Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg


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den Gürtel abgenommen, damit er sich nicht aufhängt, und die Brille …

      Ernst Bloch: … damit ich mir nicht mit dem Glas die Pulsadern öffne.

      Karola Bloch: Damals, als die Linken so streng beaufsichtigt wurden, konnten sich die Faschisten in der Schweiz völlig frei bewegen. Damals wohnten wir in Küsnacht, glaube ich. Wir hatten eine kleine Wohnung, die ich unter meinem Mädchennamen gemietet habe. Und ein Zürcher Polizist kommt also einen Tag nachdem wir zurückgekehrt sind aus dem Tessiner Gefängnis, läutet an der Tür und sagt: Sind Sie Fräulein P.? Also ich muss ein Protokoll mit Ihnen aufnehmen. Name, Vorname, Geburtsjahr usw. – «Sie wohnen doch hier mit einem Herrn Doktor Bloch, haben Sie ein Verhältnis mit Doktor Bloch?» Hab' ich gesagt: Nein. Und ich sah, wie er ins Protokoll schrieb: «Hat kein Verhältnis mit Doktor Bloch.» Wieso wohnen Sie denn zusammen? Wissen Sie, antwortete ich, Herrn Doktor Bloch habe ich als Untermieter genommen. Das schrieb er wieder genau ins Protokoll. Dieser Polizist war aber ein Sozialdemokrat und ein sehr netter Mann. Der ist dann immer wieder zu mir gekommen, aber nicht, um mich zu kontrollieren, sondern um mich zu informieren, was in der Stadt vor sich geht. Da sagt er zum Beispiel: Fräulein Petrowska, gehen Sie heute nicht ins Café «Odeon», da gibt's heute eine Razzia. Nun waren viele meiner Freunde ohne Papiere, nicht wahr, als Flüchtlinge, es wimmelte von Emigranten – und ich natürlich sofort zu meinen Freunden und sage: Kinder, geht heute um Gottes willen nicht ins «Odeon», da gibt's eine Razzia. So war ich für die also eine herrliche Quelle, durch meinen Polizisten wusste ich alles.

      Und dann hat er so politische Gespräche mit mir geführt. Na, kann schon verstehen, natürlich, Sie sind gegen die Nazis, sagte er etwa, das bin ich ja auch, aber nun konnten Sie schon Ihr Studium nicht in Berlin fertigmachen wegen der Nazis, jetzt, wenn Sie's weiter so treiben, können Sie's hier auch nicht machen, hat er gesagt, so väterlich. Darauf sagte ich, ja, da haben Sie gar nicht unrecht, das muss ich mir überlegen, ich glaube, ich werde mich jetzt nur auf mein Studium konzentrieren. – Kostete ja nix, wenn ich das sagte. Und jedenfalls, es war eine sehr nette Bekanntschaft, und niemals hat er mir auch nur das geringste Böse getan, sondern im Gegenteil hat mir nur Gutes getan, weil er mich immer warnte.

      Ernst Bloch: Da kommt dann wieder jene Art von Schweizer zum Vorschein, die ich im Ersten Weltkrieg gekannt habe. Ein bisschen Tell: «Der Tyrann ist tot, der Tag der Freiheit ist erschienen.» Ein gewisser Kausalzusammenhang geht jetzt wieder auf. Unbegreiflich, dass das Schiller geschrieben hat. Ein solcher Vers, am Hof von Weimar! Bei den Faschisten hätte er Berufsverbot dafür erhalten. – Die Schweiz, welche Sie heute kennen, und die Schweiz der dreissiger Jahre, von der wir jetzt reden, sind die miteinander verwandt?

      NM: Wenn ich an die chilenischen Flüchtlinge denke, die nur mit dem Tropfenzähler ins Land gelassen wurden und ausgewiesen werden bei politischer Betätigung, dann kann ich eine Verwandtschaft nicht leugnen. Oder die politische Überwachung der Fremdarbeiter …

      Ernst Bloch: Wie viele echte Demokraten gibt's heute in der Schweiz?

      NM: Ich kann keine genauen Zahlen nennen.

      Ernst Bloch: Gibt's Sozialdemokraten im Bundesrat?

      NM: Deren zwei.

      Ernst Bloch: Das ist also passiert.

      NM: Der erste kam Anfang 1944 in den Bundesrat, als man sah, dass die Alliierten den Krieg gewinnen würden.

      Karola Bloch: (lacht)

      NM: Herr Bloch, als Sie geboren wurden, war Marx erst drei Jahre tot. Sie haben ein gutes Stück des letzten Jahrhunderts noch bewusst erlebt. Dann haben Sie das wilhelminische Deutschland erlebt, den Expressionismus, haben den Wehrdienst verweigert, waren mit Brecht und Benjamin befreundet, aber auch mit Otto Klemperer. Sie haben die Weimarer Republik erlebt, die Anfänge der Volksfront in Frankreich, die fremdenfeindliche Schweiz der dreissiger Jahre, Österreich, die Tschechoslowakei vor dem Einmarsch, sind quer über den Kontinent vor dem Faschismus geflohen und haben schliesslich aus Polen nach Amerika übergesetzt. Wie schlägt man sich als Philosoph durchs Leben? Ernährt die Philosophie ihren Mann, in den finsteren Zeiten? Professor sind Sie ja noch nicht lange.

