Zwinglis gefährdetes Erbe. Hans Peter Treichler
alle die Reding, Zurlauben und Attinghausen verdankten ihre Vormachtstellung den Fremden Diensten.
Und der einfache Söldner? Auf den ersten Blick stellte er sich mit einem Monatssold von vier bis fünf Gulden (200 Schilling) nur wenig besser als ein städtischer Maurergeselle, der es auf sechs bis sieben Schilling Taglohn brachte. Hinzu kam aber eine Art Gefahrenzulage: Für jede Schlacht, in welche die Truppe verwickelt wurde, gab es einen Bonus in der Höhe eines Monatslohns. Fiel ihr beim Requirieren und Plündern Schmuck oder Bargeld in die Hände, wurde diese Beute zum Sold hinzugerechnet. Zur Zeit der Mailänderkriege kam auch ein einfacher Infanterist durchaus mit 300 Gulden im Beutel nach Hause: ein kleines Vermögen!
Umgekehrt lag die Sterblichkeit markant höher als beim Handwerksgesellen. Einer von fünf Angeworbenen überlebte die Dienstzeit nicht; dabei spielten Krankheiten eine grössere Rolle als militärische Einsätze. Für Verwundete war nicht einmal das Lazarett gratis: Sie bezahlten den Feldarzt aus der eigenen Tasche! Für Verpflegung und Ausrüstung hatte jeder selbst zu sorgen. Umso grösser war der Ansporn, sich in den Küchen und Kellern der Zivilbevölkerung einzudecken, den erschlagenen Gegner seiner Stiefel zu berauben und in den Zeughäusern eroberter Städte den Schweinespiess durch eine erstklassige Kampfaxt zu ersetzen …
Bezeichnenderweise fiel im 17. Jahrhundert der Monatssold unter das Niveau der zivilen Löhne. Geschulte Artilleristen oder Musketiere waren nach wie vor gesucht und entsprechend gut bezahlt, aber das einst so gefürchtete Fussvolk diente vorwiegend als Kanonenfutter. Statt kräftiger Bauernburschen meldeten sich zunehmend randständige Existenzen bei den Werbeoffizieren. Diese wiederum konzentrierten sich zunehmend auf die Grenzregionen, wo sich immer eine Auswahl «flottanter» Ausländer anbot – ein Spiel, das die Auftraggeber bald durchschauten. Die Schweizer Kompagnie, so legten sie um 1700 fest, dürfe höchstens einen Drittel Ausländer aufweisen; beim Rest müsse es sich um «echte Schweizer» handeln.
«Gesetzlose Wilde»
Eben diese kräftigen Bauernburschen bildeten das taktische Gerüst der klassischen eidgenössischen Angriffsformation. Als Spiessträger rückten sie Seite an Seite in einer undurchdringlichen Phalanx vor, in ihrem Rücken der «Gewalthaufen», einige hundert oder tausend Nahkampfspezialisten, die in jede entstehende Lücke vorstiessen. Beim Manövrieren mussten die vier bis fünf Meter langen Spiesse oft stundenlang waagrecht getragen werden, was enorme Durchhaltekraft erforderte. Bis die ersten Breschen geschlagen waren, regneten die Pfeile von Armbrust- und Bogenschützen auf die Angreifer nieder. Es galt so schnell wie möglich Nahkampftaschen zu schaffen, bis die gegnerischen Geschütze gerichtet waren. Trafen einmal die ersten Fusssoldaten mit ihren swînspiessen und Streithämmern, ihren Hellebarden und Zweihändern aufeinander, verlor die Truppe ihren Nutzen; ihre Geschosse hätten Freund wie Feind umgebracht. Besonders gefürchtet waren eidgenössische Krieger im Kampf eins zu eins, weil sie kaum je Gefangene machten (ganz anders die Truppen «höfischer» Streitkräfte, die hochgestellte Offiziere als eine Art Beute betrachteten; solche Prominente wurden eiligst hinter die Linien gebracht und später im Tausch oder gegen Lösegeld als Pfand eingesetzt).
Reisläufer aus dem Alpenland galten seit den Mailänderkriegen als Barbaren, «die sich an Christenblut weiden» (siehe « Barbaren), gegenüber dem Feind und der Zivilbevölkerung keinerlei Kompromisse machten, die Bauerngüter im Konfliktgebiet rücksichtslos plünderten und dann in Brand steckten. Dass sie zu den begehrtesten Fusssoldaten des Kontinents wurden, hat aber nicht nur damit zu tun. Als einziges europäisches Land kannte die Eidgenossenschaft die allgemeine Wehrpflicht; das Milizsystem sorgte für ein Reservoir an ausgebildeten Truppen, vor allem Infanteristen.
