Pardona 3 - Herz der tausend Welten. Mháire Stritter

Pardona 3 - Herz der tausend Welten - Mháire Stritter


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der Verfolger, ihre dämonischen Augen, in die Tiefen des Limbus gerichtet.

      »Wir brauchen einen Hafen«, sagte sie bestimmt. »Ich darf keine der gegebenen Welten besuchen, darf nicht in ihre Hände geraten, aber …«

      Sie lauschte. Es gab ein leises Echo, eine Vibration entlang der Kraftlinien.

      »Die Diener des Wächters«, erklärte sie Hond, der aufmerksam lauschte. »Die Wanderer von Menacor, dem Sechsgeflügelten.«

      Jetzt richteten sich seine Ohren noch weiter auf und er stieß laute, klare Rufe aus. Rasch lief er zu der Schnitzerei einer Finkenmutter im Nest: Heimat, Zuhause.

      »Ja«, sagte sie. »Lass uns dein Zuhause finden.«

      Tharseïs erwachte knapp vor dem Signal und stand bereits neben ihrer Schlafnische, als der Gong durch die Gänge dröhnte. Zufrieden ließ sie sich auf die Knie nieder, presste die Hände gegen den kalten Stein des Bodens und betete. Erst beim nächsten Gongschlag erhob sie sich wieder und nahm sich ein paar Augenblicke Zeit, sich zu reinigen, bevor sie die Robe überwarf und die Zelle verließ.

      Der schwere Stoff raschelte bei jedem ihrer Schritte und lag wie ein paar kräftiger Hände auf ihren Schultern, die sie niederdrückten und sie den rauen Stein der Korridore intensiver unter ihren bloßen Sohlen spüren ließen. Sie hielt sich stolz aufrecht und achtete darauf, ob die anderen sie ansahen. Alle Priester, ihre Diener und Akoluthen und Sklaven gingen schweigend wie sie einher und nur die wenigsten beachteten sie. Diejenigen, die es taten, warfen meist einen raschen Blick auf den Saum ihrer Robe und dann einen leicht ungläubigen auf ihr jugendliches Gesicht.

      Sie hatte ein Lächeln dafür eingeübt, mit schmalen Lippen und leicht zusammengekniffenen Augen, eine Herausforderung an andere, darüber nachzudenken, wo sie schwächer waren, wo sie versagt haben mussten im Vergleich zu einer Dienerin des Schädelgottes, die so jung schon schattenlos einherschritt.

      Sie hatte keine Diener, keine Helfer und keine Anhänger, die im Kielwasser ihres Einflusses mitgesogen wurden. Sie ging allein, aber mit jeder passierten Lampe ohne das Huschen von Schwärze über Wände und Boden, mit jedem überraschten Blick eines anderen besann sie sich darauf, dass der Gott sie erhoben hatte, wenn die Sterblichen es schon nicht taten.

      Der Tag war erst graue Dämmerung, als sie zum westlichen Portal aus der Tempelpyramide trat. Große Feuerschalen erhellten die Stufen hinunter in die Stadt und machten es unmöglich, durch ihren flackernden Schein mehr als grobe Umrisse der niedrigeren Gebäude auszumachen. All die Tätigkeit der Sklaven und Diener war nur ein leises Wispern von fernen Worten und schnellen Schritten in der Ferne.

      Der Ephore erwartete sie bereits, angetan mit dem reichen Goldschmuck und der langen Robe seines Amtes. Er warf ihr nur einen kurzen Blick zu und sie verneigte sich. Seine Zehenspitzen, die unter dem schweren Damastsaum hervorschauten, waren bloßes Fleisch. Haut und Zehennägel schienen abgeschält, doch sie wusste, dass sie sie würde fühlen können. Nur ihre Sichtbarkeit war von ihnen genommen worden, sodass Ephore Sharmun Thanak unter seinen Kleidern aussah wie eine einbalsamierte Leiche ohne Haut, alle Muskeln und Sehnen dem Auge ausgesetzt.

      Sie hatte erst ihren Schatten gegeben, aber sie spürte mit größter Sicherheit, dass der Schädelgott eines Tages auch den Anblick ihrer Haut und ihres Fleisches als Gabe annehmen würde, bis sie scheinbar als Skelett zwischen den niederen Dienern einherging.

      »Stärke«, verkündete der Ephore. »Wir sind die Faust des Schädelgottes.«

      Murmelnd wiederholten seine Anhänger die Worte und auch Tharseïs stimmte ein.

      »Er nährt sich an uns und dem Leben«, fuhr Sharmun Thanak fort. »Unser Fleisch wird sein Fleisch, unser Darben ist ihm Nahrung. Jeder Tod ist ein Funke seiner Macht. Und wenn die Welt bar der Ackerkrume ist, wenn die Knochen sich niederlegen und kein Atem mehr geht, kein Herz mehr schlägt, wird er frei sein und heil und in goldenem Licht wird wiederkehren, was sein sollte und sein wird.«

      Die Worte waren in ihre Knochen gegossen, jeden Tag wieder und wieder gesprochen auf Knien, am Altar, bei endlosen eisigen Wanderungen um die Stufen der Pyramiden. Sie sprach sie so selbstverständlich mit, wie sie atmete, und unter ihrem Brustbein glommen Stolz und Hingabe.