      Karola Bloch: (zu ihrem Mann gewandt) Ja, du hast oft für Zeitschriften geschrieben, eine kleine Erbschaft gemacht …

      Ernst Bloch: Für die «Frankfurter Zeitung» habe ich unter anderem geschrieben. Das war eine ausgezeichnete Zeitung. Da war ich freier Mitarbeiter, im Feuilleton. Die «Frankfurter Zeitung» hat gut gezahlt.

      Karola Bloch: Sie müssen sich vorstellen, dass man ungeheuer bescheiden lebte. Sehen Sie, mein Mann war im Schriftstellerverband, und da hat er durch den Verband eine Wohnung bekommen können, eine Zweizimmerwohnung mit Bad und Küche. Und da wohnten wir Ende der zwanziger, Anfang der dreissiger Jahre in Berlin, bis die Nazis kamen. Das waren die sozialen Wohnungen, vom Schriftstellerverband erbaut. Ich habe damals meinen Monatswechsel von meinem Vater bekommen, ausreichend, der Vater war wohlhabend. Und wir haben diese Wohnung ohne grosse Schwierigkeiten bezahlen können, und Möbel hatte mein Mann, und da waren wir also möbliert. Und was brauchte man denn zum Leben? Wissen Sie, da hatte man noch keinen solchen Konsum wie heute. Theaterkarten hatte man umsonst, und mittags hat man eben eine Suppe gekocht und ein Stücklein Fleisch, und damit hatte es sich. Wenn wir nach Italien gereist sind, wohnten wir in ganz einfachen Hotels, und wir assen nur in Osterias oder Trattorias, weil eben ein Ristorante schon viel zu teuer war.

      Ernst Bloch: Wie ist es eigentlich mit Ihnen, Ihre Meinungsäusserungen sind doch ziemlich eindeutig, haben Sie da in der Schweiz Verfolgungen zu gewärtigen?

      NM: Das noch nicht. Es gibt Zeiten, wo man wenig Arbeit hat. Eine allgemeine Erscheinung.

      Karola Bloch: Als wir nach Amerika gingen, war unser Sohn ein halbes Jahr alt. Dort war es anders, mein Mann konnte dort gar nichts verdienen, weil er doch nicht Englisch kann. Wie heisst diese Zeitschrift, «New Republic», da kamen wir gerade aus der Tschechoslowakei, er hatte viel Erfahrung mit politischer Publizistik und konnte doch nicht einen einzigen Aufsatz unterbringen in der «New Republic». Die ersten Jahre haben wir deshalb sehr knapp gelebt. Ich konnte aber arbeiten als Architektin. Gehungert haben wir nie und auch nicht gefroren. Es war ein bescheidenes Leben, das uns aber vollkommen genügte. Ich hab' gekocht, und mein Mann hat geheizt. Es war ja sehr billig in Amerika, für fünf Dollar konnten wir diesen herrlichen Anthrazit für die Zentralheizung kaufen, den du dann im Keller gelagert hast. Für fünf Dollar war der ganze Keller voll.

      Ernst Bloch: Ich habe Betten gemacht, die Küche gemacht, die Lebensmittel eingekauft.

      Karola Bloch: Ich verdiente 100 Dollar die Woche, die Wohnung war 45 Dollar im Monat. Wir haben noch ein demokratisches, antifaschistisches Amerika erlebt, bevor der McCarthyismus begann. Während des Krieges war Frau Roosevelt im Komitee für sowjet-amerikanische Freundschaft, dem ich auch angehörte. Und die Sowjetunion, welche den Alliierten die Kastanien aus dem Feuer holte, war schon sehr populär. Und die ganze Einreise von linken Leuten, wie dem Kantorowicz zum Beispiel, ein Jugendfreund von mir, da hat die Frau Roosevelt geholfen; obwohl er Kommunist war, hat er die Einreiseerlaubnis bekommen. Schliesslich sind wir beide amerikanische Staatsbürger geworden. Dann sind wir in die DDR gekommen und mussten unsere schönen amerikanischen Pässe abgeben. Der Brecht war schlauer, der hat sich die österreichische Staatsbürgerschaft organisiert und hat sie behalten.

      NM: Im Westen bestand die Gefahr, dass Ihre Bücher vor allem den Theologen und Spiritualisten, ich denke da an Friedrich Heer, in die Hände gefallen sind und nicht so sehr den Revolutionären als Instrument gedient haben.

      Ernst Bloch: Es gab ja einmal einen Theologen namens Thomas Münzer. Der Heer* ist ein braver, gänzlich harmloser Mann, man wurde sich völlig vergreifen, wenn Sie den als eine tückische, finsternishafte Gestalt betrachten. Er ist ein ehrlicher, braver Kerl. Politisch sehr anständig. Also deren gibt's einige. Es gibt auch andere, deren Zustimmung beruht auf einem Missverständnis, wenigstens zum Teil. Aber jedenfalls, ein Heer schreibt nicht die üblichen Phrasen hin: «Empor zu den lichten Höhen des Sozialismus», das ist von Anfang bis Ende verlogen. Ein Heer oder ein Mitgänger von Heer würde nie so etwas schreiben. Abgesehen von der völligen Kulturlosigkeit, ist es die völlige Verlogenheit, die so spricht. «Empor zu den lichten Höhen des Sozialismus.» Im übrigen


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