Papa werden. Anna Machin
und seinem Schutz zusammenhingen. Männer kooperierten aus anderen Gründen – sie halfen vielleicht mit dem Kind, weil das ihre Chancen erhöhte, der nächste Partner der Mutter zu werden, eine deutliche andere Währung. Der Wechselkurs zwischen beiden Währungen war unglaublich schwer zu kalkulieren, und deshalb entschied die Evolution, dass wir solche Formen des Austauschs nur dann machten, wenn es unbedingt nötig war. In der Folge wandten sich Mütter in erster Linie an andere Frauen, wenn sie Hilfe brauchten.
Und so zog unsere Vertreterin von Homo ergaster ihre Kinder mit der Hilfe ihrer weiblichen Verwandten groß, ihrer Schwestern, Cousinen und sogar ihrer älteren Töchter. Wie wir wissen, reichte über eine Million Jahre diese Hilfe aus, aber etwa vor 500.000 Jahren vergrößerte sich das Gehirn zum zweiten Mal erheblich, und damit wurden die Energiekosten für die Aufzucht eines Kindes erneut zu groß. Dieser Sprung bei der Größe des Gehirns bis auf fast die 1300 Kubikzentimeter, die es heute hat, bedeutete, dass die Zeitspanne der kindlichen Abhängigkeit noch länger wurde und der Bedarf an sehr energiereicher Nahrung – in dem Fall Fleisch – noch drängender. Bis dahin waren unsere Vorfahren eher zufällig an Fleisch gelangt; manchmal hatten sie die Risse von Raubtieren geplündert, und manchmal (das klingt sehr viel aufregender) schnappten sie einem lauernden tierischen Räuber seine Beute vor der Nase weg. Diese Ad-hoc-Methode reichte eindeutig nicht mehr aus, und besser planbare, erheblich weniger gefährliche Methoden, an diese lebenswichtige Ressource zu gelangen, mussten entwickelt werden, um das enorm große Gehirn zu ernähren. Es ist kein Zufall, dass parallel zum Homo heidelbergensis mit dem größeren Gehirn auch erste archäologische Belege für die Verwendung von Jagdspeeren auftauchen. Und nicht irgendwelche Wurfgeräte, sondern 1,50 Meter lange, perfekt gearbeitete hölzerne Wurfspeere wie jene über 300.000 Jahre alten Exemplare, die im niedersächsischen Schöningen gefunden wurden. Homo heidelbergensis war nicht nur ein guter Jäger, sondern auch ein hervorragender Handwerker.
Es reichte nicht mehr aus, dass die weiblichen Verwandten, die wahrscheinlich alle ihre eigenen kleinen Kinder betreuten, sich zusammentaten und allein ihre Kinder aufzogen. Verlässliche Quellen für Fleisch mussten erschlossen werden, um die sich schnell entwickelnden Kleinkinder zu ernähren und die Mütter mit der richtigen Nahrung zu versorgen, die für das Austragen und Stillen ihrer Kinder mit den großen Gehirnen immer mehr Energie brauchten. Jemand anderer musste einspringen, um das Überleben der Art zu sichern, jemand, der die Zeit, die Energie und das Geschick besaß, auf die Jagd nach Fleisch zu gehen und effiziente Werkzeuge für die Jagd und die Verarbeitung der Beute zu produzieren. Jemand, der nicht durch die kräftezehrende Aufgabe der Fortpflanzung behindert wurde, aber trotzdem durch die genetische Verwandtschaft mit eingebunden war. Jemand, der eine Feuerstelle bauen – die archäologischen Zeugnisse zeigen einen sprunghaften Anstieg von Feuerstellen um diese Zeit – und das Feuer kontrollieren konnte, was es ermöglichte, das erbeutete Fleisch zu garen und damit für den kindlichen Magen besser verdaulich zu machen. Jemand, der die Aufgabe übernehmen konnte, die Fertigkeiten der Werkzeugproduktion und die Regeln der Jagd an die heranwachsenden Kinder weiterzugeben. Und jemand, der, als die Jagd immer komplexer wurde, die lebenswichtigen Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten vermitteln konnte, die für den Erfolg bei der Jagd und für den Erfolg des Kindes in der größeren sozialen Welt so entscheidend waren. Aus der Einleitung zu diesem Kapitel wissen wir, dass dieser Jemand der Papa war.