« Barbaren: In seinem Gebet zur Bekehrung der Schweizer schildert der deutsche Humanist und Historiker Jakob Wimpheling die eidgenössischen Reisläufer als gesetzlose Barbaren: Grösser scheint die Frömmigkeit bei den Türken und Böhmen zu sein als bei diesen starken, drohenden, grimmigen, stolzen, waffenliebenden,stets zum Krieg bereiten, von der Wiege auf zum Kampf erzogenen, an Christenblut sich weidenden und durch die Zwietracht der Könige reich gewordenen Wilden, die keine Fürsten, keine Gesetze ehren, die keine gesunde Vernunft walten lassen, sondern von Raserei in den Abgrund getrieben werden. Ihre Gesetze sind Willkür, Begierde, Zorn, Ungestüm, Heftigkeit, Raserei. (Kurz 116)»
Doch der Ausgang der Schlacht von Marignano hatte bereits gezeigt: Mit der immer wichtigeren Rolle der Geschütze und Handfeuerwaffen büsste die Taktik mit Spiessträger-Phalanx und «Gewalthaufen» an Wirksamkeit ein. Gleichwohl blieb den eidgenössischen Söldnern ein gewisses Prestige; als zuverlässige und treue Elitetruppen wurden sie immer häufiger als Leibwächtereinheiten für kirchliche oder gekrönte Häupter engagiert: die päpstliche Garde, die Cent Suisses am französischen Hof. Aber in Frankreich hiess es um 1700 bereits, die Schweizer Kompagnien würden überschätzt, qu’elles coûtaient cher, sans rendre les services d’autrefois.
In gewisser Weise galt das auch für die Stellung der Söldnerführer in der eidgenössischen Gesellschaft. Die Geschlechter dieser Berufsmilitärs hatten sich dank ihrer Verbindungen zu den Mächtigen der benachbarten Monarchien in die politische Führungsschicht ihrer Heimat hochgearbeitet, mussten sich nun aber mit dem «neuen Adel» der heimischen Unternehmer und Handelsherren arrangieren.
Die Folgen
Und Zürich? Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hebt auch die Limmatstadt das Solddienstverbot auf und schliesst sich dem Militärbündnis mit Frankreich an. Dieses hat jedoch keine Exklusivrechte; eidgenössische (und Zürcher) Söldner dienen in den folgenden anderthalb Jahrhunderten auch in niederländischen, spanischen oder venezianischen Heeren, kämpfen sogar in Nordamerika. In dieser Zeit ändern sich die Bedingungen für die Berufsmilizen von Grund auf. Wurden sie anfänglich eher für begrenzte Zeit angeworben, oft nur für einen einzelnen Feldzug, verlängert sich mit dem Aufkommen der stehenden Heere die Dienstzeit massiv. Permanente Söldnertruppen, im Gastland stationiert, unterliegen einer strengen Disziplin und verbringen Monate mit Exerzieren. In dieser Zeit entsteht auch der Topos des heimwehkranken Schweizer Söldners. Das Heimweh gilt als maladie suisse; die Zahl der Deserteure steigt steil an.
Zwilch und Samt
Wie kommen die Fremden Dienste im Urteil der heutigen Geschichtsschreibung weg? Hier fällt häufig der Ausdruck «temporäre Emigration», Auswanderung auf Zeit. Sie diente als eine Art Hochdruckventil vor allem für die Bergkantone, in denen die einheimische Produktion mit den wachsenden Bevölkerungszahlen nicht Schritt zu halten vermochte. Die Lösung, die Zürich vorlebte – Verzicht auf Solddienst, Einführung neuer Produktionszweige und -methoden, Einstieg in den europaweiten Handel –, kam hier nicht in Frage; dafür fehlten das Know-how von Fachleuten und der Unternehmergeist einzelner Pioniere. Für junge Männer sowohl des Mittellands wie der Berggebiete spielten Abenteuerlust und Erlebnishunger eine zentrale Rolle; hier weisen Mentalitätshistoriker darauf hin, dass ein natürliches Ventil für solche Bedürfnisse im Binnenland Schweiz fehlte: die Seefahrt. Auch wenn der Solddienst einigen wenigen Aufsteigern zu Wohlstand und Ansehen verhalf, führte er keineswegs zu einer Umverteilung der Güter. Im Ganzen gesehen verschärfte er sogar die sozialen Spannungen: Am stärksten profitierten, wie gesehen, die Angehörigen der führenden Familien.
Für die konservative Geschichtsschreibung des frühen 20. Jahrhunderts stellten die Fremden Dienste noch eine ruhmreiche Tradition dar. Im Monumentalwerk Honneur et fidélité feierte der Waadtländer Militärhistoriker Paul de Vallière den Mythos aufopfernder Treue, verkörpert beispielsweise im Widerstand der königlichen Garde in Paris beim Volkssturm auf die Tuilerien. Damals, am 10. August 1792, fanden um die tausend Schweizer Gardisten den Tod; sie verteidigten den leerstehenden Königspalast gegen eine aufgebrachte Volksmenge. Dreissig Jahre nach den Ereignissen weihte Luzern die Statue eines in eine Grotte geflüchteten sterbenden Löwen ein. Eine Inschrift feiert die Treue und Tapferkeit der Opfer; in den Sandstein gemeisselt finden sich weiter die Namen von 26 gefallenen Offizieren, während der gefallenen Soldaten mit einer Pauschalangabe gedacht wird.
Ein Monument im Stil des Löwendenkmals ist heute undenkbar geworden. Die moderne Forschung verortet das Schweizer Söldnertum im