand von vier Jahren geboren: Rosemarie, Othmar und Rudi. Der Vater ist gelernter Schlosser, Heizer bei der Stieglbrauerei und Nebenerwerbsbauer. Am kleinen Hof am Haslbergerweg gibt es zwei, drei Stierkälber, zwei, drei Kühe, ein paar Schweindln.

      Der Robert ist ein quirliger Bub, voller Temperament, abenteuerlustig und unerschrocken. Kein „Kittlschliafa!“ Er kraxelt überall hinauf, auch auf den „Bimbo“, den Stier, auf dem er reitet, bevor er ihn in den Transportwagen Richtung Schlachthof treiben muss.

      Der Robert ist kein Riese, als Kind kann er längere Zeit unterm Tisch durchlaufen, ohne sich den Kopf anzustoßen.

      Angst ist ein Fremdwort für ihn, damals. Wie ängstlich wird er später sein, in den Zeiten der Krankheit, wenn ihm etwas fremd ist … eine Gegend, in der er noch nicht gewesen ist, ein Mensch, den er nicht kennt, und er sich lieber zurückzieht, daheimbleibt, die Augen schließt.

      Furchtlos aber war er damals als Kind, beim Skifahren im Lungau, in der Heimat der Mutter, bei den Großeltern. Kein Weg durch den Wald war ihm zu gefährlich, kein Sprung über Gräben zu riskant. Mit den Geschwistern, Cousins, Freunden zuerst bergauf stapfen, eine Piste ausbretteln – und dann waghalsig „schuss“ runterbrausen.

      Oder auf den Pferden, den Haflingern, auf den Bergpfaden, zwischen den Bäumen herumreiten. Schöne Erinnerungen an die Ferienzeit in Lamm/Krottendorf im Zederhaustal. Und dass sich die Kinder dort nicht unbedingt jeden Abend die vom Herumlaufen schmutzigen Füße waschen müssen, bevor sie zu Bett gehen – einfach herrlich!

      Fußball, Roberts große Leidenschaft. Kaum dass er laufen kann, beginnt er auch schon zu kicken. Mit den anderen auf den Wiesen in Maxglan, später dann beim SAK. Mitte der 80er-Jahre spielt er bei seinem Verein, dessen Erste es grad in die oberste Spielklasse, die Bundesliga, geschafft hat. Mit Ballkünstlern wie Detlev Szymanek oder dem Holländer Frenkie Schinkels! Robert Grannersberger


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