Die große Inflation. Georg von Wallwitz

Die große Inflation - Georg von Wallwitz


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sich praktischen Überlegungen zu, wie die gegenwärtige Kreditaufnahme bewerkstelligt werden konnte.

      Insgesamt wurde in Deutschland nicht viel über die Finanzierung des Krieges nachgedacht. Geld spielte in den Köpfen zu dieser Zeit tatsächlich keine Rolle. Helfferich glaubte, wie die überwältigende Mehrheit der Deutschen, an einen kurz bevorstehenden Sieg. Und dennoch, er blieb der Minister, der für die fatale Entscheidung verantwortlich zeichnete, den Krieg über Schulden und nicht über Steuern zu finanzieren. 1915 konnte von einem schnellen Sieg (der die Voraussetzung für die Zahlungsfähigkeit der Verlierer war) nicht mehr die Rede sein und ein kluger Finanzminister hätte das Risiko erkennen müssen, zumindest auf den Schulden bei der eigenen Bevölkerung sitzen zu bleiben.

      Indem Helfferich sich dafür entschied, den Krieg gegen den Rest der Welt auf dieselbe Weise zu finanzieren, wie Preußen im 19. Jahrhundert seine Kriege bezahlt hatte, handelte er auf eine Weise, wie man sie in Deutschland oft beobachten konnte. Der Pragmatismus der Engländer bestand in der Tradition des Empirismus darin, sich den Fakten, auch den neuen, zu stellen, ihre Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und daraus das Beste zu machen. Der Pragmatismus der Deutschen hingegen speiste sich, ganz im Sinne Hegels, aus den Lehren der Geschichte: Sie hielten an dem fest, was in der Vergangenheit funktioniert hatte.

      Der Staatssekretär im Reichsschatzamt war wie kaum ein anderer darauf vorbereitet, die Gefahren der Inflation zu verstehen. Im Unterschied zum Brockhaus hatte er durchaus einen Begriff von diesem Phänomen. An historischer Bildung mangelte es ihm nicht, und er hatte seine akademische Karriere auf dem Thema Geld gegründet. Inflationen hatte es immer wieder gegeben, insbesondere in Kriegszeiten, und die letzte Hyperinflation lag nur gut hundert Jahre zurück, als die Revolution in Frankreich zwar das ancien régime verschlang, aber auf dessen Schulden und dem eigenen Versprechen besserer Lebensbedingungen für alle sitzen blieb. Allerdings waren seine Auffassungen über den Ursprung der Inflation alles andere als theoretisch gefestigt, gerade weil er sich als Anhänger der Historischen Schule nicht um Modellierungen und Abstraktionen bemüht hatte.

      Helfferich war der Überzeugung, die Verschuldung sei unschädlich, solange die Reichsbank sich auf die Zwischenfinanzierung der Kredite beschränkte. Die eigentliche Finanzierung erfolgte durch große Kriegsanleihen, wodurch die Geldmenge nicht stieg, denn der Staat gab nur aus, was ansonsten seine Bürger ausgegeben hätten. Es jagte also nicht eine immer größere Geldsumme nach einer gleichbleibenden oder schrumpfenden Gütermenge. Und so gab es keinen Grund für inflationären Druck.

      Dieses Argument ist aber brüchig, denn ein steigendes Kreditvolumen führt erfahrungsgemäß auch zu einem Anwachsen der Geldmenge. Den Krieg über Steuern zu finanzieren hätte einen anderen Effekt gehabt, denn die Abgaben, die der Bürger an den Fiskus leistet, sind für ihn tatsächlich verloren. Steckt er es hingegen in eine Anleihe, so ist er nicht ärmer geworden und kann das Geld immer noch ausgeben, etwa wenn er die Anleihe bei einer Bank als Sicherheit hinterlegt, um einen Kredit zu bekommen. Die Nachfrage nach Gütern wird durch Besteuerung also in ganz anderer Weise gebremst als durch die Begebung von Anleihen. Zudem übersah Helfferich, dass die Anleihe zum größten Teil von Industriellen und Großbürgern gezeichnet wurde. Deren Ersparnisse konnten kaum noch ins Ausland fließen und lagen nutzlos auf Bankkonten herum. Also lag es nahe, diese in Zinspapiere zu investieren. Damit floss im Wesentlichen Geld in die Kriegsanleihen, das ohnehin nicht für den Konsum vorgesehen war (und daher nicht für Preisdruck sorgte). Gleichzeitig stieg die Nachfrage durch den Staat enorm, insbesondere nach militärischen Gütern, die nicht schnell genug produziert werden konnten. Spiegelbildlich war im zivilen Bereich ein schrumpfendes Angebot zu verzeichnen, das eine etwa gleichbleibende Nachfrage durch eine Bevölkerung, die sich noch immer nicht arm fühlte, kaum befriedigen konnte. Das Resultat der Staatsverschuldung waren in diesem Kontext steigende Preise.

      Nach gut einem Jahr schied Helfferich am 9. November 1917, also genau ein Jahr vor Kriegsende, als angesehener Mann aus dem Amt und seine Karriere konnte weitergehen. Er stieg noch ein Stück weiter auf, wurde Vizekanzler. Aber 1917 war dieser Titel nicht mehr viel wert.

      Seit das Geld von jeder materiellen Basis entkoppelt ist, nur noch durch Funktion und nicht mehr durch Form definiert ist, waren Notenbanken immer versucht, mehr Papier (oder seine Äquivalente) in Umlauf zu bringen, als es der Wirtschaftskreislauf vertrug. Und waren diese Banken, seit sie verstaatlicht sind, nicht allzu oft willige Befehlsempfänger der Regierungen, deren Ausgabenwünsche sie finanzierten, ohne sich lange zu fragen, ob der Wohlstand, der hier verteilt wurde, einen realen Grund hatte, ob also dem Geld überhaupt Waren gegenüberstanden? Haben sie den Wohlstand nicht vielmehr oft genug vernichtet, indem sie das Geld schlecht gemacht haben? Rechtfertigt das Destillat aus jenem schmerzhaften Kapitel der Geschichte Deutschlands zwischen 1914 und 1923 etwa nicht ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Staatsschulden? Ist der Status, den Gold bis heute als Währungsreserve genießt, nicht ein deutliches Zeichen, dass die Zentralbanker ihren Kollegen kaum mehr Vertrauen entgegenbringen als einem Pferdehändler?


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