El Niño de Hollywood. Oscar Martínez
teils an einer Mauer enden. Die Straße heißt Fulton Street. Mitte der Achtzigerjahre wurden die Nebenstraßen von den salvadorianischen Banden kontrolliert. Was dort mit den jungen Salvadorianern passierte, sollte viele Jahre später für das Schicksal von Miguel Ángel Tobar auf den Kaffeeplantagen des ländlichen Atiquizaya entscheidend werden.
Zu jener Zeit waren die Siedlungen der Hispanos im San Fernando Valley bereits ein brodelnder Schmelztiegel. Angelockt von den niedrigen Preisen fern des Stadtzentrums, zogen Hunderte salvadorianischer Familien in die neue Gegend, darunter auch einige Bandenmitglieder, die im Zentrum gekämpft hatten. Andere beschlossen erst im Valley, sich der Mara Salvatrucha anzuschließen.
Hier zu leben bedeutete, ein paar Stufen auf der Statusleiter der illegalen Einwanderer aufzusteigen. Nur wer im Stadtzentrum zu Geld gekommen war, konnte ins Valley ziehen, und die Reichsten konnten sich sogar ein Haus mit Hinterhof leisten. Einige machten einen Stand auf einem der Flohmärkte, den berühmten swap meets, auf. Dort verkauften sie Schmuggelware, geklaute Artikel und T-Shirts mit kleinen Fehlern, die in den Vergnügungsparks der Universal Studios in Hollywood nicht verkauft werden konnten, weil sie den Anforderungen nicht genügten.
Die Salvadorianer aus dem Valley gehörten, wenn man so will, der Mittelschicht an. Natürlich im Rahmen der miserablen Lebensumstände der Migranten jener Jahre. Die Jugendlichen gründeten ihre eigenen Gangs. Nur dass sie im Gegensatz zu den wilden Stonern weder Leichen auf Friedhöfen ausgruben noch Die Bestie verehrten. Sie gründeten low rider-Clubs und nannten sich Mini Toy, die Abkürzung für Mini Toyota. Bei diesen Autos handelte es sich um Statussymbole und Prestigeobjekte, wahre mobile Werbeflächen. Je tiefer der Wagen lag und je auffälliger er war, umso höher war das Prestige des Besitzers und des Fahrers.
Die Mitglieder jener Gangs erinnern sich an das cruising als einen wahren Karnevalszug bunt lackierter, getunter Autos, an deren Steuer dunkelhäutige Fahrer saßen. Es war, als befände man sich im Videoclip von »La Raza« des Rappers Kid Frost.
Die Mehrheit von ihnen waren Mexikaner oder chicanos, doch die Salvadorianer hatten sich inzwischen einen Platz in der Szene erkämpft. Ihre Autos waren vielleicht nicht so auffällig, aber sie griffen zu anderen Methoden. Die Mini Toy und ähnliche car gangs der Salvadorianer fingen an, die anderen Gangs zu bekämpfen. In Windeseile verabschiedeten sie sich von Knüppeln, Ketten, Macheten und Äxten. Die bunten Lackierungen der Autos hatten nichts mit Gewalt zu tun, aber jene vom System vergessenen Jungen versuchten mit allen Mitteln, einen Konflikt herbeizuführen, ihrem Leben einen Sinn zu geben: die anderen zu hassen. Und nicht nur das: sie zu bekämpfen. Es war die einzige Lebensform, die sie kannten.
Es ist nicht ganz klar, wie eine car gang zu einer mächtigen Zelle der MS-13 werden konnte. Bekannt ist, dass einige Mitglieder aus der Hollywood Gang und aus irgendwelchen Verbindungen zwischen Mitgliedern beider Gruppen kamen. Doch ein konkretes Datum oder einen genauen Moment gibt es nicht. Die MS-13 tauchte irgendwann als Idee im San Fernando Valley auf. Die Mini Toy streiften sich das T-Shirt der MS-13 über, ohne diese Bande richtig zu kennen. Sie nahmen ein Gerücht auf, einen Kriegsschrei, eine fremde Fahne, die aber aussah, als wäre es ihre eigene, und ließen sie im Valley wehen.
Ende 1985 geriet der Krieg in El Salvador ins Stocken. Die Guerilleros des FMLN griffen die Armee bei jeder ihrer Bewegungen an. Mit brutaler Gewalt stürmten sie die größten Kasernen, ohne sich jedoch einen entscheidenden Vorteil in dem militärisch-politischen Konflikt verschaffen zu können. Seit Kriegsausbruch waren fast sechs Jahre vergangen. Es herrschte allgemeine Erschöpfung, und dieser Zustand ließ den Strom salvadorianischer Migranten nach Kalifornien noch weiter anschwellen. Immer häufiger kamen Deserteure beider Seiten in die dortige salvadorianische Gemeinschaft, Männer und Frauen, deren Leben von Gewalt geprägt war, sei es, dass sie sie selbst ausgeübt, sei es, dass sie sie erlitten hatten.
Einer jener Deserteure war ein junger Mann Anfang zwanzig, ein ehemaliges Mitglied der Nationalgarde aus Atiquizaya im Westen El Salvadors. An seiner Adlernase und seinen tief liegenden, schwarzen Augen erkannte man in ihm einen Nachkommen der 1932 ermordeten Ureinwohner. Sein Name war José Antonio Terán. Im Valley nannte man ihn El Veneno (»Das Gift«) und im Westen El Salvadors, Jahre später, Chepe Furia.
