El Niño de Hollywood. Oscar Martínez
Nicht sehr große Steine. Steine von einer Größe, die ein unterernährter Junge von elf Jahren hochheben kann.
Um sich zu vergewissern, dass er den Vorarbeiter auch wirklich getötet hatte, versteckte sich der Junge wieder zwischen den Kaffeesträuchern und bewachte den leblosen Körper die ganze Nacht. Der 25. Dezember brach an. Im ersten Sonnenlicht näherte sich ein kleiner Lieferwagen auf seiner täglichen Route, und die Insassen sahen den blutüberströmten Körper in zerfetzter Kleidung auf dem staubigen Weg liegen. Sie stiegen aus und stellten fest, dass der Mann noch atmete. Sie legten ihn in eine der Hängematten, die sie immer bei sich hatten, um ein Schläfchen zu halten, wo immer sich zwei Bäume fanden, und brachten ihn ins Krankenhaus nach Ahuachapán. Der Junge hinter den Sträuchern war untröstlich. Seine Kräfte hatten nicht ausgereicht, um zu töten. Miguel Ángel Tobar war bei seinem ersten Versuch auf der Kaffeeplantage mit dem gescheitert, was ihm später so gut gelingen sollte.
Wir alle wurden 1932 halb tot geboren.
In jenem Jahr waren in El Salvador alle verrückt nach Kaffee. Die ersten Samen kamen nach 1850 aus Indien, nach dem Jahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs durch den Preisverfall des Indigos, des natürlichen Farbstoffs, der die Haupteinnahmequelle für El Salvador darstellte. Dieses Fiasko stand unmittelbar im Zusammenhang mit einem Experiment, das im privaten Labor eines jungen Chemiestudenten auf einem Hinterhof eines Londoner Hauses durchgeführt wurde. William Henry Perkin, ein achtzehnjähriger Schüler von Professor August Wilhelm von Hofmann, dem Direktor des Royal College of Chemistry, des ersten Chemie-Instituts von London, experimentierte mit verschiedenen chemischen Substanzen. Der Auftrag seines Lehrers bestand darin, einen synthetischen Ersatz für Chinin herzustellen, dem Medikament gegen die Malaria, unter der die Kolonialbeamten des britischen Reiches so sehr zu leiden hatten.
An einem Nachmittag im April also mischte der junge Perkin den Inhalt eines Fläschchens mit dem eines anderen, erhitzte die Verbindung, schüttelte, rührte. Das Ergebnis war definitiv kein Mittel gegen die Malaria, doch es geschah etwas anderes, etwas Wunderbares: Nach und nach verfärbte sich die Flüssigkeit blauviolett. Das erschien dem jungen Perkin merkwürdig, und er notierte die Formel der Verbindung in seinem Heft. Als sein Professor die Aufzeichnungen sah, war ihm sofort klar, dass Perkin eine große Entdeckung gemacht hatte: die des ersten synthetischen Farbstoffs.
Bis zu jenem Tag waren fast alle Farbstoffe natürlichen Ursprungs gewesen, von zerriebenen Insekten oder Harzen tropischer Bäume. Auch das aus der Frucht der jiquilite gewonnene Indigo wurde jahrhundertelang von Ureinwohnern und später in großen Mengen von den Europäern verwendet. Perkins zufällige Entdeckung sparte eine Menge Geld. Nun konnte man alles färben, was man wollte – zumindest blau und himmelblau –, ohne lästiges Verschiffen und ohne all die Probleme, die der Export in der damaligen Zeit mit sich brachte. Perkin wurde berühmt und reich, bekam vier Auszeichnungen für herausragende Leistungen in der Chemie und mindestens acht Ehrendoktortitel. Er gründete ein bedeutendes Farbstoff-Unternehmen und wurde 1906, ein Jahr bevor er an Lungen- und Blinddarmentzündung starb, zum Sir ernannt.
Während Perkins Geschäfte florierten, machte auf der anderen Seite der Welt das kleinste Land Amerikas seine härteste Krise durch. Nach und nach starben die üppigen jiquilite-Sträucher ab. Die Haziendas verödeten, und in dem neu gegründeten Staat El Salvador herrschten Hunger und Armut. Die Eliten und der Staat hatten alles auf den Export der Früchte jener Sträucher gesetzt, die jetzt verdorrten. Wenn man auf ein einziges Produkt setzt, ist es schwierig, auf ein anderes umzusteigen.
Gerardo Barrios, der erste Präsident El Salvadors und Kämpfer für die Unabhängigkeit Zentralamerikas, der am Ende erschossen wurde, hatte eine Idee. Er schlug vor, das bestehende Exportsystem für landwirtschaftliche Produkte zu nutzen, um etwas anderes zu exportieren: Kaffee. Von dem Moment an waren alle Salvadorianer plötzlich verrückt nach Kaffee.
Doch Kaffee ist launisch. Seine Sträucher sind von mittlerer Größe und tragen nur in einer gewissen Höhe Früchte. Sie brauchen Unmengen von Wasser und vertragen sich mit keiner anderen Nutzpflanze. Bei zu viel Schatten gehen sie ein. Bei zu viel Sonne gehen sie ein. Vor allem aber brauchen sie viel Aufmerksamkeit. Im Unterschied zu der robusten jiquilite benötigt man für die Pflege der Sträucher und für die Verarbeitung seiner Früchte eine große Anzahl von Arbeitern.
