Lasst uns über Liebe reden. Walter Muller
und so spitzbübisch gelächelt hast. Ach, diese wunderbare erste Verliebtheit!
Dann haben sich eure Wege getrennt. Die Anni vom Hinterholzerkai hat eine Bürokaufmannslehre gemacht, du hast eine Zeit lang die LBA besucht, die Lehrerbildungsanstalt. Einer deiner Lehrer war Hans Katschthaler, der spätere Landeshauptmann, der jetzt drei Wochen vor dir gestorben ist. Dein Musiklehrer in der LBA wollte unbedingt, dass du ein Instrument erlernst, weil du so musikalisch warst. Orgel zum Beispiel. Bei euch daheim hätte es eine Harfe für dich zum Spielen gegeben. Aber das war nicht in deinem Lebensplan vorgesehen. Singen – gern. Und laut! Dein ganzes Leben lang. Hunderte Wander-, Berg-, Volks- und Wienerlieder. Die Kirchenlieder sowieso. Fehlerfrei und textsicher. Aber kein Instrument.
Und auch die LBA hast du vorzeitig wieder verlassen. Lieber zum Bundesheer, hast du gedacht, für eine Weile.
Dann habt ihr euch wiedergefunden, die Anni und du. Am 24. Februar 1965, an deinem 18. Geburtstag. Bei einem Fest beim Römerwirt in Nonntal, gleich gegenüber von eurem Wohnhaus.
Du hast einen Nebenbuhler, den die Anni ohnehin unbedingt loswerden wollte, unmissverständlich in die Schranken gewiesen. „Hoppla, jetzt komm ich!“ Und die Sache war gelöst. Ihr habt getanzt, du und die Anni, und ihr seid beisammen geblieben, für immer.
Was für ein guter Tänzer du gewesen bist! Wenn die Anni mit ihren Bürokolleginnen unterwegs war, dann hast du auch mit denen getanzt, Kavalier, der du warst. Kein Ball, kein Fest, bei dem ihr nicht bis zum letzten Walzer getanzt habt. Als dich, später dann, das Knie im Stich gelassen hat, habt ihr zumindest in der Silvesternacht auf der „Hütt’n“ zu lauter Musik den Donauwalzer getanzt, die Feuerwerkssterne am Nachthimmel. Ihr zwei, im schönsten Walzerschritt. Da hättest du am liebsten die ganze Welt umarmt!
„Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen“, hat Augustinus geschrieben. Die Engel, da droben oder da drüben, wo auch immer sich der Himmel befindet, werden sich reißen um einen Tanz mit dir. Und du, Gentleman der alten Schule, wirst ihnen keinen Tanz verweigern.
Du hast ihnen ja längst und stolz erzählt: „45 Jahre war ich mit der Anni verheiratet!“ Vom Richard, dem Erstgeborenen, musst du nichts erzählen. Der ist ja längst bei dir. Ihr habt euch umarmt. „Alles ist gut.“ Und heute Nacht werdet ihr eine spontane Fahrt durch das Sternenmeer unternehmen, wie du, Ritschi, mit ihm früher das eine oder andere Mal, einfach so, spontan, mitten in der Nacht runter in den Süden ans Meer gedüst bist.
Im Jänner 1967 habt ihr in der Kirche Herrnau geheiratet, du und die Anni. Vier Monate später, die Liebe hat ihre eigene Zeitrechnung, ist der Richard zur Welt gekommen. Ihr habt in Obertrum gewohnt, dann in der Josefiau – und 1970 seid ihr Parscher geworden und geblieben, im Haus gegenüber der Parscher Kirche.
Die Anni hat beim ORF zu arbeiten begonnen. Du, Richard, hast verschiedenes ausprobiert in deinem Berufsleben: Hypo, dann Verkaufsförderer bei einer Getränkefirma. Und neben der Arbeit, sprich: in der Nacht, hast du, fleißig wie du warst, bei der Firma Albus die riesigen Busse gewaschen und gesäubert, damit mehr Geld ins Haus kommt. Bald seid ihr ja zu viert gewesen. 1973 ist euch der zweite Sohn, der Christian, geboren worden.
Ein fürsorglicher Vater bist du gewesen, sagt der Christian. Immer da, wenn man dich gebraucht hat. Du hast den beiden „Türen geöffnet“ und warst an ihrer Seite – das ist das Wichtigste, ob man sich immer ganz einig ist oder nicht.
Als der Richard und der Christian beim SAK Fußball gespielt haben, bist du selbstverständlich bei jedem Spiel dabei gewesen. Du warst ein richtiger Spielervater, hast alles in die Hand genommen, hast deine Buben unterstützt und angespornt.
Wenn der Richard auf Jungscharlager gefahren ist, bist du mitgefahren, als väterlicher Betreuer für alle. Du hast junge Menschen so gut motivieren können, Richard! Wenn der Christian ins Pfadfinderlager gezogen ist, bist du natürlich ebenfalls mitgekommen, hast organisiert, was zu organisieren war; und wenn noch Kochgeschirr gefehlt hat, hast du halt beim Bundesheer welches besorgt. Später dann, als der Christian in Graz studiert hat, hast du für ihn oft vorgekocht, hast ihm in der Kühltasche allerlei Köstliches und Nahrhaftes mitgegeben, damit der Bub, der Student, nicht verhungern muss.
