Mythen, Macht + Menschen durchschaut!. Christoph Zollinger
Leaders betreten den Ring.
Das Wort »Arena« ist entlehnt aus dem lateinischen »[h]arena« und bedeutet so viel wie »Sand, Sandbahn; Kampfplatz im Amphitheater«. Arena verspricht Kampf. Der Gegner muss besiegt werden, diese Devise ist uralt. Sie basiert noch auf einem Menschenbild aus vorchristlicher Zeit, das auch durch die neurobiologische Forschung mittlerweile widerlegt ist. Die eigene Meinung als einzige »Wahrheit« zu verteidigen, ist letztlich zum Scheitern verurteilt. Diese Konstrukte sind eben … auf Sand gebaut.
Agora – Marktplatz der alten Griechen – und Schauplatz dialogischer Kultur hat hingegen keinen festen Sendeplatz mehr in unserer medial getriebenen Zeit. Obwohl dieses Gefäß vielleicht erfolgversprechender wäre. Die Agora diente einst als Plattform der Demokratie in ihren Anfängen. Einzelne Historiker haben sie als Ausdruck kollektiver Intelligenz beschrieben. Dieser Kultplatz war eine gesellschaftliche Institution und ihm kam eine herausragende Rolle für das geordnete Zusammenleben einer Gemeinschaft zu.
Die Fragmentierung unseres modernen Denkens, die Spezialisierung auf Teilbereiche, die Überbetonung eines kleinen Sektors des Ganzen, ist unsere Zivilisationskrankheit. Die telegene Mode, sich gegenseitig willkürlich erkorene Bruchstücke seines privaten Weltbilds an den Kopf zu werfen, ist Ausdruck des Verlusts des dialogischen, ganzheitlichen Denkens. Die Diskussionen zwischen »Experten«, denen das Zuhören längst abhandengekommen ist, sind Zeichen eines schleichenden Kulturverlusts: Der gegenseitige Respekt, das ehrliche Vertrauen, das geduldige Zuhören wie das Gehörtwerden, sie alle machten einst – gepaart mit Offenheit und Neugier – den erfolgreichen Dialog aus.
Wo das Vertrauen zum Gesprächsgegenüber fehlt, auch die Gewissheit, von ihm nicht persönlich verletzt zu werden, da endet die Show in einen offenen Disput. Angriff und Verteidigung – die Kriegsmetapher par excellence – münden in Sieg und Niederlage.
Das Produkt der Arena war und ist der kurzfristige Sieg über den Gegner. Das Produkt der Agora war die langfristige Lösungsfindung zusammen mit Andersdenkenden. Warum klaffen heute weltweit die Vorstellungen und Hoffnungen der Zivilgesellschaften und die tatsächlichen Resultate der Politik immer mehr auseinander? Könnte es sein, dass Politiker ihren Feind in erster Linie besiegen wollen, um an der Macht zu bleiben? Während die Gesellschaft darauf wartet, dass Lösungen für ihre Alltagsprobleme austariert werden? Manchmal scheint es, die Ziele der Politik und jene der Gesellschaft wären nicht mehr kompatibel.
Obige Feststellung führt zu einer interessanten Entdeckung. Das Fernsehprodukt »Arena« ist noch weitgehend im alten Denken verhaftet. Mit veralteten Vorstellungen die neuen Kräfte des 21. Jahrhunderts bändigen zu wollen, ist letztlich eine der Ursachen vieler heutiger gesellschaftlicher Schwierigkeiten. Dieser Ansicht sind keineswegs nur Philosophen. So plädiert der bekannte Physiker Hans-Peter Dürr (»Warum es ums Ganze geht«) für neues Denken im Sinne einer Abkehr von verengten und mechanischen Strategiemustern. Beweglichkeit, Offenheit, Empathie führen zu neuen, transparent gestaltbaren Schöpfungs- und Handlungsräumen.
In die politische Umgangssprache übersetzt: Gedanken, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale des Gegenübers erkennen und verstehen zu wollen, hilft dabei, die akuten zivilisatorischen »Baustellen« innert nützlicher Zeit zu sanieren. Und da landen wir unversehens mitten in der antiken Agora und stellen verblüfft fest, dass jene sokratischen Denk-Guidelines moderner und zeitgemäßer sind als vieles, was uns am Freitagabend ab 22.20 Uhr serviert wird.
Das lohnenswerte Ziel, den aggressiven Kampf und offenen Disput von der Arena zu verbannen und stattdessen die Meinungsverschiedenheiten auf der Agora im Sinne eines kooperativen, zivilisierten Dialogs weiterzuentwickeln, müsste natürlich vom Generaldirektor SRF bewilligt werden. Das Ganze könnte deklariert werden als Dislokation vom Ruinenfeld Amphitheater ins (Opern-)Haus des modernen Geschehens, der neuen Begegnungsstätte der schweizerischen polis.
