Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg


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Onkel Tom, Naomi Uemura, Frau Holle, Johann Sebastian Bach, Niklaus Meienberg. Manchmal denke ich, dass diese Silbengruppe, die einen Vor- und Nachnamen ergeben, einem ein viel präziseres Gefühl über einen Menschen geben als all die Daten, die man unter demselben Namen auflisten kann. Ich frage mich, ob dem Niklaus Meienberg seine Freundin wohl Marie Juniwald* * Nein, sondern Kreszenz Lautenschlager.heisst. In Rom habe ich einen gefährlichen, ganz jungen Menschen kennengelernt, durchgefüttert – und so, der hiess Sirius Freud. Er war von der deutschen Polizei gesucht. Er war voll von Rachegelüsten und von bösen Plänen. Aber tief innen, da war er eine Feldlerche und ein Kaninchen und ein Glühwürmchen.

      Das kam aus dem Freiamt, war aber nicht von Silvio Blatter, Erika Burkhart oder Toni Halter, und C., die Verfasserin, arbeitet im ehemaligen Kloster Muri als Psychiatriepflegerin und erzählt, wie es den internierten alten Bauernknechtlein dort ergeht.

      Habe Holz geholt fürs Feuer. Es ist Mittag. Die Fliegen sterben jetzt. Da ist eine. Ich weiss nicht, wie es kommt, dass sie wie viele andere jetzt auf den Rücken zu liegen kommt. Verzweifelte fliegenleichte Fliegenenergie. Das tut und macht. Eins, zwei Minuten. Fliegenende.

      Sehr geehrter Herr Faschist. Herr non-valeur. Lieber Johann Sebastian Bach. Tschau Niklaus. Was ich von Ihnen zu Augen bekomme, lese ich. Liebe Frau Holle. Sehr geehrter Herr Hetzbruder. Endlich erlaube ich mir den Versuch zu wagen, Sie mit einem aufrichtigen Verehrerbrief zu erreichen. Sehr geehrter Herr Kaputtmacher und Herunterreisser. Niklaus, wenn Du einmal in der Gegend bist, kannst gern hereinschauen und da sein. Ich wünsche Dir festliche Tage, Deine C. Es geht in Richtung des linken Faschismus. An Gehirnwäsche für junge Hörer wurde ganze Arbeit geleistet. Lieber Onkel Tom von der Eisfeldstrasse. Si sind dä truurigschti Lumpesiäch (Telefon) – und damit ist wohl immer derselbe gemeint, und das bin anscheinend ich.

      Aber nicht sicher.

      Einmal war auch wieder ein Paket in der Post, aber kein Föteler, sondern eine Honigbüchse, sauber verpackt, Poststempel Länggasse, Bern. Zackige Schrift, offensichtlich angestrengt-verstellt. Obenauf lag ein Zettel, dieselbe Schrift: «Hier weiterer Rohstoff zum Nestverschmutzen.» Der Inhalt, wie sich sofort zeigte, stank dann stark. Da war einer nicht über die anale Phase herausgekommen und liebte mich auf seine Weise. Wenn man sich die Verumständungen vorstellt, bitte sehr, Büchse suchen, sauber in dieses doch recht kleine Rezeptakel hineinkacken, Büchslein geruchsfrei verschliessen, verpacken, auf die Post tragen – vermutlich ein Lehrer, sagt Bichsel, der auch schon solches empfangen hatte, das sei eine typische Lehrer-Schrift.

      Aber nicht sicher.

      Kürzlich kam ein Brief aus dem 18. Jahrhundert, Poststempel Muri, und stammte von einem Verwandten, der dort im Kloster gewohnt hat, als es noch nicht Irrenanstalt war. Monachus Muriensis. Ein Freund, von Beruf Historiker und Aktengrübler, hatte in Sarnen, wo sich ein Teil der ehemaligen Murienser Klosterbibliothek befindet, ein Büchlein aufgestöbert, einen sogenannten «Geistlichen Blumengarten», lat. Areola sacra, und mir eine Fotokopie der Titelseite geschickt. Verfasser oder «Collector», also Sammler, dieser geistlichen Blumen, ist ein gewisser P.F. (Pater Frater) Bonifacius Meienberg, Ord. S. Bendicti, also ein Benediktiner. Alle Achtung! Und wer hätte nicht gern, als Schriftsteller, einen Schriftsteller im Stammbaum. Man fühlt sich dann sicherer in diesem Land, man kann auf einen Präzedenzfall verweisen.

      Das Büchlein wird man aufstöbern und genauestens lesen müssen. Vielleicht sind die Gedichte, unter einem scheinheiligen Titelblatt, das die wahre Absicht kaschiert, erotischer oder sadomasochistischer oder gar politisch-aufklärerischer Natur, sodass sich die Pupillen des naiven Lesers bei der Lektüre jählings erweitern müssten.

