El Niño de Hollywood. Oscar Martínez
im Westen hatte umbringen lassen. Das Hippie-Mädchen hieß Miriam Interiano. General Medrano verließ die Armee, gab sich dem Boheme-Leben und Miriam Interiano hin und wurde schließlich vor seinem Haus in San Salvador von der Guerilla aus dem Hinterhalt ermordet. So endete der kurvige Lebensweg des gefürchteten Generals, aber nicht der seines Vertrauten.
Die Verantwortung für die Organisation des Kampfes gegen die Aufständischen ging wie selbstverständlich auf Roberto D’Aubuisson über, General Chele Medranos Musterschüler. Er hatte seine militärische Laufbahn als Mayor, einem mittleren Rang auf der Befehlsebene, inzwischen beendet. Nach dem Staatsstreich und der Einsetzung der bürgerlich-militärischen Junta 1979 war er überzeugt, dass das Ganze eine Verschwörung der Kommunisten war, um die Macht an sich zu reißen. Tatsächlich roch für Mayor D’Aubuisson damals alles, einschließlich gewisser politischer Maßnahmen der Vereinigten Staaten, nach Kommunismus. In D’Aubuissons fiebrigem Hirn verband sich vor allem eine Person mit dem ungebremsten Vormarsch der »kommunistischen Banden«: Erzbischof Romero.
Mit der Kugel, die am Nachmittag des 24. März 1980 während der Totenmesse für Doña Sara Meardi aus dem Gewehr eines Mörders kam, starb die Hoffnung auf eine politische Lösung des offenen sozialen Konflikts. Romero wurde ermordet, als er die Hostie über seinen Kopf erhob und sagte: »Möge dieser geschändete Leib und dieses für die Menschen vergossene Blut uns nähren, damit wir unseren Leib und unser Blut dem Leiden und dem Schmerz opfern, wie Christus es getan: nicht um seiner selbst willen, sondern um unserem Volk Gerechtigkeit und Frieden zu bringen. So lasset uns denn im Glauben und in der Hoffnung vereinen und für Doña Sarita und für uns beten.« In diesem Moment fiel der Schuss.
Während der Totenmesse für Erzbischof Romero schossen die Streitkräfte des Staates, wie zur Besiegelung der Kriegserklärung, erbarmungslos auf die Tausenden von Trauergästen, die sich vor der Kathedrale der Hauptstadt versammelt hatten. Der Krieg hatte begonnen. Die Ruhe vor dem Sturm war beendet. Die Salvadorianer waren bereit, zu kämpfen. Und El Salvador stürzte sich in den Abgrund.
So wie die Ermordung des Erzherzogs von Österreich, Franz Ferdinand, durch die Hand eines Extremisten im Jahre 1914 den ersten großen Krieg in Europa ausgelöst hatte, löste die vom Gefolgsmann der Rechten, Roberto D’Aubuisson, angeordnete Ermordung Monseñor Romeros die Katastrophe in El Salvador aus. Die Guerillagruppen stellten ihre Differenzen zurück und schlossen sich zu einer gemeinsamen Volksbefreiungsfront zusammen, dem Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN). Der Staat seinerseits wurde von der neuen US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan mit Waffen versorgt und rüstete damit fünf Eliteeinheiten aus, die von US-amerikanischen Militärberatern zu Tötungsmaschinen ausgebildet wurden. Zu Männern, die, was Gewalt betrifft, Rambo in den Schatten stellten.
Der Geheimdienst und die politische Repression blieben in den Händen der Nationalgarde und der beiden Polizeiverbände, doch den eigentlichen militärischen Kampf führte, zum ersten Mal, die salvadorianische Armee.
Der Norden des kleinen Landes wurde fast vollständig zum Rückzugsgebiet der Guerilla. Das Landesinnere war ununterbrochen umkämpft. Nur der Westen, der schmerzgeplagte, blutige Westen der Plantagenbesitzer El Salvadors, hielt sich weitgehend aus dem Konflikt heraus. Das Trauma, das die Gesellschaft nach dem Massaker an den Ureinwohnern in den Dreißigerjahren davongetragen hatte, erfüllte die neuen Generationen noch immer mit Angst.
1980 stürzte sich El Salvador, jetzt ohne einen Monseñor Romero, der den Konflikt und das Morden hätte stoppen können, in einen totalen Krieg, in eine Orgie von so maßloser Gewalt, dass es zwölf Jahre brauchte, um den Brand zu löschen. Zwei Monate vor seiner Ermordung hatte Monseñor Romero die Oligarchie El Salvadors davor gewarnt, was kommen würde. Wie ein Prophet hatte er bei einer Messe in San Salvador gesagt: »Wer sich weigert, die Ringe von seinen Fingern abzustreifen, läuft Gefahr, dass ihm die Hand abgehackt wird. Und wer sich weigert, aus Liebe und sozialer Gerechtigkeit anderen etwas abzugeben, läuft Gefahr, dass man es ihm mit Gewalt entreißt.« Von 1980 bis 1992 wurden in El Salvador viele Hände abgehackt, fielen zahlreiche Ringe ab, wurde viel Blut vergossen. Der Tod von Monseñor Romero, dem prophetischen Bischof, war vielleicht am schwersten zu vergessen.