Die salvadorianischen Eliten besaßen das Kapital, die technischen Mittel und die modernsten Maschinen, um Kaffee zu produzieren. Nur zwei Dinge besaßen sie nicht: Land, um zu säen, und Arbeitskräfte, um zu ernten. In dieser Situation richteten sie ihre Aufmerksamkeit plötzlich auf diejenigen, die sie während der letzten zweihundert Jahre übersehen hatten: die Ureinwohner.
Als eine Art Schutzmaßnahme hatte die spanische Kolonialregierung den Ureinwohnern Gemeindeland auf den Berghöhen und an den Hängen zur Verfügung gestellt. Hoch gelegenes Land. Schlechtes Land. Jedenfalls in dem Moment schlecht zu gebrauchen, als man es ihnen überlassen hatte. Und beim Aufbau des salvadorianischen Staates blieben die Ureinwohner außen vor. Nun aber wurden ihr Land und ihre Arbeitskraft gebraucht.
Während der Präsidentschaft von Rafael Zaldívar im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde ein Dekret erlassen. Die Rechtskonstruktion des Gemeindelandes, also des Landes, auf dem die Indios wohnten und arbeiteten und sich vor der spanischen Regierung in Sicherheit wähnten, wurde mit einem Federstrich beseitigt. Das meiste Land fiel dem Staat zu, und der verkaufte es an Personen, die es dann bestellen durften.
Das Problem der Anbaugebiete war damit gelöst, es fehlten nur noch die Arbeitskräfte. Viele der nun landlosen Ureinwohner mussten sich auf den Kaffeeplantagen für einen Hungerlohn verdingen. Doch der Kaffee benötigte noch mehr Arbeitskräfte. Ein Gesetz wurde verabschiedet, das es grundsätzlich unter Strafe stellte, erwerbslos zu sein. Das »Gesetz gegen Faulenzerei« erlaubte es, jeden Einwohner, der älter war als zwölf Jahre, einzusperren und wie einen Sklaven zu unentgeltlicher Arbeit zu zwingen, wenn er nicht nachweisen konnte, dass er auf einer Plantage arbeitete. So gingen die Ländereien und auch die Ureinwohner in die Hände der Großgrundbesitzer über.
Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zeit also, in der die meisten Haziendas entstanden und der meiste Kaffee angebaut wurde, kamen mehr und mehr Menschen aus ganz El Salvador, die Arbeit auf den Plantagen suchten, in den Westen des Landes. Zerlumpte, hungrige Menschen, die nach den liberalen Dekreten von Präsident Zaldívar ihr Land verloren hatten. Aber diese Menschenmasse war nie das, was sie laut offizieller Darstellung war: fröhliche Arbeiter, glückliche Ureinwohner, die sangen und ihre typischen Landestrachten trugen, während sie die Kaffeesträucher abernteten. Nein, es war ein zerlumpter Haufen voller Hass. Hass gegen die Mestizen: Vorarbeiter, Verwalter, Plantagenbesitzer und Bauern, denen es etwas weniger schlecht ging als ihnen und denen die Indios die Schuld an dem Landraub gaben.
Die Jahrzehnte vergingen, bis 1932 Elend und Hass ihren Siedepunkt erreichten. Die Wut der indigenen Bevölkerung war nicht mehr zu kontrollieren, auch wenn einige kommunistische Führer die allgemeine Unzufriedenheit für ihre politischen Zwecke nutzen wollten. Der Hass der Ureinwohner, die vierzig Jahre lang gedemütigt und gezwungen worden waren, fremde Sträucher zu pflanzen, wo früher ihr Mais und ihre Kürbisse gewachsen waren, die versklavt, misshandelt und vergewaltigt worden waren, er ließ sich nicht länger unterdrücken.
Am 23. Januar 1932 schreckte der nordamerikanische Missionar Roy McNaught in einem Dorf im Westen El Salvadors um Mitternacht aus seinem Schlaf. In seinem Bericht schreibt er, Hunderte Ureinwohner hätten den Posten der Nationalgarde, das Telegrafenamt und das Rathaus gestürmt. Weitere hundert hätten mit Knüppeln und Steinen die riesigen Zedernholztüren des Hauses von Señor Redaelli, dem reichen Plantagenbesitzer des Dorfes, zertrümmert. Die Aufständischen hatten Feuerwaffen bei sich – Pistolen und alte Jagdgewehre – und erschossen aus nächster Nähe erst Redaelli selbst, dann seine Frau und seine Töchter. Danach stürmten sie den Schnapsladen, betranken sich und zogen mit ihrer Wut in die nächsten Dörfer.
Mindestens sechs Ortschaften im Westen El Salvadors wurden von den Aufständischen besetzt. Fast immer war die Vorgehensweise dieselbe: den Posten der Nationalgarde, das Telegrafenamt, den Schnapsladen stürmen und die Häuser der reichen