      Wer macht eine Diss über Meienberg (Bonifaz)? Da liegt ein Thema, ein interstellarisches, begraben, und nach der «Analyse der Folien des Interstellar Gas Experiment» klemmt sich mein Freund Martin J. von Dürrenroth/BE vielleicht hinter das Geistliche Blumengärtchen und wird eine zweite Inauguraldissertation präsentieren, von der philosophisch-geisteswissenschaftlichen Fakultät der Univ. Zürich auf Antrag von Prof. Dr. Urs Herzog ermuntert.

      Zakes Mofokeng bekommt auch Briefe, und einer davon wurde an mich weitergeleitet. Mofokeng, der politische Asylant, stammt aus Soweto und lebt gegenwärtig in der wüstenartigen Gegend hinter der Verbrennungsanlage Zürich, Nähe Leutschenbach. Fast schon eine township. Er ist Schriftsteller, vor allem Theaterautor, und Musiker, hat in der Basler Theaterwerkstatt mitgewirkt (Südafrika-Veranstaltungen), und kürzlich hat Radio DRS ein Hörspiel von ihm ausgestrahlt. Jetzt sucht er einen Job als Küchenbursche. Die letzte Telefonrechnung hat er nicht mehr zahlen können, also wurde sein Anschluss gesperrt. Das ist ungünstig, weil's dort draussen keine Telefonkabinen gibt. Die Februarmiete kann er gegenwärtig nicht aufbringen. In südafrikanisch-literarischen Kreisen ist er recht bekannt, hat dort, wie man so sagt, einen Namen. Nachdem er gefoltert worden ist und mit einer langjährigen Gefängnisstrafe rechnen musste, floh er (zuerst nach Deutschland), Frau und Kinder blieben in Südafrika zurück. Nach der Ausstrahlung seines Hörspiels durch Radio DRS bekam er einen Brief:

      Mister, I did not understand your name yesterday evening at the radio, never mind, its not important. But I will try to help you a bit to understand Swiss people and help you to find your own way. I have heard your commentary and critics about Switzerland and your stay here. Then first I will ask you why did you quit Germany? And why did you quit your country, letting your children and wife … Your are not a good fighter nor father. You run only for your own life, never a good European father would do that (…).

      Wer, als Schweizer, schon anonyme Briefe bekommen hat, der weiss, wie belämmernd das wirken kann. Wie fühlt sich einer, der hier im Exil lebt und solche Post von den Eingeborenen bekommt?

      What we white people do not like is your noise, your music, its all sexy and loud, only tam-tam and noise. We do not like your smell of sweat and skin, its otherwise. With kind regards, a hard-working Swiss man.

      Da hat er schon recht, der hart schaffende, aber nicht schwitzende Swiss man. Die Neger sind «otherwise», ein bisschen anders sind sie schon. Bisher wurde Zakes Mofokeng aber noch nicht der Sprung in die Verbrennungsanlage empfohlen.

      Wer übrigens Zakes Mofokeng helfen möchte, seine Telefonrechnung und Miete zu begleichen, kann ihm, via WOZ, ein bisschen Geld schicken, d.h. soviel wie möglich.

      Wieviel spenden Sie, Herr Stadtpräsident?

      St.Galler Diskurs bei der Preisübergabe

      Geschätztes Publikum,

      Sehr verehrter Stadtrat,

      Sehr abwesender Regierungsrat von Kanton und Republik St. Gallen,** Der sanktgallische Regierungsrat (Kantonsregierung) hatte aus politischen Gründen der Kulturpreisübergabe der Stadt St. Gallen am 25. November 1990 nicht beigewohnt.

      Dear Representatives of the business school of Saint Gall,

      Estimable Kollegen aus dem Mediensektor & der Schriftstellerei, als da sind: Hugo Loetscher, Laure Wyss, Notker Balbulus, Kurt Marti, Notker Labeo, Jürg Laederach, Notker Teutonicus, Eveline Hasler, Ekkehard I., Gerold Späth, Ekkehard IV., Jürg Federspiel,

      und nicht zu vergessen Ihro Exzellenz Fürstabt Beda Angehrn, welcher den heute unabkömmlichen Bischof Mäder vorteilhaft vertritt,

      und natürlich lieber Herr Rabbiner Schmelzer, welcher als einziger Vertreter der monotheistischen Religionen die Einladung des Stadtrates zu diesem Anlass angenommen hat und, wie er schrieb, mit Freuden akzeptiert hat,

      erlauchte Spitzen-Politiker, von denen einer sogar aus dem Irak extra nach St. Gallen zurückgedüst ist,

      edle Verwalter und Seelenapotheker der Stiftsbibliothek, Ochsenbein und Vogler, über der Stiftsbibliothek steht bekanntlich, wie früher über dem Eingang der ungeheuren Bibliothek von Alexandria, PSYCHAES IATREION, Seelenapotheke,

      werte Vertreter der Wirtschaft, z.B. der Firmen von Roll, Stoffel und Mettler, aber auch der Wissenschaft, insbesondere die Abgesandten der Universität Zürich in Gestalt ihrer hervorragendsten Germanisten, Herzog u. von Matt,

      liebe Familie Scola aus den Dolomiten, aber auch aus Paris,

      und


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