Anfang der Achtzigerjahre hatte die Mara Salvatrucha 13 Paten. Zwei gewissenlose Paten. Mit zeitlichem Abstand betrachtet, erscheint alles höchst merkwürdig, um nicht zu sagen, unglaublich. Die beiden Paten wussten nicht, dass sie welche waren, und wären erstaunt, wenn sie heute sähen, welches Monster sie herangezüchtet haben. Der erste hieß Ronald Wilson Reagan, der zweite 18th Street Gang oder Barrio 18.
1981, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges in El Salvador, wurde Ronald Reagan zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. In seiner Jugend war er ein Frauenschwarm in Hollywood gewesen, der in den Dreißiger- und Vierzigerjahren durch Westernfilme der Warner Bros., in denen er Herzen brach und sich mit brutalen Cowboys anlegte, berühmt geworden war. Er wuchs in Los Angeles auf und war Gouverneur des reichen Staates Kalifornien gewesen. Von seiner Präsidentschaft erwartete man sich Stärke. Seinem Vorgänger, dem Demokraten Jimmy Carter, wurde vorgeworfen, eine allzu nachgiebige Außenpolitik gegenüber dem Vormarsch des Kommunismus in Lateinamerika vertreten zu haben. Reagan dagegen hatte vor, sich wie sein Filmheld George Custer in Santa Fe Trail (»Land der Gottlosen«) zu verhalten und den Abschaum zu beseitigen, der den Lebensstil des Durchschnittsamerikaners sowohl innerhalb als auch außerhalb der Landesgrenzen, vor allem in Zentralamerika, bedrohte. Er versorgte General Efraín Ríos Montt, den guatemaltekischen Diktator, der Dutzender von Massakern an den Ureinwohnern beschuldigt wurde, mit Waffen und Militärberatern. In El Salvador unterstützte er trotz des brutalen Mordes an Romero die Militärregierung, indem er Waffen lieferte und die Ausbildung der fünf Eliteeinheiten finanzierte, die die Guerilla bekämpfen sollten. Es war, als werfe man eine brennende Zigarette in trockenes Heu. Eine Apokalypse. Der Krieg wurde mit einer solchen Brutalität geführt, dass er Tausende Salvadorianer außer Landes trieb. Die meisten von ihnen flüchteten nach Kalifornien, nach Los Angeles, wo sie zu jenen stießen, die bereits in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre, als der Bürgerkrieg sich am Horizont abzuzeichnen begann, fortgegangen waren.
Frisches, aggressives Fleisch, um die Mara Salvatrucha zu mästen. Die Bestie.
Die Massen neuer Flüchtlinge und Deserteure sahen sich Reagans Innenpolitik gegenüber, der zweiten Säule seiner Präsidentschaft. In seinen Reden pflegte er Drogen als den Feind Nr. 1 zu bezeichnen. Und die sollten in Kalifornien, wo er fünf Jahre lang Gouverneur gewesen war, zu einem immer größeren Problem werden.
Ab 1982 wurden insbesondere die Banden und Gangs der Lateinamerikaner verfolgt, die sich dem Drogenhandel widmeten. Dazu kam, dass die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles kurz bevorstanden, eine gute Gelegenheit, im schwelenden Konflikt zwischen den beiden großen Weltmächten des Kalten Krieges zu glänzen. Die Straßen mussten vom Abschaum gesäubert werden, er sollte in den Gefängnissen verschwinden.
Hunderte Bandenführer wurden verhaftet, ganze Gangs zerschlagen. Das komplizierte Ökosystem der großen Banden geriet durch die neue Politik der Vereinigten Staaten durcheinander. Die Mara Salvatrucha Stoner stieß in diese Lücke. Und Reagan ebnete ihr den Weg. Einerseits sorgte er für einen konstanten Zustrom gut ausgebildeter und immer aggressiverer Mitglieder aus El Salvador, andererseits holte er die mächtigsten Rivalen von der Straße. Mit einem so großzügigen Paten war es nur eine Frage der Zeit, bis die Bestie dick und fett wurde.
Doch die Mareros waren noch sehr ungezähmt. Auch wenn sie den Soundtrack der Stadt verstanden hatten, verstanden sie noch nicht ihren Text und ihr Thema. Sie waren eine gesetzlose Bande. Sie nahmen sich, was sie wollten, durchquerten feindliches Gebiet und vertrauten den Macheten und Äxten, die sie in ihren weiten Hosen mit sich herumtrugen. Den Menschen misstrauten sie. Regelmäßig trafen junge Deserteure der Guerilla oder der Armee aus El Salvador ein und wurden freudig willkommen geheißen, wie Helden. Sie brachten den Jungs auf den Straßen von LA neue Methoden bei, den Feind zu bekämpfen und in einen Hinterhalt zu locken. Sie kannten sich mit Strategien aus und waren brutal wie nur wenige Männer auf