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Anders als bei unseren Cousins, den Menschenaffen, ist bei uns der Größenunterschied zwischen den Geschlechtern relativ gering. Männer sind ungefähr 1,1-mal so groß wie Frauen, männliche Gorillas dagegen mit dem 1,75-Fachen fast doppelt so groß wie weibliche. Männliche Gorillas sind so viel größer, weil sie ihren Harem von Weibchen, die Junge haben, gegen andere Männchen verteidigen müssen. Wir Menschen haben hingegen die letzte halbe Million Jahre weitgehend in monogamen Paarbeziehungen gelebt, bei denen beide Geschlechter wählen, mit wem sie zusammen sein wollen; Männer müssen nicht mit physischer Kraft viele Frauen zusammenhalten, die wenig Mitsprache haben, wer ihr männlicher Partner sein wird. Der geringe Größenunterschied spielt bei der Entwicklung des menschlichen Vaterseins eine sehr wichtige Rolle. Die Evolutionsanthropologin Dr. Cathy Key vom University College London hat in einer sehr gründlichen Untersuchung diesen Größenunterschied zwischen den Geschlechtern herangezogen, um zu errechnen, wann die menschliche Vaterrolle entstand. Bei den meisten Arten sind die männlichen Tiere deutlich größer als die weiblichen und die Kosten der Reproduktion für ein männliches Tier deutlich höher als für ein weibliches, weil ein Männchen einen großen Körper ausbilden und erhalten muss, um erfolgreich Zugang zu Partnerinnen zu bekommen. Bei den Menschen hingegen sind die Reproduktionskosten für einen Mann sehr viel geringer als für eine Frau. Es ist nicht wesentlich aufwendiger, einen großen Körper auszubilden und zu erhalten, als es für die Frau ist, ein Baby auszutragen und zu stillen. Key kalkulierte, dass es sich unter diesen Umständen für einen Mann zunächst lohnte, Energie zu investieren und der Frau bei der Aufzucht ihrer Kinder zu helfen, selbst wenn es nicht seine waren, um damit die Chance zu erhöhen, dass sie ihn als Vater für ihr nächstes Kind auswählte. Doch da die Evolution die Verwandtenselektion bevorzugt – in erster Linie jenen helfen, mit denen wir genetisch verwandt sind –, entwickelte sich rasch ein zweites Stadium, in dem die Männer ihre Partnerin »bewachten« (»Mate-Guarding«). Das bedeutete, dass der Mann die ganze Zeit in der Nähe seiner Partnerin blieb, damit er zur Stelle war, wenn sie das nächste Mal fruchtbar wurde – was sich bei Menschenfrauen gar nicht leicht feststellen lässt –, und die Gelegenheit zur Paarung ergreifen konnte. Die Kehrseite für den Mann war, dass er sich nicht mehr nach anderen Partnerinnen umsehen und die promiskuitive, aber potenziell sehr produktive Paarungsstrategie aufgeben musste. Das reduzierte die Zahl seiner lebenslangen Nachkommen und machte es umso wichtiger, dass die Nachkommen, die er hatte, erwachsen wurden und seine Gene weitergeben konnten. In der Folge investierte er massiv in die Kinder seiner Partnerin, bei denen er sicher sein konnte, dass es seine Kinder waren, weil er praktisch nicht von ihrer Seite wich. Key hat errechnet, dass der Punkt in unserer Vorgeschichte, an dem das passierte – das heißt, an dem die Reproduktionskosten für die Frau sehr viel höher waren als die für den Mann –, mit dem Auftauchen des Homo heidelbergensis mit dem großen Gehirn, aber ähnlicher Körpergröße der Geschlechter vor einer halben Million Jahren zusammenfiel.
Und die Geschichte der Evolution über 500.000 Jahre hinweg ist hauptsächlich aus drei Gründen immer noch wichtig für die Väter von heute. Erstens tauchten mit den ersten Vätern zwei Schlüsselmerkmale auf, die bis heute die Rolle des Vaters definieren, unabhängig davon, wo er lebt. Nämlich zu schützen und zu unterrichten. Im Lauf dieses Buchs werde ich immer wieder darauf zurückkommen, wie stark bei allen Vätern der Drang ist, das Überleben ihrer Kinder zu sichern und ihr Lernen zu fördern, insbesondere im Umgang mit der komplexen sozialen Welt, in der unsere Spezies lebt. Zweitens erfahren wir, dass Vatersein bei Menschen nicht einfach nur ein Nebenprodukt des männlichen Wunsches ist, sich fortzupflanzen, sondern dass es durch die natürliche Selektion ausgewählt wurde. Die Evolution ist fixiert auf Effizienz und wird eine Art nur dann auf den Weg einer komplexen Veränderung bei Verhalten oder Anatomie schicken, wenn das wirklich der einzige Weg ist, ihr Überleben zu sichern. Man könnte sagen, dass das Vatersein bei Menschen der Inbegriff einer solchen Veränderung ist. Es war eine weltbewegende Verhaltensänderung mit weitreichenden Folgen für unsere Spezies, und es wäre nicht selektiert worden, wenn es uns nicht beträchtliche Vorteile gebracht hätte. Schließlich und vielleicht am wichtigsten erzählt uns die Geschichte der Evolution, dass Vatersein angeboren ist und nicht erlernt wird, wie man uns oft weismachen will. Natürlich muss ein Vater all die praktischen Dinge lernen, etwa wie man die Windeln wechselt, ein Baby badet und füttert, aber das gilt für die Mutter genauso. Wer jemals beobachtet hat, wie eine frischgebackene Mutter versucht, mit dem Stillen zurechtzukommen, begreift, dass wir alle Zeit brauchen, um zu lernen, ein Elternteil zu sein. Aber der Instinkt für das Elternsein ist vorhanden, das habe ich ganz am Anfang meiner universitären Laufbahn erfahren.
Ich habe zuerst Anthropologie bei einem wunderbaren Primatenforscher namens Simon Bearder studiert. Er hatte sich einen Namen mit der Erforschung der kleinen, nachtaktiven Galagos in Afrika gemacht. In der ersten Vorlesung erklärte er, wie nahe verwandt wir mit unseren Cousins bei den Affen und Menschenaffen sind, und tatsächlich sind wir einfach Primaten mit einem ungewöhnlich großen Gehirn und unersättlicher