      Ein Sklave warf Weihrauch und menschliches Haar in eine der Feuerschalen. Der bittersüße Rauch wurde von schwachen Winden verwirbelt und stieg grauschwarz in die Dämmerung auf.

      »Blut ist Leben, ist Wegbereiter«, skandierte der Ephore, die Arme nun gehoben, sodass die blassen Bänder der Sehnen an seinen Handgelenken sichtbar waren, die die feinen Knochen zusammenhielten. »Blut reinigt, Blut fließt von dieser Welt hinaus zu ihm und vermengt sich mit dem Blut von Generationen und Generationen in seinen Adern. Vergießt dieses Leben im Staub und beschreitet seinen Weg!«

      Er zog einen schmalen, langen Dolch aus dem Gürtel, dessen goldener Knauf die Form von zwei am Nacken verschmolzenen Schädeln aufwies. Langsam drehte er sich zu den versammelten jüngeren Priestern um, während hinter ihm zwei Soldaten einen Sklaven zu den Treppenstufen zerrten und dort auf dem Rücken zu Boden drückten.

      Keiner wagte, zu begierig zu sein, aber als der Blick des Ephoren über sie glitt und er für einen Moment den Griff des Dolches in ihre Richtung hielt, schlug Tharseïs’ Herz schneller. Dann drehte er sich jedoch weiter und reichte die zeremonielle Waffe an Kharum.

      »Ich danke euch«, murmelte dieser, verneigte sich tief und nahm den Dolch an sich. Sein Schatten flackerte wild im Licht der Feuerschalen und Tharseïs schmeckte vor Wut Galle auf der Zunge. Sie presste die Zähne zusammen und blieb still und reglos wie alle anderen.

      Der junge Akoluth ging langsam, die Hand mit dem Dolch dramatisch gehoben, zu dem Opfersklaven an der Treppe.

      »Dein Leben für den Schädelgott«, intonierte er etwas holprig und wechselte den Griff an der Waffe. »Es segne den Weg der Auserwählten.«

      Der Sklave bebte vor hastigen Atemzügen, immer wieder spannten sich seine Gliedmaßen im Griff der Soldaten, aber er konnte sich nicht losreißen. Er drehte den Kopf hin und her und seine Augen, tief in eingefallenen Augenhöhlen, waren weit aufgerissen. Er stammelte etwas in seiner Muttersprache, dann griff Kharum die Stirn des Opfers und drehte seinen Kopf etwas zur Seite. Mit einem schnellen, geübten Stich zwischen Kehlkopf und Muskelsträngen öffnete der angehende Priester Vene und Arterie auf der linken Seite und zog die Klinge wieder heraus.

      Blut schoss hervor, durch das panisch schlagende Herz stark wie ein Guss aus einem vollen Kelch. Der Strahl pulste und bespritzte Kharums Ärmel, als er sich nicht schnell genug wieder aufrichtete. Leise glucksend rann das Blut von Treppenstufe zu Treppenstufe, während der Sklave sich noch wand und plapperte und bettelte.

      Als seine Worte verstummten und seine Augen sich schlossen, erreichten die letzten Fäden von Blut die nächste Plattform auf einem Drittel der Höhe der Pyramide. Kharum kehrte zum Ephoren zurück und reichte ihm den Dolch, den Blick gesenkt. Der Priester sah ihn ebenfalls nicht an, sondern begutachtete die Menge an Blut und das Muster, das sich in Bahnen und Tropfspuren gebildet hatte.

      »Zwei noch, mindestens«, entschied er.

      Auch die nächsten Male ging der Dolch an Akoluthen, denen noch ihre Schatten anhafteten, dünne Gestalten mit plötzlich aufflackerndem Stolz, die die anderen mit überheblichen Blicken bedachten. Tharseïs schluckte weiter ihre Wut herunter.

      Als die Treppen mit einem Schleier aus Blutspuren benetzt und die untere Plattform einen halben Fingerbreit damit bedeckt war, beendete der Ephore die Opferungen.

      »Der Weg ist bereitet«, verkündete er und senkte im Gebet das Haupt. Die Opfer hingen an den Fußknöcheln aufgehangen neben dem Eingang in die Pyramide, wo letzte Blutstropfen aus ihren Halswunden über ihre Wangen rannen und sich mit den dicken Krusten auf dem dunklen Stein verbanden.

      Eine ganze Weile verbrachten sie alle reglos wie die Leichen, stumm und in Andacht. Tharseïs’ Gedanken glitten immer wieder ab, mühselig versuchte sie, sie zurück auf die Stille, die Reglosigkeit in Ergebenheit


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