Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann

Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann


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B B L B B L, auszuführen war er jedoch so: 3 + 1 + 2 + 3 + 1 + 2 + 2. Von den zwei aufeinanderfolgenden breves wird jeweils die letztere auf zwei Zeiteinheiten gelängt und die vorangehende longa erhält entsprechend den Wert, der diesen beiden zusammen entspricht, also drei tempora. Die letzte longa dagegen bleibt zweizeitig – und damit von gleicher Länge wie die unmittelbar vorangehende brevis.

      Uns kann es bloß als kurios erscheinen, dass man hier lediglich die zwei Werte longa und brevis notiert, wo man doch drei verschiedene Notendauern spielt, und umgekehrt, dass man sowohl longae also auch breves unterschiedlich lang spielen kann, ohne dass sich dies in der Notation niederschlagen würde. Für uns, für unsere Rhythmuswahrnehmung hat das keinen Sinn. Aber es hatte seinen Sinn nach der proportionalen Rhythmuswahrnehmung. Nach ihr müssen die Werte in diesen Fällen gegeneinander verändert werden, damit sich nicht je gleiche Zeitgrößen gegenüberstehen, die beiden Kürzen als je einfache tempora und als je zwei tempora die Länge neben den zwei Kürzen.39 Gerade das, was uns bloß kurios erscheinen kann, die Veränderung der Notenwerte gegenüber ihrer unveränderten Notation, ergibt sich also unmittelbar aus jener proportionaler Wahrnehmung. Es setzt diese Wahrnehmung voraus; und schließt strikt die taktrhythmische aus.

      Aus diesen modalen Voraussetzungen entwickelt sich dann die Rhythmik der Mensuralnotation. Sie ist es, welche die europäische Musik das spätere Mittelalter hindurch bis in die Renaissance hinein bestimmen wird, und ihr muss deshalb besonderes Augenmerk gelten. Denn sie bleibt in Geltung bis zu jenem Moment, da sie historisch dem neuen, dem Taktrhythmus unmittelbar zu weichen hat.

      Auch in der mensuralen Rhythmik gibt es eine Art Grundschlag, tactus genannt, und diesem wird der neuzeitliche Takt, der ihn verdrängt, zwar den Namen entlehnen, doch sonst verbindet die beiden nichts. So wenig, wie es Arsis und Thesis der Antike waren, ist der mensurale tactus bereits jener Taktschlag, der die Zeit vorweg rastert, sondern im tactus zeigt sich die Zeitwahrnehmung nach wie vor gebunden an eine Zeit-Substanz. Zeit und Zeitgrößen sind auch in der Epoche der musica mensurabilis noch immer nicht abtrennbar von ihrem Körper aus Klang, Vorgang, Bewegung.

      Die absolute, stetige, homogene und unendliche Zeit Isaac Newtons war dem Mittelalter unbekannt. Zeit war nur als Zahl oder Maß einer bestimmten Bewegung oder eines bestimmten Vorgangs begreiflich: »Tempus est numerus (mensura) motus.« [Zeit ist Zahl/Rhythmus (Maß) einer Bewegung] Ein musikalischer Zeitwert ist ein Notenwert, bezogen auf eine Zeitdauer. Sofern also eine Zeitdauer als Maß eines Vorgangs verstanden wird, entsteht ein musikalischer Zeitwert durch Beziehung eines Notenwertes auf einen Vorgang. Der Vorgang, als dessen Maß der Notenwert der Brevis recta zu einem Zeitwert wird, ist nach Franco die Vox prolata oder genauer: das Minimum in plenitudine vocis. […] Die vox prolata ist nicht Ausfüllung eines Stücks leerer Zeit, sondern Zeit entsteht erst als Maß der vox prolata.40

      Diese vox prolata, »der hervorgebrachte Stimmklang«, wird als reales Minimum verstanden, als von Natur aus nicht mehr weiter teilbar: »Est quod est indivisibile naturaliter.« Sie ist diejenige Dauer, welche die Stimme beim Erklingen mindestens braucht, um überhaupt volle Stimme, und also, um überhaupt Zeit zu sein. Eine solche Vorstellung ist uns fremd. Die Vorstellung eines – im übrigen recht ausgedehnten – Klangatoms, eines nicht mehr teilbaren Zeitkörpers, fehlt uns, ist uns unverständlich und hat für uns nicht das mindeste mit Rhythmus zu tun. Bis zum Aufkommen des Takthörens aber ist diese materiale Gebundenheit der Zeit das Natürliche, Grundlage von Rhythmus, und wäre umgekehrt das uns Selbstverständliche undenkbar gewesen, die beliebige Teilbarkeit der Zeit. Wir können jeden Klang, auch den der Stimme, noch auf das kürzeste tok, tik oder tak verkürzen, und trotzdem ist es uns Klang und kann es uns zu einem rhythmischen Element werden. Nicht so im Mittelalter und bis zum Anbruch der Neuzeit.

