Zufrieden alt werden. Volker Fintelmann

Zufrieden alt werden - Volker Fintelmann


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zur Freiheit veranlagt, doch es ist ein (unvorstellbar) langer Weg bis zu ihrer Realisation. Wir werden sehen, wie sehr der Erwerb der Freiheit mit dem Alter zusammenhängt. Nun ist aber gerade der Aspekt der Freiheit das Tor, durch das Kräfte an den Menschen herandrängen, die eine solche Entwicklung verhindern oder in die Irre führen wollen.

       Die Dreiheit

       Leib, Seele und Geist

      Ohne ein gründliches Verständnis der Dreiheit von Leib, Seele und Geist ist der Mensch und damit auch der Lebensabschnitt des Alters nicht zu erfassen. Die Drei ist Ausdruck einer zentralen Kraft aller Schöpfung. Im Christentum begegnen wir ihr in der Trinität Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Im Menschen erscheinen diese Schöpferkräfte in der Trichotomie von Leib (Vater), Seele (Sohn) und Geist. Sie realisieren sich auch in der Zeit als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auch das findet sich im Menschen als die Abschnitte von Kindheit und Jugend, vom Erwachsensein und dann vom Alter wieder. Wir können einen ersten Aspekt davon erhaschen, dass Alter sich mit Zukunft verbindet, so wie die Kindheit mit Vergangenheit. Das wird natürlich noch ausführlicher begründet werden.

       funktionale Dreigliederung

      Eine weitere schöpferische Dreiheit entdeckte Rudolf Steiner nach langer Forschungszeit im menschlichen Leib in den lebendigen Funktionen des Organismus. Er nannte sie funktionale Dreigliederung und beschrieb sie in drei Systemen. Eine Polarität bilden alle Sinnes-Nerven-Prozesse und alle Stoffwechsel-Bewegungs-Vorgänge (Sinnes-Nerven-System und Stoffwechsel- Bewegungs-System). Diese Polarität wird ständig ausgeglichen bzw. im Gleichgewicht gehalten durch rhythmische Prozesse (Rhythmisches oder auch Atmungs-Zirkulations-System). Diese drei Systeme bilden zusätzlich zu ihren funktionellen Tätigkeiten die leibliche Grundlage für alle seelischen Vorgänge, die den Leib zu ihrer Offenbarung brauchen. Wir kennen sie als in sich differenzierte Ganzheiten von Denken, Fühlen und Wollen.6

       Denken, Fühlen und Wollen Ahriman und Luzifer

      Ganz behutsam sei auf eine weitere Dreiheit verwiesen, die später noch deutlicher angesprochen werden wird. In ihr bildet der Mensch die ausgleichende Mitte zwischen zwei Geistwesen, die seit langen Zeiten Ahriman und Luzifer genannt werden. Ihnen gab Goethe in Mephistopheles eine gemeinsame Gestalt, die real geschaut eben zwei sind. Das wird auch in dem Namen Mephistopheles deutlich, abgeleitet von mephiz (Hinderer, Verderber) und tophel (Lügner). Goethe hat ihre unterschiedliche Art Mephistopheles auch aussprechen lassen, denn er bezeichnet sich sowohl als Kraft, die das Böse will und doch Gutes schafft, und zugleich als einen Geist, der stets verneint.7 Traditionell werden Ahriman und Luzifer als Ausdruck des Bösen bezeichnet, als Satan und Diabolos. Und im Sündenfall und seinen Folgen sind diese Kräfte der Versuchung, den Menschen von seinem vorgesehenen Weg durch Hindernisse, Täuschungen oder Irrwege abzubringen, imaginativ-bildhaft dargestellt. Es sind jedoch auch Kräfte der Schöpfung und als Widerstände (Widersacher) oder Versucher ganz notwendige Elemente zum Erwerb der Freiheit. In seiner Menschwerdung wird der Gottessohn Christus auch als Erstes den Versuchern gegenübergestellt (Matthäus 4,1–11).

      Die göttliche Schöpferwelt wird weiter gegliedert in drei Hierarchien, die wiederum jeweils drei Gliederungen umfassen, also 3 x 3 = 9 hierarchische Ordnungen bilden (Dionysius der Areopagit).8

       Entwicklung und Rhythmen

      Entwicklung hat immer Anfang und Ende, in der Apokalypse des Johannes als Alpha und Omega bezeichnet, erster und letzter Buchstabe des griechischen Alphabets. Entwicklung hat immer ein Ziel, durch Christus »bis zur Vollendung der Erdenzeit« (Matthäus 28,20) genannt, in der Apokalypse Neues Jerusalem.

