Zeig mal: Gesten. Sabine Handschuck

Zeig mal: Gesten - Sabine Handschuck


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zweifelte an den interkulturellen Kompetenzen des deutschen Außenministers.

      Als nur noch peinlich kann die Selbstdarstellung des italienischen Politikers Silvio Berlusconi bezeichnet werden, der auf einem Pressefoto hinter dem spanischen Politiker Josep Pique stehend, diesem Hörner aufsetzt und die Geste „Mano Cornuta“, auch „Pommesgabel“ genannt, grinsend in die Kamera hielt. Eine Geste, die in der Türkei Recep Tayyip Erdoğan erregte. Fünf türkische Jugendliche, die auf dem Weg zu einem Rockkonzert waren, grüßten den vorbeifahrenden Corso des Staatschefs mit der Geste. Erdoğan ließ die jungen Männer umgehend in Handschellen abführen und einen Tag lang festhalten (Geste 14).

      Erdoğan selbst war auf vielen Pressefotos seit 2013 mit erhobenen vier Fingern (Geste 24) zu sehen (SZ 18.08.2016). Dieses politische Statement drückt seine Unterstützung für die Muslimbrüder und den gestürzten ägyptischen Staatspräsidenten Mohhamad Mursi aus. Das Handzeichen „Rabia“ (vier) ist eine Anspielung auf den Rabia-al-Adawiya-Platz in Kairo, auf dem das ägyptische Militär mit Waffengewalt gegen Demonstranten vorging und über 600 Anhänger der Muslimbrüder tötete.

      Der äthiopische Marathonläufer Feyisa Lilesa nutzte beim letzten olympischen Wettkampf der Leichtathletik die große Bühne für eine politische Geste gegen die Unterdrückung seines Volkes, den Stamm der Orono (SZ 23.08.2016). Dazu erhob er die Arme gekreuzt über den Kopf, ein Symbol für gefesselte Hände. Die olympische Charta verbietet jegliche politische Demonstration. Wer dagegen verstößt, kann disqualifiziert werden. Lilesa wurde lediglich vom IOC an die olympische Charta erinnert, kam also ohne Disziplinierungsmaßnahme davon.

      Die afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos hingegen wurden 1968 bei den Spielen in Mexiko diszipliniert, weil sie ihre schwarz behandschuhten Hände bei der Siegerehrung als Demonstration gegen die Rassendiskriminierung in den USA in die Höhe hielten.

      Die Wirkung von Gesten ist oft eine Herausforderung für die Staatsmacht, wenn sie die Opposition von Bürgern zum Ausdruck bringen. So drohte die Militärregierung 2014 in Thailand gegen den „Gruß von Panem“ (Geste 21) vorzugehen, wenn dieser in der Öffentlichkeit gezeigt würde. Es wurden mehrere Studenten, die gegen die Machtübernahme des Militärs mit dieser Geste protestierten, festgenommen.

      Als ein Beispiel für politisch couragiertes Auftreten ging die Schwedin Tess Apslund durch die Presse (SZ 04./05.05.2016), die sich einer Gruppe aufmarschierter Rechtsextremisten mit erhobener Faust (Geste 30) entgegen stellte. Die Geste habe sie dem Freiheitskämpfer Nelson Mandela abgeschaut, erläuterte Asplund, für sie sei es eine Selbstverständlichkeit gegen Neonazis zu demonstrieren. Ein Fotograf war zur Stelle und veröffentlichte das Foto auf Twitter, viele Tausende teilten es nationen-übergreifend. „Du bist großartig“, twitterte die englische „Harry Potter“-Autorin Joan K. Rowling.

      Die Unterhaltung in der Gebärdensprache ist für mich eine reine Entspannung. Ich kann mich zurücklehnen und die Schönheit der sprechenden Hände beobachten

      Zitat aus einer Fallbeschreibung (Leonhardt 2010:144)

      5. GEBÄRDEN UND GEBÄRDENSPRACHE

      Wäre es nicht schön, wenn Verständigung kulturübergreifend „einfach von der Hand“ ginge? Wenn es eine universelle Gebärdensprache gäbe, die weltweit unterrichtet und damit von allen Menschen erlernt würde? Das ist leider nicht der Fall.

      Während jeder Mensch gestikuliert und zum größten Teil unbewusst die verbale Kommunikation durch Körpersprache ergänzt, kommentiert oder verstärkt, muss die Gebärdensprache erlernt werden. Sie ist eine eigene Sprache, sie sich anzueignen ist ebenso mühsam wie das Erlernen einer Fremdsprache (Leonhardt 2010: 140). In der Gebärdensprache können wie in jeder gesprochenen Sprache komplexe Zusammenhänge ausgedrückt werden und alle Gebärdensprachen haben ihre eigene linguistische Struktur (Boyes Bream 1995: 14).

      Weiter wird die Verständigung dadurch erschwert, dass über hundert verschiedene Gebärdensprachen existieren. Dabei sind Dialekte nicht mit berücksichtigt, von denen es allein in der Schweiz schon mehrere gibt (Boyes Braem / Haug / Shores 2012). So unterscheiden sich die Dialekte der deutsch-schweizer Gebärdensprache in den fünf Kantonen, in denen sie an Gehörlosenschulen unterrichtet werden, und der jeweilige Spracherwerbsort der Gebärdenden kann am Dialekt regional zugeordnet werden.

