Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten. Кристин Нефф
abnahmen (Toole und Craighead, 2016). Die Verwendung einer Smartphone-App namens BodiMojo, die Jugendlichen helfen soll, selbstmitfühlend mit ihrem Körper umzugehen, steigerte das auf die äußere Erscheinung bezogene Selbstwertgefühl (Rodgers et al., 2018).
Selbstmitgefühl entfaltet auch eine Schutzwirkung gegen pathologisches Essverhalten. Es wurde mit einer Reduzierung von Binge-Eating (Esssucht) in Verbindung gebracht (Webb und Forman, 2013) sowie mit einem Rückgang von gestörtem Essverhalten bei Frauen mit klinischen Essstörungen (Ferreira et al., 2013). Eine Reihe von Längsschnittstudien (Kelly und Carter, 2014; Kelly, Carter und Borairi, 2014; Kelly, Carter, Zuroff und Borairi, 2013) belegte, dass eine Zunahme an Selbstmitgefühl im frühen Stadium der Behandlung von Essstörungen ein Prädiktor für die anschließende Verringerung gestörten Essverhaltens war. Eine Studie, die mithilfe des täglichen Führens eines Tagebuchs den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und gestörtem Essverhalten untersuchte, ergab, dass weniger gestörtes Essverhalten an den Tagen beobachtet wurde, an denen die Teilnehmenden von größerem Selbstmitgefühl in Bezug auf ihr Erscheinungsbild berichteten (Breines, Toole et al., 2014). So scheint Selbstmitgefühl Menschen zu helfen, ein gesünderes Essverhalten zu entwickeln. Und diese Fähigkeit kann gelehrt werden.
In einer Studie wurden Patienten mit einer Binge-Essstörung nach dem Zufallsprinzip einem von drei Settings zugeordnet: einem Selbstmitgefühls-Training oder kognitiver Verhaltenstherapie oder einer Warteliste-Kontrollgruppe (Kelly und Carter, 2015). Die Selbstmitgefühls-Intervention war am effektivsten im Hinblick auf die Verringerung des gestörten Essverhaltens, der pathologischen Beschäftigung mit dem Gewicht oder der Nahrungsaufnahme. Eine weitere Studie macht deutlich, wie Selbstmitgefühl ein gesünderes Essverhalten fördert. Menschen, die Diäten anwenden, zeigen oft eine widersprüchliche Tendenz: Wenn sie ihre Diätregeln brechen und kalorienreiche Nahrungsmittel essen, neigen sie dazu, danach noch mehr zu essen, um die schlechten Gefühle über ihren Fehltritt loszuwerden (Heatherton und Polivy, 1990). Adams und Leary (2007) führten eine Studie durch, bei der Studentinnen (unter dem Vorwand der Erforschung von Essgewohnheiten) einen Donut essen mussten. Nach dem Essen des Donuts bekam die Hälfte der Teilnehmerinnen zusätzlich folgenden Hinweis: »Einige von euch haben mir gesagt, dass sie sich schlecht dabei fühlen, während dieser Studie Donuts zu essen. Also hoffe ich, dass Sie nicht zu hart zu sich sein werden. Jeder von uns isst manchmal etwas Ungesundes, und alle essen hier bei dieser Studie dieses Zeug. Und deshalb gibt es meiner Meinung nach überhaupt keinen Grund, sich deswegen schlecht zu fühlen.« Den Teilnehmenden der Kontrollgruppe wurde nichts gesagt. Die Forscher stellten fest, dass diejenigen Frauen im Kontrollsetting, die normalerweise eine Diät einhielten, von Schuld- und Schamgefühlen berichteten. Darüber hinaus aßen diese Frauen, wenn sie später die Möglichkeit bekamen, als »Testesserinnen« so viele Süßigkeiten zu essen, wie sie wollten, mehr als die Teilnehmenden der anderen Gruppen (sogar mehr als diejenigen, die nicht auf Diät waren). Diätikerinnen, die ermutigt wurden, in Bezug auf den Verzehr des Donuts selbstmitfühlend zu sein, gingen andererseits freundlicher mit sich um und hatten weniger negative Gefühle, nachdem sie den Donut gegessen hatten. Sie aßen auch weniger Süßigkeiten während der »Verkostung« als andere. Selbstmitfühlend zu sein hilft Menschen anscheinend, am Ziel einer gesunden Ernährung festzuhalten.
Gruppenspezifische Unterschiede beim Selbstmitgefühl
Es scheint, dass das Ausmaß an Selbstmitgefühl alters-, geschlechts- oder kulturabhängig variieren kann. So ergab eine Metaanalyse (Yarnell et al., 2015), dass Selbstmitgefühl mit fortschreitendem Alter zunahm und dass Frauen weniger selbstmitfühlend waren als Männer. Die Effektstärken waren jedoch recht gering. Obwohl die Gründe für diese Unterschiede unklar sind, könnte es sein, dass Menschen in jüngeren Jahren (die meisten jüngeren Studienpopulationen, die in diese Analyse einbezogen wurden, waren Collegestudenten) weniger Selbstakzeptanz haben, während sie versuchen, ihren Platz in der Welt zu finden. Der geschlechtsspezifische Unterschied könnte auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass Frauen einen stärkeren Hang zur Selbstkritik haben und bei der Problembewältigung eher zum Grübeln neigen als Männer (Leadbeater, Kuperminc, Blatt und Hertzog, 1999; Nolen-Hoeksema, Larson und Grayson, 1999). Die Metaanalyse offenbarte jedoch auch eine signifikante Wechselwirkung zwischen Alter, Geschlecht und Selbstmitgefühl, sodass geschlechtsspezifische Unterschiede in jüngeren Jahren, aber nicht in höherem Alter erkennbar waren. Es kann also sein, dass Frauen mit zunehmendem Alter und wachsender Reife die Fähigkeit zur Selbstfreundlichkeit entwickeln, die ihrer Neigung zur Selbstkritik entgegenwirkt.