       auf dem Weg zu einem Ziel sein

      Entwicklung heißt auch, auf dem Weg zu sein, auf dem Weg zu einem Ziel bzw. zu seinem Ziel, denn davon gibt es viele. Und »Ziel« bedeutet nicht »Ende«, denn jedem Ende steckt der Zauber eines neuen Anfangs inne, wie es Hermann Hesse formulierte.9

      Am Menschen ist Entwicklung so einfach mit den Augen abzulesen: Zwei Zellen vereinigen sich durch Mutter und Vater und bilden den Keim, aus dem dann – wenn wir ehrlich sind – die unfassbare Gestalt eines Menschen wird, erst als Kind, als Jugendlicher, junger Erwachsener bis hin zum Greis. Wir können das Gleiche aber auch an einer Eichel erleben: Kann man fassen, wie daraus einst ein großer, knorriger Eichbaum wird? Und diese Bilder ließen sich fast ohne Ende vermehren.

      Diesen Kräften der Entwicklung begegnet ein gesund empfindender Mensch mit einer Seelenkraft, die ganz aus der Kindlichkeit seines seelischen Wesens stammt: dem Staunen. Denn alle Entwicklung ist staunenswert. Ihre Grundelemente sind Entstehen (Werden) und Vergehen, aber auch Metamorphose und Steigerung, wie Goethe sie für die Pflanze beschrieb. Beim Menschen gliedert sie sich in leibliche, seelische und geistige Entwicklungen, und wir werden sehen, wie diese sich in unterschiedlichen Zeitabläufen und unterschiedlicher Intensität vollziehen.

       Rhythmus als Grundelement aller Entwicklung

      Und damit sind wir auch schon beim Rhythmus als weiterem Grundelement aller Entwicklungen. Rhythmus kann beschleunigen, verlangsamen, im Kreis (Kreislauf) oder spiralig führen, kann anschwellen und abklingen, wie wir es am unmittelbarsten aus der Musik kennen. Diese kann ein großartiger Lehrmeister zum Verständnis von Rhythmus sein. Wie unterschiedlich erleben wir den Dreivierteltakt des Walzers oder den Viervierteltakt des Militärmarsches. Wobei »Takt« hier eigentlich ein falscher Begriff ist, denn Takt ist nicht Rhythmus. Takt ist mechanisch, zum Beispiel beim Viertaktmotor eines Autos. Rhythmus ist immer lebendig, zum Beispiel als Atmung. Rhythmus ist immer voller Variationen, und so nennt die moderne Physiologie die gesunde menschliche Atmung auch »respiratorische Arrhythmie«, weil sie eben nie maschineller Takt ist wie beispielsweise bei einer maschinellen »künstlichen« Beatmung auf einer Intensivstation.

       den Lebenslauf prägende Rhythmen

      Ein großer Rhythmus in der Natur ist der der Jahreszeiten, ein kleiner ist der von Tag und Nacht. Beim Menschen ist die Fülle der Rhythmen fast unüberschaubar, wie die moderne Rhythmusforschung in der Medizin, die Chronomedizin, herausgearbeitet hat. Doch gibt es auch große Rhythmen wie Wachsein und Schlafen, ganz groß Geburt und Tod. Und solche Rhythmen prägen den Lebenslauf, wie die Siebenjahresrhythmen, die Jahrzehnte oder die sogenannten Mondknoten von 18 Jahren, 7 Monaten und 9 Tagen. Diese werden uns durch das nächste Kapitel über den Lebenslauf begleiten, denn sie prägen unser Menschsein in seinen so unterschiedlichen Erscheinungsformen von der Geburt bis zum Tod.

      Auch der Kosmos ist rhythmisch geordnet, man denke an die Bahnen der Wandelsterne oder Planeten, die Bewegungen von Erde und Mond im Verhältnis zur Sonne, das Wirken bestimmter geistig-hierarchischer Wesen wie beispielsweise die sieben Erzengel, die sich in der Weltenlenkung rhythmisch abwechseln.10 Jedes Organ, das ja mikrokosmischer Abdruck einer makrokosmischen Kraft ist, hat seinen Rhythmus, die Leber anders als das Gehirn, der Nerv anders als das Blut.

       Freiheit

       eigentliches Ziel des Menschwerdens

      Freiheit ist nicht zu definieren, wahrscheinlich weil wir sie noch gar nicht in ihrer vollen Wirklichkeit kennen oder entwicklungsgeschichtlich kennen können. Freiheit kann deshalb nur als Ziel erlebt werden, und die Anthroposophie Rudolf Steiners beschreibt sie als das eigentliche Ziel des Menschwerdens. Sie spricht geradezu von einer zehnten Hierarchie der Freiheit, die die Menschheit einmal bilden soll, als Ergänzung der neun himmlischen


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