      Gebärdensprachen unterscheiden sich durch unterschiedliche Zeichen, Zeichenbildungs- und Satzbauregeln. Benutzer verschiedener Sprachen können sich untereinander nicht verständigen, selbst wenn die gleiche Lautsprache gesprochen wird, wie es zum Beispiel bei der britischen (British Sign Language, BSL) und der amerikanischen Gebärdensprache (American Sign Language, ASL) der Fall ist (Crystal 1995: 220). Selbst das Buchstabieren hilft nicht weiter, denn auch das Fingeralphabet unterscheidet sich. Das englische Fingeralphabet wird mit beiden Händen ausgeführt, während das amerikanische nur eine Hand benutzt. So entspricht der Buchstabe „T“ im amerikanischen Fingeralphabet der Geste „Feigenhand“ (Geste 4), im englischen Fingeralphabet wird das Zeichen für „T“ ausgeführt, indem mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den unteren Rand der geöffneten Handfläche der linken Hand gedeutet wird. Im schwedischen Fingeralphabet, das auch mit nur einer Hand auskommt, werden Zeigefinger und Daumen aus der zur Faust geschlossenen Hand gestreckt, was in Deutschland als Zählgeste für „zwei“ gedeutet werden kann.

      Gebärdensprachen sind also ebenso komplex wie gesprochene Sprachen. „Eine flüssige Konversation in der Gebärdensprache hat eine Geschwindigkeit – ein bis zwei Zeichen pro Sekunde –, die mit der gesprochenen Sprache vergleichbar ist. Die Bildung eines Gebärdenzeichens nimmt zwar mehr Zeit in Anspruch als das Aussprechen eines Wortes, aber zahlreiche Zeichen drücken eine bestimmte Bedeutung erheblich prägnanter aus als ihre lautsprachliche Entsprechung“ (Crystal 1995: 222).

      Jede Gebärdensprache verfügt über eine große Anzahl von Zeichen, die amerikanische beispielsweise umfasst etwa 4000. Nur ein kleiner Teil von ist ihnen ist so bildhaft, dass er ohne weiteres Wissen verstanden wird. Die in einer Auf-und-ab- Bewegung zur Faust geballten Hände stehen beispielsweise in der Deutschen Gebärdensprache für den Begriff Wut. Der die Vokabel begleitende Gesichtsausdruck erleichtert die Übersetzung. Das Handzeichen für die Farbe Gelb ist dagegen nicht ohne Kenntnis zu deuten, hier hilft auch Mimik nicht weiter. In der amerikanischen Gebärdensprache entspricht die Farbbezeichnung der Grußgeste „Aloha“ (Geste 7).

      Crystal (1995: 220) vermutet, dass ursprünglich viele Handzeichen der Gebärdensprache ikonisch, also bildhaft waren, die Bildhaftigkeit der meisten Zeichen aber durch den Sprachwandel verloren ging.

      Die Ausdrucksmittel der Gebärdensprache bedienen sich nicht nur der Hände und Arme. Gesichtsausdruck, der Blick und die Blickrichtung, das Bild, das der Mund formt, die Kopfhaltung und die Körperhaltung vermitteln Gefühle und Ansichten der Gebärdenden und sind für die Grammatik der jeweiligen Gebärdensprache von zentraler Bedeutung (Leonhardt 2010: 141). Eine Frage kann von einer Aussage durch das Hochziehen der Augenbrauen oder das Anheben des Kinns unterschieden werden. Die Wiederholung einer Verbgebärde in unterschiedlichen Geschwindigkeiten kann Kontinuität, Wiederholung oder die Betonung eines Aspektes bedeuten und wird durch die begleitende Mimik differenziert. Pausen zwischen Gebärden und Gebärdenfolgen markieren „Satzzeichen“, auch hier erschließt sich durch den Gesichtsausdruck und die Körperhaltung, ob es sich um ein „Komma“, ein „Ausrufungszeichen“ oder einen „Punkt“ handelt.

      Von großer Bedeutung für die Verständigung ist die Nutzung des Gebärdenraums. Der Gebärdenraum reicht von der rechten bis zur linken Seite der gestreckten Arme und vom Scheitel bis etwas unterhalb der Taille. Über dem Kopf oder unterhalb der Gürtellinie werden nur sehr wenige Zeichen ausgeführt (Cystal 1995: 222). Je nachdem wohin jeweils Zeichen in den Gebärdenraum gesetzt werden, drücken sie unterschiedliche Satzelemente oder semantische Funktionen aus. So werden Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit dadurch erkannt, dass Gebärden eher vorne oder eher hinten im Gebärdenraum platziert werden. Wird sich über verschiedene Personen unterhalten, so sind diesen unterschiedliche Bereiche im Gebärdenraum zugeordnet. Der Gebärdenraum wird verkleinert oder vergrößert, je nachdem, ob es eher um „leisere“, zurückhaltende Mitteilungen geht oder um „lautere“, stark emotionale und nachdrückliche Botschaften.


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