      Wir haben also eine ähnliche Rhythmenbestimmung wie in der griechischen Musik vor uns; die kleinste Maßeinheit der Mensuraltheorie entspricht dem chronos protos des Aristoxenos.41

      Auch wenn ein Notenwert etwa in Minuten oder Sekunden gemessen wurde, war mit der Messung nicht ein absolut gedachtes Zeitkontinuum vorausgesetzt:

       Die Minute oder Sekunde war dann als Bruchteil des Maßes der Sonnen- und Mondbewegung zu verstehen, nicht als ein durch Konvention festgesetztes Maß der absoluten Zeit. 42

      Aufschlussreich etwa die Einteilung, nach der im 14. Jahrhundert Johannes Verulus de Anagnia einmal die Dauer der brevis angibt, des grundlegenden Notenwertes seiner Zeit. Danach umfasst ein Tag vier Quadranten, ein Quadrant sechs Stunden, eine Stunde vier Punkte, ein Punkt zehn Momente, ein Moment zwölf Unzen und eine Unze schließlich 54 Atome. Die brevis einer bestimmten Notenteilung habe danach einer Unze entsprochen, einer Achtel Minute oder gut sieben Sekunden, während dem kleinsten, nicht weiter teilbaren Notenwert die Dauer von sechs Atomen zukam, einer knappen Sekunde.43 Man sieht, die materiale Bindung des Zeitverlaufs geht Hand in Hand mit einem Tempo, das unseren Ohren unvorstellbar langsam vorkommt.

      Aber nicht nur der kürzeste Wert blieb in dieser Weise körperlich, unteilbar aufgefasst, jeder der Notenwerte, ausgehend von der longa, hatte seine »naturaliter« ihm zukommende Länge. Auch das gibt es für uns und im Taktrhythmus nicht mehr. Wir halten es für natürlich, dass eine »ganze« Note in einem langsamen Stück beispielsweise drei Sekunden dauert, in einem schnellen dagegen nur eine Drittelsekunde. Oder anders, eine Achtelnote kann für uns bei einem langsamen Tempo länger dauern als eine ganze Note bei einem schnellen. Im Taktrhythmus haben die Notenwerte nicht für sich genommen ihre feste Dauer, sondern leiten sie ihre Dauer ganz vom Gesamttempo des Taktschlags ab. Solche Relativität war dem proportionalen Hören undenkbar: Im mensuralen Rhythmus hat die longa ihre bestimmte Länge und so auch, je nach Notenteilung, die brevis. Wenn im alten tactus ein – nach unserem Verständnis – höheres Tempo angeschlagen werden sollte, dann wurden nicht longa und brevis einfach kürzer genommen, sondern dann mussten kleinere Teile dieser Noten, dann musste etwa der nächstkürzere Notenwert gesetzt werden.

      Jeder Notenwert hatte die ihm namentlich zukommende, feste, gleichsam eben körperliche Dauer – nicht in dem Sinn, dass sie wie unsere Atomzeit an irgendeiner Stelle absolut gemessen und darauf hin normiert worden wäre, aber doch mit der Genauigkeit der bloßen Zeitempfindung. Die mag immer etwas schwankend sein, sie war jedoch, wie man aus Zeitangaben in mittelalterlichen Traktaten rekonstruieren konnte, jahrhundertelang verblüffend konstant. Und verlässlich genug: Als man zum Beispiel im 15. Jahrhundert auf die Idee kam, Puls und Notenwerte zu Messzwecken aufeinander zu beziehen, da diente nicht etwa die normale Pulsfrequenz dazu, die Dauer der Noten zu bemessen, sondern umgekehrt ein bestimmter Notenwert zum festen Maßstab für den jeweiligen Puls. Den Puls direkt nach fest empfundenen Notenwerten messen zu wollen, nach »der« Viertel oder »der« Halben, das wäre heute, unter der Herrschaft der taktrhythmischen Wahrnehmung, ein geradezu schildbürgerlich-lachhaftes Unterfangen.

      Gerade aus dieser materialen Gebundenheit der Zeitwerte und ihrem gleichsam körperlich festen Bestand resultierte jedoch die von der modalen Rhythmik bekannte, mit dem Taktwesen unverträgliche Beweglichkeit auch der mensuralen Notenwerte. Nach unserer taktrhythmischen Wahrnehmung haben die einzelnen Notenwerte zwar keine feststehende Dauer, stehen aber in einem konstanten Verhältnis zueinander: Die halbe Note ist stets die Hälfte der Ganzen, die Viertel stets Hälfte der Halben, die Achtel stets Hälfte der Viertel, und so immer weiter. Man wird sich fragen: Was denn auch sonst? So ist es einfach, so ist es natürlich, wie sollte es anders sein? Im mensuralen tactus jedoch ist es anders. Eine semibrevis ist dort, auch wenn es der Name falsch vermuten ließe, nicht ein für alle Mal die Hälfte einer brevis. Auch die brevis etwa wird ungleich in zwei semibreves unterteilt, von denen eine ein, die andere zwei Drittel der brevis erhält. Die brevis wird also nicht zwei-, sondern dreigeteilt – eine Teilung, die hier im übrigen den Namen tempus perfectum trägt, wogegen sie der Taktrhythmus nur als Sonderfall mittels Triolennotation erzwingen kann; und es entsteht damit kein Notenwert, der seine Dauer aufgrund gesetzmäßiger


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