Interessanterweise wurde auch eine Wechselwirkung zwischen Alter, Geschlecht und dem Maß an Selbstmitgefühl bei Heranwachsenden gefunden (Bluth und Blanton, 2015). Ältere weibliche Heranwachsende in der Highschool hatten tendenziell weniger Selbstmitgefühl als jüngere weibliche Heranwachsende in der Mittelschule, und nur die Älteren offenbarten weniger Selbstmitgefühl als die männlichen Heranwachsenden (Bluth, Campo, Futch und Gaylord, 2016). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die späte Adoleszenz für Frauen im Hinblick auf Selbstmitgefühl besonders herausfordernd ist – eine Situation, die vielleicht mit den Unsicherheiten und Befürchtungen in Bezug auf Beliebtheit und Körperbild zusammenhängt, die in dem Film »Mean Girls« thematisiert werden (Michaels und Waters, 2004). Glücklicherweise verschwinden diese Unterschiede normalerweise im Laufe der Zeit.
Außerdem ist es wichtig, die Komplexität der Geschlechtseigenschaften zu berücksichtigen, wenn man geschlechtsspezifische Unterschiede beim Selbstmitgefühl betrachtet. So leiden Frauen, die eher androgyne Geschlechterrollennormen befürworten, anscheinend nicht unter geringeren Selbstmitgefühls-Levels als Männer. Es sind vor allem feminine Frauen, die den Unterschied ausmachen (Yarnell, Neff, Davidson und Mullarkey, 2018). Es ist wahrscheinlich, dass weibliche Normen der Aufopferung für andere Menschen Frauen dazu bringen, weniger auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten. Ebenso haben Männer, die sich stärker an den männlichen Rollennormen orientieren, ein geringeres Maß an Selbstmitgefühl, was darauf hindeutet, dass das Festhalten an traditionellen Erwartungen an männliches Verhalten wie emotionale Kontrolle und Dominanz die Fähigkeit von Männern, selbstmitfühlend zu sein, untergraben kann (Reilly, Rochlen und Awad, 2014). Heath, Brenner, Vogel, Lannin und Strass (2017) fanden heraus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Festhalten an männlichen Rollennormen und inneren Widerständen, sich Hilfe durch psychologische Beratung zu suchen. Im Vergleich dazu besteht bei Männern mit mehr Selbstmitgefühl eine geringere Wahrscheinlichkeit, sich selbst dafür zu verurteilen, dass man Hilfe sucht, und sie haben weniger Angst, sich dem psychologischen Berater zu offenbaren. Die Interaktion zwischen Selbstmitgefühl und Geschlechterrollennormen ist komplex und wahrscheinlich bidirektional.
Es gab nur sehr wenige Forschungsarbeiten, in denen unterschiedliche Selbstmitgefühls-Levels auf der Basis anderer demografischer Merkmale untersucht wurden. Eine Studie mit Collegestudenten, die die psychologische Beratungsstelle ihres Colleges konsultierten (die Teilnehmenden kamen von zehn verschiedenen Universitäten aus sechs verschiedenen Staaten der USA), belegte, dass es keine Unterschiede im Maß des Selbstmitgefühls aufgrund von Herkunft/Ethnie, sexueller Orientierung oder dem Collegejahr gab (Lockard, Hayes, Neff und Locke, 2014). Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Queers (LSBTQ), die ihr Coming-Out hinter sich haben, haben jedoch ein höheres Maß an Selbstmitgefühl (Crews und Crawford, 2015), und Selbstmitgefühl ist in dieser Gruppe mit größerem Glücksempfinden verbunden (Greene und Britton, 2015).
Es scheint auch kulturell bedingte Unterschiede im Hinblick auf Selbstmitgefühl zu geben, aber das ist nicht einfach ein »Ost-West-Gefälle«. Eine Studie untersuchte Selbstmitgefühls-Levels in Thailand, Taiwan und den Vereinigten Staaten und stellte fest, dass das Maß an Selbstmitgefühl in Thailand am höchsten und in Taiwan am niedrigsten war, während die Vereinigten Staaten dazwischen lagen (Neff et al., 2008). Das liegt möglicherweise daran, dass die Thais stark vom Buddhismus beeinflusst sind und die Bedeutung von Mitgefühl bei der Kindererziehung und im täglichen Leben im Vordergrund steht. Dagegen sind die Menschen in Taiwan mehr vom Konfuzianismus beeinflusst, bei dem eher Beschämung und Selbstkritik als Mittel der elterlichen und sozialen Kontrolle im Vordergrund stehen. Vielleicht hatten die Amerikaner bei dieser Studie nur ein moderates Maß an Selbstmitgefühl aufgrund der widersprüchlichen Botschaften, die die amerikanische Kultur in Bezug auf positive Selbstwahrnehmung