Reiten als Spiegel des Herzens. Ina Ruschinski
die wir sehen, ob im Fernsehen oder wo auch immer, kommt der Tierquälerei gefährlich nahe. Nein, ich muss mich verbessern: empfinde ich persönlich als Quälerei.
Aber zum Glück gibt es sie noch, die Pferd-Mensch-Paare, bei deren Anblick uns das Herz aufgeht!
Kinder zum Beispiel, die noch nicht durch falschen Ehrgeiz (meistens ausgelöst von den Eltern) verkrampft wurden und in reine Freude und Begeisterung auf dem Pferderücken ausbrechen. Erwachsene, Späteinsteiger, die das Glück, vom Pferd getragen zu werden, noch rein und vor allem auch dankbar empfinden – bevor sie dann, in der Mühle des Reitunterrichts, von diesen Gefühlen mehr und mehr entfremdet werden. Berührend ist auch zu sehen, wenn Menschen durch Reittherapie einen tiefen Zugang zu Freude, Vertrauen, Nähe und zu ihrem wahren Sein erleben dürfen, immer vorausgesetzt, das Pferd geht genauso gestärkt aus dieser Einheit heraus.
Und nicht zuletzt auch die Reitkünstler, die es verstehen, das Pferd unter ihnen in Ausdruck und Schönheit „wachsen“ zu lassen, weil die Kunst nicht in dem Abrufen von Lektionen steckt, sondern in der Kommunikation zweier so unterschiedlicher Wesen, die sich in einer fließenden gemeinsamen Bewegung freudig ausdrückt.
Menschen, die offenen Herzens ihre Pferde reiten, egal, auf welcher Stufe des Könnens sie sich auch immer befinden.
Man erkennt es an der Energie, die Pferd und Mensch miteinander verbindet und der man sich nicht entziehen kann – weil sie einen anrührt.
Die gemeinsame Schwingung zwischen Mensch und Pferd, die man spürt und sieht. Ich bin jedes Mal wieder fasziniert, wenn ich solche Paare erleben darf: Der Mensch sitzt mit reiner Liebe zu seinem Pferd im Sattel und jede seiner Handlungen und Gedanken sind geprägt von dieser hohen Energie. Das Pferd fühlt sich sichtlich wohl in der Verschmelzung mit seinem Menschen, „schwebt“ in dieser gemeinsamen Schwingung über den Boden dahin und sucht im Kopf seines Menschen nach der nächsten Aufgabe, die sie zusammen tun wollen, ja, es kommt seiner Idee förmlich zuvor.
Wenn man sein Herz dem Pferd bedingungslos öffnet, beim Reiten oder bei was auch immer, dann wird man niemals schlecht handeln.
Und das meine ich wortgetreu. Ein Mensch, der offenen Herzens ist, schützt sich selbst und seine Handlungen vor Negativität. Die so oft zitierte Führungskraft, die man in der Beziehung mit und auf dem Pferd sein soll, bleibt stets liebevoll und fair.
Das Gegenteil allerdings bedeutet, dass kein Pferd Ja zu einem Menschen sagt, der sich ihm gegenüber aggressiv, abwertend oder demütigend verhält.
Und mal ganz ehrlich, wenn man Reiten als eine Art Liebesbeziehung versteht, würden Sie zu solch einem Partner Ja sagen?
Pferde haben kein Interesse an einem Menschen, der mit solch einer Energie in ihrer Nähe agiert. Sie wollen sich diesem Menschen, wenn es irgend geht, nur ganz schnell wieder entziehen oder ihn gar von ihrem Rücken hinunter haben. Und falls dies den Pferden nicht möglich ist, ertragen sie ihn eben stillschweigend – weil es ihnen so „beigebracht“ wurde.
Ein anderes sensibles Thema in diesem Zusammenhang ist, wie Pferde einen Menschen auf ihrem Rücken empfinden, der restlos dem Gefühl seiner Angst erlegen ist. Kann sich ein Pferd da sicher fühlen und ihm „sein Leben“ vertrauensvoll hingeben? Sicher nicht. Kann es sich wohlfühlen unter ihm? Durchaus möglich. Das muss allerdings jeder Mensch, der zu großer Angst neigt, für sein eigenes Pferd selbst beantworten. Vielleicht werden manche Pferde der Angstenergie entgehen wollen, was wiederum die Angst seines Menschen fördert und gegenseitiges Vertrauen immer schwieriger macht.