Als das ehemalige Mitglied der Nationalgarde ins San Fernando Valley kam, war die Mara Salvatrucha 13 bereits Teil des Systems El Sur, auch wenn sie noch nicht die Bedeutung von Gangs wie der Pacoima Flats oder der gefürchteten, als Pacas bekannten Pacoimas 13 hatte. Der erste Krieg, in den sich die neueste Zelle der MS-13 von Los Angeles verwickelt sah, war der gegen eine Gruppe des Barrio 18 namens North Side. Die Gefechte fanden in der Gegend um die Fulton Street statt. Ihr erbitterter Kampf um diesen Abschnitt des Valleys erregte im kriminellen Milieu der Gegend Aufsehen. Die ehemaligen Krieger und Flüchtlinge wussten wirklich, wie man kämpfte. Das sollte wenig später überdeutlich werden.
Ein ehemaliges salvadorianisches Bandenmitglied namens Fuentes wurde auf die neuen Gruppen aufmerksam. Es gab da einen starken Zweig der Mareros im Valley. Fuentes selbst hatte die tödlichen Kämpfe um kleine Abschnitte der Stadt gegen ein anderes Leben eingetauscht. Jetzt dealte er mit Crack und Kokain. Also schlug er den salvadorianischen Gangs ein neues Geschäft vor: den Verkauf von Drogen.
Doch es gab ein Problem. Damit die Gang der Fulton Street für Fuentes Drogen verkaufen konnte, musste zuerst eine andere beseitigt werden, die in diesem Gebiet das Monopol für den Drogenhandel hatte. Und so kam es, dass die Bande Tijuana Locos ausgelöscht wurde. Sie war eine rein mexikanische Bande des Sur. Ihr Lebensunterhalt war gleichzeitig ihr Verderben: Die Tijuana Locos verbrauchten einen Großteil des Cracks und des Kokains selbst. Dann gaben sie Fuentes weniger Geld, oder sie gaben ihm einfach gar keins.
Fuentes bot den Mareros aus dem Valley dieses Geschäft an. Er hatte gesehen, wie sie verprügelt wurden, wenn man sie beim Drogenkonsum erwischte, und das gefiel ihm.
Nach wenigen Monaten waren die Mitglieder der Tijuana Locos beseitigt. Einer an dieser Straßenecke, ein anderer in jener Seitengasse. Einer nach dem anderen. Die neue Zelle oder Gruppe der Mara Salvatrucha 13 wurde zu einer der respektiertesten Gangs im San Fernando Valley. Die anderen Banden kannten bereits ihren Namen: Fulton Locos Salvatrucha.
Der Große Krieg
Es geschah 1989 auf dem King Boulevard. In einer Seitengasse hinter einer Reihe von Wohnhäusern. Auf einer Party von Banden des Systems El Sur.
Die Mara Salvatrucha 13 war gewachsen. Sie hatte Kaliforniens Erde mit Blut getränkt, mit Sur-Blut. Die Auseinandersetzungen mit den anderen Banden waren brutal gewesen. Die Drifters hatten sich mit den salvadorianischen homeboys von der Western angelegt, die Crazy Riders 13 hatten die junge Gang von der Leeward über die Klinge springen lassen, die Playboy 13 hatten die von der Berendos abgestochen: die MS-13 wurde an allen Fronten angegriffen. Sie hatte bereits mehrere ihrer Mitglieder beerdigt. Nach Black Sabbath waren noch mehr hinzugekommen. Viel mehr.
An jenem Tag im Jahre 1989 nahmen sowohl Mareros als auch 18er an der Party auf dem King Boulevard teil.
»Es gab da ein Problem wegen einem Jungen, der früher bei der MS gewesen war und jetzt als 18er zu der Party kam. Pony nannten wir ihn. Er hatte uns um Erlaubnis gebeten, unsere Gang verlassen zu dürfen, und wir haben sie ihm gegeben. Er sagte, seine Mutter sei krank. Aber das war gelogen, er war ausgetreten, um zum Barrio 18 überzulaufen. Auf der Party haben wir ihm gesagt, dass bei einem Austritt dasselbe Ritual galt wie beim Eintritt in die Gang: 13 Sekunden [Prügel]«, erzählt Zarco Jahrzehnte später. Ein wenig verwirrt starrt er auf den Plastiktisch eines McDonald’s in San Salvador. Er vertraut seinem Gedächtnis nicht so ganz. Der Aufenthalt in kalifornischen Gefängnissen und die Abschiebung in ein ihm unbekanntes El Salvador haben mit seinen Erinnerungen das gemacht, was ein Hurrikan mit den Dächern macht.
Einige Mitglieder seiner Gang, der Western Locos Salvatrucha, waren auch dort, sagt er. Als Boxer, einer vom Barrio 18, sah, wie sein neuer homeboy verprügelt wurde, verlangte er einen one on one, etwas Heiliges im Kodex des Sur, einen Kampf zwischen zwei Bandenmitgliedern, vergleichbar dem Duell des europäischen Adels im 19. Jahrhundert. Etwas, dem man sich nicht entziehen kann, wenn