Bei „SPAR“ bist du Finanz- und Vermögensreferent gewesen, da hast du selbstständig wichtige Entscheidungen treffen müssen und hast dich dabei wohlgefühlt, zehn Jahre lang. Bis auch dieses Kapitel für dich abgeschlossen war. Bei der Wiener Städtischen hast du 20 Jahre lang gearbeitet als Kundenbetreuer. Ich weiß es selbst, wie gewissenhaft und ausdauernd du Menschen, die keine Ahnung vom Versicherungswesen haben, beraten und begleitet hast. Und wenn es gepasst hat, hat man ein paar nagelneue Witze dazu serviert bekommen. Du warst Bezirksinspektor, aber Titel waren für dich das Unwichtigste überhaupt. Zu deinen Aufgaben hat es auch gehört, in den Kasernen die jungen Grundwehrdiener über Versicherungen zu informieren. Das hat dir Freude gemacht. Junge Menschen hast du gemocht.
Du hast die Natur geliebt, Richard, und hast die Deinen mitgenommen, deine Familie und Annis Familie – in die Berge, auf den Hochkönig zum Beispiel. Urlaub auf den Almen! Als du selbst noch ein junger Mann warst, bist du mit deiner Schwester Helga mit dem Fahrrad über den Pass Lueg gestrampelt und dann seid ihr zu Fuß hinauf auf die Werfener Hütte gestiegen. Die Berge haben dich fasziniert.
Zur Bundesheerzeit hast du am Untersberg beim Seilbahnbau mitgeholfen und hast Ziegel geschleppt. Das karge Ziegelgeld ist nach den Anstrengungen meist fürs Durstlöschen draufgegangen.
Wo du glücklich warst? Beim Schwammerlsuchen in Hüttau! Auf Reisen, mit dem Auto nach Kroatien. Du, der Frühaufsteher, hast alle anderen zum Frühstück mit Obst und Gemüse versorgt, das du bei Sonnenaufgang gepflückt oder eingekauft hast. Die Kreuzfahrt durchs Mittelmeer, die Schiffsfahrt auf dem Rhein, die Reise zur Zitronenblüte in Nizza und Cannes. Wanderurlaube in Niederösterreich. Die Flugreisen nach Amerika, nach Florida … und einmal mit dem Wohnmobil von Los Angeles bis Las Vegas. Deinen 65. Geburtstag, heuer im Februar, habt ihr, die Anni und du, Richard, auf Mallorca gefeiert, als die Mandelbäume so wunderschön geblüht haben.
Über alle Maßen glücklich? Auf der „Hütt’n“! Seit 30 Jahren – in jeder freien Minute „auf der Hütt’n“! Am Fuße des Schlenken habt ihr einen Stadel umgebaut, habt jedes Brett händisch hinaufgeschleppt, und dein Vater hat dir geholfen beim Fenster-Einbauen. Die zweite Hütte, die in Adnet-Wimberg, ist schon gestanden, aber hübsch erweitert habt ihr sie, immer fest Hand angelegt. Und dann diese unvergesslichen Momente: In der Hütte sitzen, vor der Hütte sitzen, mit lieben Freunden die prachtvolle Aussicht genießen, den Sonnenuntergang.
Einfach glücklich sein. Reden, singen, erzählen … wie lange du und die Anni schon verheiratet seid zum Beispiel. Voller Genuss das Bier trinken und den Schweinsbraten verspeisen, den du eigenhändig am alten Bauernofen zubereitet hast … oder deine Kaspressknödel. Ein begnadeter Koch bist du gewesen. 25 Leberknödel auf einmal – eine Kleinigkeit. Koch und Genießer. Beim Kochen hast du dich so gut vom Arbeitsstress und vom Alltagsärger erholen können. Redselig warst du. Und leutselig. Selig mit Leuten rund um dich.
Deine Anni hast du überallhin begleitet, auch zu den Dreharbeiten fürs Klingende Österreich. Du warst stolz auf deine Familie, über das erste Schulzeugnis eurer Enkelin Stefanie, lauter Einser!, hast du dich sehr gefreut. Vor vier Wochen warst du noch auf der „Hütt’n“, ein bissl was herrichten, für später.
Am Schluss ist alles so schnell gegangen. Dass du alles erledigt hast, hast du der Anni gesagt, „wann i’ a Bankl reiß“. Das war deine Art: raue Schale, butterweiches Herz. Du hast viele Seiten des Lebens kennengelernt, nicht nur die strahlenden. Du hast verzweifelt und du hast so glücklich sein können, Ritschi, Hirtenbruder. Du hast dir den Himmel weiß Gott redlich verdient.
Barfuß über jeden See
(Robert Christl, 1922–2013)
Da braust einer übers Wasser, am Seil von einem Motorboot gezogen, mehr als 60 Stundenkilometer schnell – braust so dahin und hat nicht einmal Skier unter den Füßen. Barfuß ist er unterwegs, auf den nackten Sohlen.