Doch viele Pferde können auch lernen, der Angst des Menschen im Sattel keine übergroße Bedeutung beizumessen. Pferde, die ausgeglichen in sich ruhen und – das ist sehr wichtig – eine sichere und vertraute Umgebung mit anderen Pferden um sich haben, können die Angst des Menschen ausgleichen. Das sieht man zum Beispiel bei Therapiepferden. Doch gerade für diese Arbeit muss sich ein Pferd mit einem deutlichen Ja entscheiden dürfen.
Und es gibt die Pferd-Mensch-Beziehungen, in denen das Pferd trotz der häufig mitschwingenden Angst Ja zu diesem seinem Menschen sagt – eben weil es eine Verbindung zwischen ihnen beiden gibt, die größer ist als das Gefühl der Angst.
Angst ist ein großes, allgegenwärtiges Thema. Dem ist in diesem Buch ein ausführliches Kapitel gewidmet, in der Hoffnung, einigen Menschen, die das Thema „Angst am Pferd“ nur allzu gut kennen und erleben, Hilfen und Sichtweisen anzubieten.
Doch zurück zum Reiten, das heute so vielfältig geworden ist. Und glücklicherweise gibt es viele interessante, kompetente Menschen, die neue Ideen und Ansätze in die Reiterei bringen. Viele von ihnen veröffentlichen ganz wunderbare Lektüren über die Reitkunst. Ich habe dem gar nichts hinzuzufügen – was die gymnastische Ausbildung oder die muskuläre Formgebung des Pferdes angeht.
Wenn man ein Pferd hat und es reiten möchte, wird man automatisch zur Trainerin oder zum Trainer seines Pferdes. Nur so ein bisschen draufsitzen und am langen Zügel herumschlendern kann auf lange Sicht gesundheitliche Schäden des Pferdes mit sich bringen oder auch für einen selbst im Gelände zur Gefahr werden. Das Pferd kann durch Balanceprobleme auch in der langsamsten Gangart ins Stolpern kommen und sich überschlagen. Es gibt andere Länder und Reitkulturen, wo Pferde völlig außerhalb aller gesundheitlichen Aspekte geritten werden und trotzdem gesund steinalt werden können. Ich will das an dieser Stelle nicht befürworten. Ich selbst halte eine Ausbildung unter dem Aspekt des gesunden Reitens für wichtig.
Doch mal ganz ehrlich: Wie stellt man das wirklich an? Die Dressur soll das Pferd im Sinne einer langen Gesundheit als Reitpferd schulen, heißt es.
Leider kenne ich sehr viele Beispiele von Pferden, die gerade durch die gängige Dressurreiterei Schaden genommen haben. Es ist ein Dilemma, ein sehr gefährlich schmaler Grat, wenn man beginnt, sein Pferd zu trainieren. Das Pferd muss gewisse gymnastische Übungen erlernen und ausführen können, um Muskulatur locker aufzubauen und dadurch sein Gleichgewicht schadlos unter dem Menschen (wieder) zu finden.
Also begibt man sich allein oder mit dem Reitlehrer oder der Reitlehrerin, höchstwahrscheinlich sogar mit vielen verschiedenen, auf den Weg dorthin. Das Pferd macht schön mit, es fühlt sich gut an, man möchte weiterkommen. Man hat Freude am Üben jener Lektionen, die irgendwann von der bestehenden klassischen Reitlehre als wichtig erachtet wurden und sozusagen der Maßstab in der Stufe der Ausbildung sind. Bis irgendwann die Lektionen selbst nur noch wichtig sind. Das krönende Ziel der Versammlung immer im Hinterkopf, ist man fleißig am „Arbeiten“ (Dieses Wort als Definition für Reiten zu verwenden, finde ich bedenklich. Was verbindet man mit dem Wort Arbeit? Sicher nicht Spiel, Leichtigkeit, Absichtslosigkeit, sich Treiben lassen in der gemeinsamen Zeit mit dem Pferd …) und stellt dann plötzlich fest, dass man das Pferd irgendwann leider kaputt geritten hat …
Dabei wollte man alles richtig machen … Okay, einige Lektionen waren überflüssig für das Pferd, machten aber so viel Spaß. Hier ein paar Sliding Stops zu viel, dort ein paar Sprünge zu viel, zu viel Passage und Pirouetten, und der Tagesausritt war wohl doch ein wenig zu lang oder der Boden zu tief.
Aber die ganze Pferdewelt sagt, ein Pferd sollte dieses und jenes können, um als gut ausgebildet zu gelten.
Und