Im Takt des Geldes. Eske Bockelmann

Im Takt des Geldes - Eske Bockelmann


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Vers den Missklang nunmehr erzeugt. Ausdrücklich liegt der »übele klang« ja nicht schon im Vers, liegt er dort nicht schon in der Sprache und ihren Silben. Nein, dass zum Sprachklang vielmehr eine Betonungsfolge hinzutritt, die von diesem Sprachklang abweicht, dass Vénus zu Venus und vermócht zu vermocht werden soll, das erst macht den üblen Klang.

      Es ist nicht zu übersehen: Der Missklang, den Opitz hier empfindet, das Sollen, das den Missklang bewirkt, und das gesetzmäßige betont/unbetont, womit es ihn bewirkt, entstehen zwingend unwillkürlich – als Werk des taktrhythmischen Reflexes. Er ist es, den Opitz als Nötigung lediglich konstatieren kann und begründen nur, indem er sich hinstellt und sagt: Da, man hört es doch! Opitz beruft sich auf ein Sollen, das den gesetzmäßigen Verlauf nach betont/unbetont erzwingt – aber ja bisher nicht erzwungen hat! Opitz beruft sich also auf einen Zwang, den er zwar erst jetzt empfindet, aber nunmehr so unwillkürlich und unhintergehbar, dass er sich schon nicht mehr vorzustellen vermag, ein anderer könne diesen selben Zwang nicht empfinden. Deshalb hält er es für ausreichend, den alten Alexandriner von Venus und Juno einfach hinzuschreiben, und schon müsse ihn jeder in eben dem üblen Klang hören, mit denselben sprachwidrig-zusätzlichen Betonungen, also nach demselben unwillkürlichen Sollen von betont/unbetont, welches Opitz nun selbst empfindet – als wäre es nie anders gewesen.

      Keine fünf Jahre vor Niederschrift der Poeterey hatte Opitz noch einem Freund, Julius Zinkgref, die Manuskripte seiner bisherigen Gedichte zur Veröffentlichung überlassen. Zinkgref säumte zunächst, ließ die Gedichte liegen und beförderte sie erst im Jahre 1624, ohne erneute Rücksprache mit Opitz zu halten, zum Druck – inzwischen aber sehr zum Ärger ihres Dichters. Denn eben jetzt genügten ihm die eigenen rein silbenzählenden Verse nicht mehr, jetzt erhielten sie in seinen Ohren mit einem Mal jenen »übelen klang«, den er an dem Venus/Juno-Vers verzeichnet. Opitz beeilt sich deshalb, erstens die Poeterey zu verfassen und sich darin empfindlich gegen die Edition seines Freundes zu verwahren, und zweitens seine Gedichte noch einmal selbst drucken zu lassen. Und dafür überarbeitet er sie, indem er sie systematisch auf das betont/unbetont stimmt: Er nimmt an den eigenen Versen eben die Revision vor, die sich inzwischen in seiner Rhythmuswahrnehmung vollzogen hat.

      Auch Opitz also kannte noch den älteren Rhythmus, er selbst hat nach ihm gehört, er selbst hatte seine früheren Verse nach ihm eingerichtet; doch nun, innerhalb so kurzer Zeit, sind sie ihm zu Artefakten eines vergangenen Rhythmus geworden, sie vertragen sich nicht mehr mit dem veränderten neuen, sie vertragen sich nicht mit der Wirksamkeit von Opitz’ veränderter Wahrnehmung; und so passt er ihr seine Verse nachträglich an. Jetzt achtet er darauf, dass sie sich durchgängig nach dem Wechsel von betont und unbetont lesen lassen, ohne dass es zu sprachwidrigen Betonungen durch eben diesen Wechsel kommt. Opitz schreibt seine Verse, die bisher nicht akzentmetrisch waren, zu Akzentversen um. Es lässt sich wohl verfolgen, dass diese älteren Verse schon vor ihrer Überarbeitung kontinuierlich, je näher sie dem Jahre 1624 lagen, umso seltener der Leseweise nach betont/unbetont Anstoß boten, aber doch bieten sie ihn bis ganz zuletzt.58 In einem letzten Umschlagen erst wird die Leistung der taktrhythmischen Synthesis so zwingend, dass sich Opitz der Nötigung, die ihm eine veränderte Behandlung der Verssprache abverlangt, unwiderruflich bewusst wird.

      Ein staunenswerter Einblick also, den Opitz’ Schrift eröffnet: darauf, wie sich der Taktreflex innerhalb der bereits vorgerückten Lebenszeit eines Menschen durchsetzt und, sobald er sich durchgesetzt hat, damit sofort auch zu unhintergehbarer Natur geworden ist.