Ich weiß, die Begriffe »Ganzheit, Ganzheitlichkeit, Kohärenz, Integration, integral« tönen abstrakt. Integral Movement, Integral Renaissance, Integral Revolution – aus dem angelsächsischen Raum entlehnt – klingen moderner, aufregender. Doch für die Rückbesinnung auf das antike Dialogprinzip in der Agora, das auf partizipierendem Denken innerhalb einer holistischen Weltsicht basiert, braucht es keine Revolution.
Der Individualismus unserer Zeit hat bisweilen dazu geführt, dass übersehen wird, dass der Mensch als Teil eines Ganzen dem Gemeinwohl verpflichtet wäre. Unsere politische Zivilisation basiert auf einer Kultur, die gemeinsam erlebt und geteilt wird. Wo das vergessen geht, zerbricht jede Zivilisation in Fragmente der Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Gerade wer als modern gelten will, sollte im Hinterkopf behalten, dass Zerreden und Fragmentieren dem Ganzheitsanspruch nicht gerecht wird.
23. September 2013
Nr. 97
Nachhaltig – Programm oder Etikettenschwindel?
Nach der Klärung, was hier unter »nachhaltig« verstanden wird, kann der persönliche Entscheid gefällt werden: ein einfaches und ehrliches Prinzip zu befolgen, wofür die nächsten Generationen dankbar sind.
Der Begriff hat eine spektakuläre, weltweite Karriere hinter sich: nachhaltig – sustainable oder Nachhaltigkeit – sustainability. Kein Tag, ohne dass wir nicht davon hören oder lesen. Allerdings verstehen die Absender dieser Botschaften darunter völlig Unterschiedliches. In der Werbung, in Geschäftsberichten von Konzernen oder in politischen Diskussionen überwiegen ab und zu die missbräuchlichen Anwendungen – das nennen wir dann Etikettenschwindel. Nicht ganz unschuldig am Durcheinander im deutschen Sprachraum ist der Duden, der es bis heute nicht geschafft hat, auch zeitgemäße Definitionen nachzutragen.
Im Duden lesen wir beim Nachschlagen des Wortes Nachhaltigkeit: »sich auf längere Zeit stark auswirkend; (…) forstwirtschaftliches Prinzip, nach dem nicht mehr Holz gefällt werden darf, als jeweils nachwachsen kann.« Im Duden online ist eine weitere Definition eingefügt, die der Sache schon etwas näherkommt: »(…) Prinzip, nach dem nicht mehr verbraucht werden darf, als jeweils nachwachsen, sich regenerieren, künftig wieder bereitgestellt werden kann.«
Natürlich heißt es das. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts versteht die Welt darunter etwas viel Umfassenderes: »Entwicklung, die die Bedürfnisse heutiger Generationen erfüllt, ohne die Voraussetzungen künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse dereinst ebenfalls erfüllen zu können, einzuschränken (UNO-Leitbild).« Oder: »Nachhaltige Entwicklung basiert auf der Idee der gleichzeitigen und gleichberechtigten Umsetzung umweltbezogener, sozialer und wirtschaftlicher Ziele.«
Dafür steht im angelsächsischen Raum das Wort sustainable – klipp und klar. Für den altehrwürdigen Begriff nachhaltig gilt wie eh und je die Übersetzung lasting, ongoing – also anhaltend, dauerhaft, beständig. Und das ist ein großer Unterschied.
Eine nachhaltige Entwicklung zu beachten geht also weit über den Gummibegriff der PR-Strategen hinaus. Die UNO hat 1983 (»Brundtland-Kommission«) dies so definiert: Generationenübergreifend denken und handeln. Sich ressourcenschonend verhalten, auch zuhause. Nicht erneuerbare Energie sparen und, wo möglich, ersetzen. Sozial verträglich politisieren und wirtschaften. Umweltbewusste Mobilität anstreben usw.
Im Übrigen kann man es drehen und wenden, wie man will: Unternehmen wie z.B. Zigarettenproduzenten, Erdölmultis, Rohstoffabbaufirmen, Zementkonzerne oder auch Chunkfood-Anbieter können obige Kriterien nicht erfüllen. Dies ist nicht despektierlich gemeint.
Gemäß verlässlichen Sustainability Ratings belegt von den großen Multis Unilever Platz eins, dies dank seines konsequenten Engagements in den Bereichen Nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei sowie in der effizienteren Nutzung von Wasser bei der Produktion. Paul Polman, der Chef dieses Konsumgüterkonzerns, kümmert sich in vorbildlicher Weise darum. Er hat erkannt, dass immer mehr Konsumenten und Aktionäre von ihren Unternehmen nachhaltiges Geschäften verlangen.
Urteilen Sie bitte selbst darüber, wovon die UBS spricht, wenn sie in ihren Corporate-Governance-Grundsätzen von »Erreichung eines nachhaltigen Wachstums« spricht. Oder wenn Glencore Xstrata ankündigt, 2013 erstmals einen »Sustainability Report« publizieren zu wollen …