      Nur ein kurzer Blick noch darauf, wie es damit weitergeht. Opitz’ Poeterey dringt mit ihrer Feststellung, das betont/unbetont sei »hoch von nöthen«, alsbald durch – anders als manche anderen Vorschläge zu veränderter Skansion, die im 16. Jahrhundert ergingen und sang- und klanglos untergegangen waren. Sehr rasch und ganz allgemein werden seitdem im Deutschen Akzentverse gedichtet, und das kann nur sein, wenn jenes »Sollen« tatsächlich so, wie es Opitz gedankenlos voraussetzte, allgemein schon stark genug empfunden wurde. Noch nicht völlig und ausnahmslos allgemein, denn einem bedeutenden und gefeierten Dichter wie Rudolf Georg Weckherlin will die neue Notwendigkeit Jahrzehnte lang nicht einleuchten – bis schließlich auch er sich daran macht, seine älteren Verse für eine Neuausgabe entsprechend umzuarbeiten. Der Reflex also wird allgemein, und unwiderstehlich werden die Zeugnisse des alten Rhythmus, die älteren Verse, jetzt entweder dem neuen angepasst und nach ihm umgedeutet oder aber sie verfallen dem Verdikt des üblen Klangs. Davon zeugt noch immer ein Schimpfwort wie das von den »Knittelversen«: So hat das 18. Jahrhundert nachträglich die Paarreimverse der Zeit »vor Opitz« verächtlich gemacht – einfach weil diese armen, früher einmal schönen Gebilde sich dem neuzeitlichen Alternieren nach betont und unbetont sperren und da es ihnen nachträglich nur noch mit dem Holzhammer beigebracht werden kann. Und da sie nun schon diesen Schaden leiden, brauchten sie für den Spott, sie würden diesen Knüttel schwingen, nicht zu sorgen.

      Opitz führt die Beachtung des Wechsels von betont und unbetont in die deutschen Verse ein, kennt zunächst also nur die elementare Form der Zweier-Gruppe, wenige Jahre später erkennt August Buchner, dass sich mit der neuen Festlegung aufs betont/unbetont auch der »daktylisch« genannte Fall verträgt, dass zu einer Betonten zwei Unbetonte treten,59 und mit dieser Dreier-Gruppe sind die Akzentverse im Deutschen schon fertig so eingeführt, wie es sie noch heute gibt. Ihr Aufkommen hat die Wissenschaft deshalb zu einer Schöpfung von Opitz und Buchner erklärt, zum Ergebnis ihrer Reform. Doch Opitz und Buchner haben sich das neue rhythmische Prinzip und den neuen Versbau, den es verlangt, weder ausgedacht noch auch nur ausdenken können. Geleistet wird beides durch den neu entstandenen Reflex und wäre ohne ihn unmöglich. Opitz und Buchner vermerken lediglich seine Wirkung, entdecken, wie sich ihr Gehör, wie sich ihnen dadurch Klang und Wahrnehmung verändert hat, und werden sich als erste darüber bewusst, wie dem in der Sprachbehandlung beim Dichten nachzukommen ist. Sie geben dem bewusst nach, was ihnen der taktrhythmische Reflex unbewusst vorgibt; aber sie schaffen ihn nicht.

      Fragt sich also, was ihn schafft.

      Er wirkt in uns, wir finden ihn vor, wir haben ihn hinzunehmen, wie man etwa die Elektrizität hinzunehmen hat. Aber anders als sie, die sich schon zu Urzeiten am Bernstein, dem griechischen elektron feststellen ließ, wirkt dieser Reflex eben nicht zu allen physikalischen Zeiten, sondern erst seit Beginn des 17. Jahrhunderts, und auch das nicht auf einen Schlag überall auf der Welt, sondern zunächst allein in den Gesellschaften des mittleren und westlichen Europa. Also muss er selbst durch etwas geschichtlich bewirkt werden – wodurch?

      Was er bewirkt, ist schon jetzt bedeutend genug. Er bestimmt unsere rhythmische Wahrnehmung, unser ganzes natürliches Empfinden für Rhythmus. Auf ihm gründet die gesamte Musik nach Takten, durch ihn allein wird sie zu einer solchen Musik, vom Barock eines Bach bis zum Bum Bum des Techno. Er gibt vor, wie sie rhythmisch zu verlaufen hat, welche Möglichkeiten des Verlaufs es gibt, und dass wir diese als rhythmisch hören. Und nicht nur, dass die Taktmusik jetzt auf ihm gründet, dass er jeweils jetzt die stete und notwendige Voraussetzung ist für das Hören nach Takten, er hat diese Musik weltweit auch durchgesetzt. Auf ihm erhebt sich die Welt der Akzentverse, von Shakespeare bis zu Morgenstern, von Goethe bis zum Rap, er leistet das Versmaß aus betont und unbetont, welches die freien Verse dann allenfalls aufgeben können, er macht – für uns – den Unterschied zwischen Prosa und Vers. Er wirkt in die Sprache, durchwirkt unsere Welt mit der unabsehbaren Vielzahl seiner rhythmischen Alltäglichkeiten, die Wassertropfen fallen durch ihn in Zweier-Gruppen, der Herzschlag will uns seinetwegen rhythmisch klingen und so noch jedes tok tok tok bis hinab zu dem unserer Füße.

      Doch er erzeugt nicht nur den unüberblickbaren Reichtum dieser Wahrnehmungen, er erzeugt zugleich das trügerische Bewusstsein, all das wäre bloß objektiv gegebene Natur, ein Bewusstsein, das sich selbst den reflektiertesten Beweisgängen der Wissenschaft fälschend einbeschreibt. So bestimmt der Taktreflex auch unser Denken auf eine recht grundsätzliche Weise und bannt es gerade hier, bei Dingen, die so tief in


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